Bildquelle: fcbarcelona.com
Es ist vollbracht, Spanien hat den Europameistertitel durch ein 4:2 über Italien verteidigt. Mit vier Barça-Akteuren in der Startformation ließen sie von Beginn an keine Zweifel am Ausgang der Partie aufkommen und konnten die Intensität im Vergleich zu den vorangegangenen Spielen sogar noch steigern. Thiago Alcántara war mit seinem lupenreinen Hattrick der Spieler des Spiels, doch auch seine Mannschaftskameraden wussten wieder einmal zu gefallen.
Offensivpressing und die Kehrseite
Charakteristisch für die Partie war ein noch offensiveres, ein noch intensiveres Pressing der spanischen Auswahl. An vorderster Front bearbeiteten zwei Spieler – Thiago gesellte sich häufig an die Seite von Morata – die Innenverteidiger und die übrigen Spanier rückten auf, um den Italienern keine sichere Anspielstation zu bieten. Der Spielaufbau der Italiener nahm damit allzu oft ein jähes Ende, die Spanier konnten erstaunlich lang dieses kräftezehrende Vorgehen in der ersten Halbzeit aufrechterhalten. Darüber hinaus sah man das gewohnte Spiel des Titelverteidigers, der durch lange Ballstafetten Lücken auslotete und insbesondere im letzten Spielfelddrittel fündig wurde. Um die Mittellinie herum standen die Italiener mit ihrem 4-5-1 relativ sicher und kompakt, übten zudem ein gutes Mittelfeldpressing aus und arbeiteten gut gegen den Ball. Für die Spanier war es deshalb nicht ganz so einfach, sich dem gegnerischen Tor zu nähern. Isco zog sich daher häufig zurück, um den Spielaufbau voranzutreiben. Sobald Thiago und Co. aber zwischen die Ketten kamen oder die Italiener weit zurückgedrängt hatten, war die Squadra Azzura nicht mehr ganz souverän in der Verteidigung. Sinnbildlich hierfür die Torvorbereitung von Morata oder Thiagos zweites Tor, das ihm fast geschenkt wurde.
Die Kehrseite des spanischen Angriffspressings waren brandgefährliche Eins-gegen-eins-Situationen in der Abwehr. Die Spanier setzten den Gegner früh unter Druck und rückten kollektiv auf, auch die Außenverteidiger. Wenn man aber derart aufrückt, ist es unabdingbar, dass der Gegner permanent unter Druck gesetzt wird. Für den Fall, dass dies versäumt wird, kann der Gegner durch präzise Zuspiele in die Spitze schwer zu verteidigende Gleichzahlsituationen provozieren – wie beim Ausgleich der Italiener gesehen. Trotz intensiven Drucks konnten die Italiener den Ball zuweilen relativ lange in den eigenen Reihen halten und damit die Wahrscheinlichkeit für ein Schlupfloch für ein Zuspiel an einen freien Spieler, der sich nicht im Deckungsschatten eines Gegners befand, erhöhen. Im weiteren Verlauf der ersten Halbzeit ergab sich für den Underdog noch eine weitere Gelegenheit dieser Qualität. Diesmal musste sich nicht Inigo Martínez, sondern Marc Bartra alleine gegen einen Angreifer erwehren und zog den Kürzeren – Glück für die Spanier, sich hierbei kein zweites Tor eingefangen zu haben.
Natürlich würden zwei Tore der Italiener in der ersten Halbzeit den Spielverlauf ein wenig verfälschen, das darf ihnen aber nicht zum Vorwurf gemacht werden. Sie waren unterlegen, nutzten aber die ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten beeindruckend aus. Die spanische Nationalmannschaft war aber gewarnt und setzte ab einem gewissen Punkt nicht mehr ganz so früh an, sondern zog sich – sicherlich auch kräftebedingt – öfter zurück.
Thiago mit drei Treffern
Alles in allem war der Sieg der Spanier mehr als verdient. Ihre Spielkultur blieb einmal mehr unerreicht und ihre Kombinationssicherheit ließ die Zuschauer mit der Zunge schnalzen. Dazu trugen die drei Tore von Thiago ihren Anteil bei. Das erste seiner drei Tore erzielte Thiago sogar per Kopf nach schöner Vorarbeit von Morata; beim zweiten Streich profitierte er von einem Stellungsfehler der Innenverteidigung und das dritte geht zur Hälfte auf das Konto von Tello, der einen Elfmeter herausholte. Mit der gestrigen Vorstellung stellte Thiago sogar Isco in den Schatten, der sich gegen die zweikampfstarken Italiener ungewohnt schwer tat – nicht so Thiago, der mit Spielintelligenz und einem ungeahnten Torriecher überzeugen konnte. Er war zweifelsfrei der “Man of the match”, und das in einem nicht unbedeutenden Finale.
Bei den verbliebenen Barça-Stars konnten sich vor allem Montoya und Bartra in Szene setzen. Montoya hinterließ wie im gesamten Turnierverlauf einen starken Eindruck. Er ist kein Rohdiamant, sondern ein bis ins kleinste Detail fertiggeschliffener Fußballer, der alle Facetten eines erfolgreichen Außenverteidigers abdeckt. Er holte den Elfmeter zum 4:1 heraus, der die Vorentscheidung bewirkte. Marc Bartra machte ebenfalls eine beachtenswerte Partie. Dass er in der ersten Halbzeit von seinem Gegenspieler düpiert wurde, war nicht ausschließlich seine Schuld. In Wahrheit ist es schwer bis unmöglich, einen Angreifer in dieser Lage ohne Unterstützung anderer Mitspieler vom Schuss abzuhalten. Der Angreifer hat immer einen Zeitvorteil, ein guter Angreifer lässt sich diesen nicht nehmen. Das hat auch Inigo Martínez zu spüren bekommen. Insgesamt hat sich Bartra auch im Finale empfohlen.
Ob dies auch von Tello behauptet werden kann, erscheint zweifelhaft. Auch im letzten Spiel der Europameisterschaft wirkte Tello ein wenig unglücklich in seinen Aktionen, verstolperte viele Bälle und auch seine Ballannahme zeigte wieder Mängel, die zugegebenermaßen auch dem Umstand geschuldet waren, dass er anspruchsvolle Bälle herunterholen musste. Beim FC Barcelona spielte Tello eine überragende Saisonschlussphase, bei der Europameisterschaft konnte er an diese Leistungen allerdings nicht mehr anknüpfen. Immerhin holte er den ersten Elfmeter heraus, den Thiago verwandelte. In der zweiten Halbzeit konnte Tello häufiger seine Schnelligkeit nutzen und war gefährlich. Allgemein fiel auf, dass Tello Probleme bekam, wenn er seine Schnelligkeit nicht nutzen konnte.
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