Unten den Augen von Lionel Messi und Konsorten fand am Donnerstag hinter den Türen des Vereins-Tempels die Präsentation des Bauprojekts für das neue Camp Nou statt. Nach einer enthusiastischen Rede des Barça-Präsidenten und einem kollektiven, nostalgischen Schwelgen in der Vereinsgeschichte durfte ‘la Pulga’ gemeinsam mit seinen Kollegen ein Miniaturmodell enthüllen. Bei dem Vorhaben handelt es sich um spektakuläre Änderungen, die unter anderem eine Überdachung und zusätzliche Sitzplätze versprechen. Doch auch darüber hinaus soll die Umsetzung der Stadion-Pläne neue Standards und Maßstäbe im internationalen Vereinsfußball setzen.
Historia und Fiesta statt Siesta
Pünktlich zur traditionellen spanischen Mittagspause begann am Folgetag des Deportivo-Spiels um 13:30 Uhr der heiß erwartete Livestream, welcher von der offiziellen Internetseite des FC Barcelonas gehostet wurde. Doch an „Siesta“ dachte in Anwesenheit der gesamten Klub-Prominenz gewiss keiner, denn die anschließenden Enthüllungen sollten zu allem, nur nicht zum Einschlafen einladen. Gäste, Spieler, Trainer, Journalisten, sie alle waren bei regnerischem Wetter anwesend, um den Plänen der Verantwortlichen zu lauschen. Unter der Crème de la Crème der Gäste wurde auch ein gutgelaunter Juliano Beletti gesichtet. Nach den ersten Trainingseinheiten in den frühen Morgenstunden hatten sich die Spieler vor dem Redner-Podium versammelt und in der ersten Bankreihe niedergelassen. So viel zum Setting.
Zu Beginn zeigte ein Video die Etappen der Stadionentwicklung von 1950 bis heute. Aus dem Film ging unmissverständlich hervor, dass die Geschichte des Teams Jahr für Jahr mit neuen Ideen, Trainingsansätzen und Persönlichkeiten begleitet wird und es demnach nun Zeit ist, auch an dem Zuhause der Barça-Fans zu bauen.
Bartomeu zu 100 Prozent vom Projekt überzeugt
Anknüpfend trat Präsident Josep Maria Bartomeu persönlich an Pult, Mikrofon und Publikum heran. In gewohnter pragmatischer, aber herzlicher Manier füllte der Katalane mit seinem Redeanteil den Rest des Events nahezu im Alleingang aus. Der Nachfolger von Sandro Rosell sprach zunächst den Ehrgeiz aller Beteiligten an und verwies darauf, wie aufregend das Projekt für diese sei.
„Barça muss als Verein weiterentwickelt und organisiert werden.“
Laut Bartomeu gab es zahlreiche Einsendungen und Teilnahmen von internationalen Architekturfirmen, für dessen Engagement er sich noch einmal in der Summe bedankte. Auch die Jury bekam für ihre umfangreiche, langwierige Arbeit ein Lob zugesprochen.
Der demokratische Geist ist eben ein wichtiger Bestandteil des Klubs. Die Ausschreibung schien auch erforderlich, das Camp stoße an seine Grenzen bzw. „es wird alt, wie der zweifache Familienvater verlauten ließ, als er auf das aktuelle Standing des Stadions im internationalen Vergleich einging. In der Tat haben andere Vereine bessere Stadien, mit neueren Technologien und Einrichtungen. Das Stadion sei nach einer längeren Einschätzung aber auch architektonisch nicht auf dem neuesten Stand.
„Wir haben bereits zu viel Zeit verloren.“
Als einer der Baugründe sprach der 53-Jährige auch die Stadt Barcelona an, welche für ihn zu den schönsten Städten der Welt zähle und die eben auch ein besseres Stadion als Identifikationssymbol und Aushängeschild für die katalanische Kultur und für die internationalen Klub-Anhänger verdiene. Auch soll die Wirtschaft aufblühen und durch neue Angebote und höhere Besucherzahlen größere Einnahmen generieren. Barça ist die treibende ökonomische Kraft in Barcelona und bringt den Tourismus in die katalanische Metropole. Arbeiten am Mini Estadi wurden ebenfalls angekündigt.
„Wir sind noch ganz am Anfang.“
Der kollektive Traum soll mit Überzeugung und Stolz zur Saison 2020/2021 erreicht werden und Baukosten von etwa 400 Millionen Euro verschlingen. 2007 war bereits der Umbau des Stahlriesens durch das japanische Architektenbüro Nikken Sekkei angedacht und nach einer kalkulierten Kostensumme von 600 Millionen Euro wieder verworfen worden. Bartomeu beteuerte, dass man sich nicht in Unkosten stürzen wolle und finanziell gut aufgestellt sei.
Més que un Club trifft auf Més que creativa
Takeyuki Katsuya ist nun der Name des Architekten, der sich der Konzeption und dem Millionen-Projekt widmen wird. Er und sein Designteam (Nikken Sekkei) haben bereits 25.000 Projekte in 40 verschiedenen Ländern rund um den Globus geplant, betreut und erfolgreich durchgeführt. Der starken Identität des fünffachen Champions-League-Siegers ist sich das Studio durchaus bewusst. Die Aufgabe der Japaner wird es sein, durch ihr Verständnis über das fernöstliche Design mit der südeuropäischen Kultur zu kollaborieren.
Die gleichmäßige Distanz – in bestimmten Ebenen von verschiedenen Plätzen – zum Spielfeld und der moderne Look sollen zunächst erhalten bleiben. Die Platzzahl von 99.000 Plätzen wird in Zukunft auf 105.000 ansteigen. Durch den Ausbau werden vermutlich auch mehr begehrte Dauerkarten verfügbar sein. Eine Fassade der obersten Ränge ist kein formuliertes Ziel. Stattdessen verlässt man sich auf eine Öffnung in Richtung der umliegenden Distrikte. Diese „Nicht-Fassade“ soll für mehr Transparenz sorgen und den offenen Geist des Klubs widerspiegeln. Außerdem erhalten die Stadionränge ein Dach. Auch neue Sitze, ein neuer Rasen sowie Ersatzbänke sind zu erwarten. Sowohl der Fanshop als auch das Museum werden ihre Dimensionen auf 2800 und 2500 Quadratmeter ausdehnen. Um von Ebene zu Ebene zu gelangen, werden neben Treppenstufen ebenso Aufzüge und Rolltreppen installiert. Das im Dach gesammelte Regenwasser könnte zur Bewässerung des Rasens genutzt werden, während auch die Verwendung von Solarenergie (Beleuchtung) im Fokus stehen soll. Das umliegende Gebiet des Stadions wird eine barrierefreie Zone mit einem niedrigen Verkehrsaufkommen. Hier dürfte sich die Einrichtung einer neuen Grünanlage anbieten. Ferner ist untertage mit einem Parkhaus inklusive von 3500 Plätzen zu rechnen. Abseits des Spielfeldes werden ergänzend modernere und weitläufigere Spieler- bzw. Medienbereiche und luxuriöse VIP-Boxen samt Multifunktionsraum angelegt. Das Stadion soll während der Arbeiten durchgängig bespielbar sein.
Auch Andrés Iniesta kam zu Wort und bestätigte das Projekt als wichtigen Schritt für den Klub. Auf die Frage hin, ob er jedoch in diesem Stadion spielen oder zuschauen würde, wirkte der in La Masia ausgebildete Star aus Fuentealbilla leicht verschmitzt und sorgte auch bei Präsident Bartomeu für ein Lächeln. Barças capitán wäre 2020 bereits im stolzen Alter von 37 Jahren.
Im Nachgang gab es die Möglichkeit, Fotos mit dem Miniatur-Modell des Stadions zu schießen. Zudem fand eine kurze Pressekonferenz für die Fragen der Journalisten statt. Im Publikum waren indessen Vertreter von „Barça TV“ „Catalunya Ràdio“ und der „Marca“ anwesend. In dieser Question-and-Answer-Situation gab es noch einige interessante Äußerungen seitens Josep Bartomeu: Durch Glasfassaden wird die oberste Ebene von Wind und Regen geschützt sein. Das sogenannte „Skydeck“ kreist 360 Grad um das Stadium herum. Von dort aus kann der Besucher in das Stadioninnere und nach außen zur Stadt blicken. Mitgliederbeiträge sollen laut dem ehemaligen Vizepräsidenten wahrscheinlich nicht angehoben werden. Überdies ist auch ein Gedenkplatz für Vereins-Legende Johan Cruyff in Planung.
Im Detail sehen die Camp-Nou-Upgrades wie folgt aus:
https://www.youtube.com/watch?v=-i6gsb_bRW8
Kein Neubau, dafür Upgrade
Als die Blaugranas die Veränderungen im November 2015 ankündigten, wurden erste Fan-Stimmen laut, Barça würde sowohl ein Wahrzeichen als auch ein Teil seiner Identität in den spanischen Nachthimmel schießen. Doch schnell kristallisierte sich ein Fakt heraus, der die Vereinsvorsitzenden wohl kaum in ein unsympathisches Licht rücken dürfte: Nach Einbezug der Fan-Meinungen entschied man sich klar gegen einen Neubau und für einen Ausbau des „alten“ Camp Nous. Frei nach dem Credo: „Man nehme etwas Bestehendes, lasse veraltete Elemente verschwinden, tausche diese gegen moderne Bestandteile und kreiere etwas vollkommen Neues.“ Ganz so dekonstruktiv scheinen die Pläne des FC Barcelonas dann zwar doch nicht zu sein, doch der Blick wird klar gen Zukunft gerichtet, gerade weil man mit dieser Lösung Tradition und Modernität vereint.
Nach einem Auswärtstest im nordwestlich liegenden Galicien, welches ein aufblühendes Barça mit einem furiosen 8:0-Ergebnis zu seinen Gunsten entscheiden konnte, war die komplette Mannschaft bei einer Zeremonie anwesend, die vielleicht die maßgeblichste Veränderung der Vereins-Institution der kommenden Dekade verkünden konnte. Zwei aufregende Ereignisse binnen zweier Tage – so kann es aus der Sicht der Culés auch in den nächsten Wochen und Monaten gern weitergehen.
Wer schon im Camp Nou war und auf der höchsten Ebene Platz genommen hat, dem dürfte mit dem Bau des Daches während des Spiels eventuell der Blick auf das weitläufige Panorama über die Skyline Kataloniens etwas eingeschränkt werden. Doch das Barça-Zuhause wird seine kraftvolle Energie wohl kaum einbüßen, sondern diese bestenfalls auf ein ungeahntes Level in puncto Atmosphäre, Unterhaltung, Komfort, Anbindung und Trainingsmöglichkeiten setzen. Gleichgültig wie, bestätigt der FC Barcelona mit seinem familiären, demokratischen und transparenten Auftreten abermals den selbst-aufdiktierten Mythos, mehr als nur ein Verein zu sein. Veranstaltungen wie diese sind in zweiter Linie auch ein Sinnbild dafür, wie wichtig dem aktuellen Vorstand zum einen die Historie und zum anderen die aktuelle Repräsentation des Vereins sind. Oder um es mit Bartomeus selbstbewussten Statement zu formulieren: „Der beste Club der Welt sollte auch im Besitz des besten Stadions der Welt sein.“