Mit dem zehnten Sieg in Folge stieß der FC Barcelona das Tor zum Finale der Copa del Rey weit auf. Keine Frage, für die Mannschaft von Luis Enrique läuft es derzeit prächtig. Vor allem spielerisch können die Blauroten aus dem Vollen schöpfen und wecken Erinnerungen an längst vergangene Zeiten. „Der FC Barcelona dominiert wie zu Zeiten von Guardiola”, titelte jüngst Spiegel Online. Die Suche nach Analogien birgt aber Probleme: Sie verstellt den Blick auf die neuen Erfolgsfaktoren und den wahren Verantwortlichen für den Aufschwung.
Pep Guardiola hat beim FC Bayern München angeheuert, einem außerhalb der Stadtgrenze nicht unbedingt beliebten Verein. Er hat auf dem Oktoberfest Lederhosen angezogen und öffentlich verlautbart, dass das ‘Kapitel FC Barcelona’ für ihn abgeschlossen sei. 99,9 Prozent der Culés würden den charismatischen Trainer trotzdem gerne zurück auf dem Trainerstuhl des FC Barcelona sehen, genauer gesagt an der Seitenlinie, wo er seine Mannschaft mit seiner Mischung aus mitreißendem Ehrgeiz, feurigem Engagement und einer gehörigen Portion taktischen Kalkül unermüdlich antreibt und die letzten Leistungsreserven aus seinen Spielern herauskitzelt. In Barcelona lieben sie ihn, nicht nur wegen seiner Fußballexpertise und den Erfolgen, die ihnen viele Glücksmomente beschert haben, seiner herzlichen Art, mit der er sogar Schiedsrichter um den Finger wickeln kann; sie lieben ihn für seine Liebe zu Katalonien, welcher er auch fernab der Heimat Ausdruck verleiht – mehr Unabhängigkeit ist auch ihm eine Herzensangelegenheit.
Pep Guardiola bereitete das Fundament
Es ist nichts Verwerfliches daran, in Erinnerungen zu schwelgen, die Bedeutung dieser Fußball-Ära zu demonstrieren oder den Anteil von Pep Guardiola am Erfolg hervorzuheben. Der FC Barcelona hat Geschichte geschrieben, und es ist die oberste Pflicht der Anhänger, diese Geschichte mit breiter Brust in die Welt hinauszutragen. Desgleichen entspricht es der unumstößlichen Wahrheit, dass der frühere Barça-Trainer ein Stück des Fundamentes des attraktiven Fußballs von heute mit ausgebreitet hat. Er hat den modernen Totaalvoetbal geprägt wie kein anderer und ihn um Elemente angereichert, die wunderbar mit diesem Fußballkonzept in Einklang zu bringen waren. Davon zehrt die Mannschaft heute noch und es gibt keinen vernünftigen Grund, von ihnen abzurücken.
Nur eines konnte Pep Guardiola seinen Schützlingen nicht vermitteln: Den Quell des ewigen Erfolges. Auch seine Waffen wurden irgendwann stumpf, die Mannschaft tat sich schwer, die großen Erfolge blieben aus. Mit Ablauf der Zeit, mit jedem weiteren Spiel hatten sich die Gegner immer besser auf das Spiel des großen FC Barcelona eingestellt, die Schwachstellen erkannt und die eigene Vorgehensweise verändert. Auch nach dem Weggang aus Barcelona besserte sich die Lage der Mannschaft nicht, es wurde sogar noch schwieriger. Springen wir daher ins Jahr 2015: Der FC Barcelona erhebt sich aus seinem langen Schlaf und setzt gegen Meister und Champions-League-Finalist Atlético Madrid drei große Ausrufezeichen. Es folgen weitere Demonstrationen von Stärke und eine Serie von zehn Spielen ohne Punktverlust. Die Anhänger wittern neue Hoffnung, sogar mehr als das, die Medien schreiben sich die Finger wund, und am Ende steht zuweilen eine klare Botschaft: Der FC Barcelona ist wieder dort, wo er 2011 stand. Mit diesem Fußball sei alles möglich. Doch ist die Mannschaft wirklich wieder bei ihren Möglichkeiten von 2011 angelangt?
Barça 2015: Keine einfache Kopie von 2011
So leicht ist es nicht. Wir erleben nicht einfach eine Kopie des FC Barcelona von 2011 und man sollte der Versuchung widerstehen, Analogien zu dieser Zeit zu suchen, die man vielleicht auf Pep Guardiola zurückführen könnte. Die Attraktivität des gegenwärtigen Fußballs und der Erfolg der Spielweise haben ihre Wurzeln vor allem in der harten Arbeit der Mannschaft, einem gesunden Mannschaftsklima und den richtigen Weichenstellungen von Luis Enrique. Der Name von Luis Enrique – vor kurzem noch mit einem Bein auf dem Abstellgleis – muss zu aller erst fallen, wenn die beeindruckende Auferstehung von Barça eruiert wird. Das vernichtende Urteil nach der Hinrunde muss nach und nach revidiert werden, um dem Trainer kein Unrecht zu tun und seine Leistung anzuerkennen.
Luis Enrique war derjenige, der die Voraussetzungen für das Umschaltspiel der Mannschaft mittels wichtiger taktischer Entscheidungen verbesserte und ein unmittelbares Spiel nach vorne anordnete. Er war der Mann, der die Staffelungen beim Pressing und in der Defensive optimierte. Wer hat dafür gesorgt, dass das Offensivspiel breiter angelegt ist und von der Verharmlosung der Flügel nicht mehr die Rede sein kann? Luis Enrique. Wer hat das magische Trio Iniesta-Busquets-Xavi gesprengt und die seit langer Zeit geforderte physische Komponente ins Mittelfeld gebracht? Wie sieht es mit der Entscheidung aus, mit Suárez auf eine echte Neun zu setzen und die Verteidigung des Gegners unentwegt zu bearbeiten; und damit verbunden Lionel Messi zurückzuziehen bzw. auf den rechten Flügel zu beordern? Stärkere Kontraktion der Mannschaft? Überladungen der offensiven und defensiven Räume? Strategischer Einsatz der zweikampfstarken Innenverteidiger in offensiven Zonen bei Raumverknappung?
Der Erfolg ist eng an den Namen Enrique geknüpft
Diese stichwortartige Auflistung der Errungenschaften von Luis Enrique könnte gewiss noch weiter geführt und vertieft werden. Das soll aber nicht Gegenstand dieser Abhandlung sein, in der es lediglich darum geht, sich von einer eventuell vorhandenen Vorstellung zu lösen. Die Mannschaft von Pep Guardiola aus dem Jahr 2011 hat sich zu Recht in den Geschichtsbüchern verewigt. Die fußballerische Identität ist bis zum heutigen Tage erhalten geblieben und erleichtert die Arbeit von Enrique ungemein. Sie bewirkt aber nicht, dass sich der Erfolg einfach auf Knopfdruck einstellt. Zu einem erfolgreichen Spiel gehört weit mehr. Der FC Barcelona zeigt uns Woche für Woche, welcher Zutaten es bedarf. Es ist die Handschrift von Luis Enrique, die sich uns offenbart. Es ist sein FC Barcelona 2015.