Bei den Taktikfuchsen von spielverlagerung.de hat Lothar Matthäus Rede und Antwort gestanden und sich in diesem Zusammenhang auch erfreulich detailliert über den FC Barcelona geäußert. Die Spielphilosophie und Messi haben es ihm dabei besonders angetan.
Wenn man die Fußballstammtische Deutschlands befragt, wo der Schlüssel zum Erfolg für den FC Barcelona liegt, würde eine Flut an verschiedenen Standpunkten zusammenkommen, an deren Richtigkeit und Bedeutsamkeit nicht der Hauch eines Zweifels bestünde, die aber gleichwohl unvollkommen sein könnten, weil ein Aspekt nicht die Wertschätzung erfahren hat, welche er verdient: Die strategische Konzeption. Lange hat es gedauert, bis die Stellung der Spieler auf dem Feld ihren Weg auf eine Kreidetafel gefunden hat und theoretische Fragen im Kreis der Mannschaft erörtert wurden. Im Ablauf der Zeit hat sich dieser Teil des Fußballs zu einer Disziplin entwickelt, der eine gewisse wissenschaftliche Haltung immanent ist und die ihrer Bedeutung entsprechend in jeder Trainingssitzung Einzug hält – auch und insbesondere beim FC Barcelona. Von daher ist es geboten, genau hinzuhorchen, wenn ein zweifacher Weltfußballer sich zu der taktischen Ausrichtung der Blaugrana äußert.
Die Vorteile eines frühen Pressings
Die Sympathie von Lothar Matthäus für das Spiel des FC Barcelona ist unverkennbar. „Der FC Barcelona kommt meiner Idee natürlich am nächsten“, erwiderte er auf die Frage, für welche Spielphilosophie er einsteht. Sie seien es, welche die Synthese aus Erfolg und Attraktivität schaffen wie kaum ein anderes Team auf der Welt. Dies gelinge allerdings nur, wenn das entsprechende Spielermaterial zur Verfügung steht; andernfalls müsse man von der Grundidee des idealen Spiels abweichen und aus den begrenzten Möglichkeiten das Beste herausholen. Interessant sind seine Ansichten zu dem relativ jungen Phänomen des frühen Pressings, zu welchem er generelle Aussagen getroffen hat, die auch für das Spiel des FC Barcelona Geltung beanspruchen. Die Vorteile seien insbesondere in dem Bereich zu erblicken, in dem das Pressing durchgeführt wird. Ballgewinne im vorderen Spielfelddrittel eröffneten Räume und stellten eine erhebliche Gefahr für das generische Tor dar. „So hast du wirklich große Chancen, den Ball zurückzuerobern in einer Phase, in der der Gegner eigentlich schon einen Offensivdrang hat, führte Matthäus hierzu aus und lieferte auch sogleich ein Rezept, um sich des Pressings des Gegners, wie es von Real Madrid, Valencia CF oder Osasuna praktiziert wurde, zu entziehen: „Das heißt, wenn ich jetzt genau weiß, dass eine Mannschaft so ein geiles Pressing spielt, bei dem ich wirklich unter Druck gerate, muss ich eben lange Bälle raushauen und versuchen, in der gegnerischen Hälfte den langen Ball oder den zweiten Ball zu erobern.“ Ob dies allerdings auch für den FC Barcelona die richtige Lösungsstrategie ist, darf bezweifelt werden. Die kopfballstarken Spieler des FC Barcelona sind allesamt defensiv positioniert, sodass bei hohen Zuspielen nur die Möglichkeit bestünde, den zweiten Ball zu erobern. Diese Vorgehensweise entspricht aber nicht dem Naturell des FC Barcelona, das jederzeit die Hoheit über den Ball sucht und das keine primitiven, sondern anspruchsvolle Formen beim Spielaufbau wählt.
Maradona verstand nicht
Auch die Rolle von Lionel Messi war Thema beim ausführlichen Interview mit dem ehemaligen Libero, der sich eher im defensiven Mittelfeld sah. „Ich finde es eine super Möglichkeit, Messi als zurückfallende Spitze, ich würde es mal 9 ½ nennen, einzusetzen“, beschreibt Matthäus. Dadurch könne Messi im Mittelfeld für ein Überzahlspiel sorgen und aus der Tiefe auf die Abwehr zu laufen, was im Verhältnis zu der Alternative gewisse Vorzüge habe. In Strafraumnähe würde er nämlich mit dem Rücken zur Abwehr angespielt werden und müsste so gegen die Abwehrspieler arbeiten. In der Tat würde dann viel seiner Dynamik abhanden kommen. Des Weiteren, so Matthäus, würden die gegnerischen Innenverteidiger durch Messis Rückzug „arbeitslos“ werden, was die Außenstürmer zu ihrem Vorteil nutzen könnten, in dem sie in die Schnittstelle zwischen Innen- und Außenverteidigung hineinstechen. Matthäus spielt hier wohl darauf an, dass die Außenstürmer die Innenverteidiger aus dem Zentrum herausziehen und so Platz schaffen könnten für Messi, der aus der Spielfeldtiefe heraneilt. Für die gemessen an seinen Fähigkeiten bescheidene Vorstellung im WM-Spiel gegen Deutschland hat Matthäus auch eine Erklärung parat: „Maradona hat ihn bei der Weltmeisterschaft falsch eingesetzt, auch gegen Deutschland. Wenn ich weiß, Boateng spielt als linker Verteidiger, dann lass ich doch den Messi gegen Boateng spielen“, erklärt er und rügt darüber hinaus noch weitere taktische Fehler des ehemaligen argentinischen Nationaltrainers. Dass Messi wie auch die gesamte Mannschaft häufig die Positionen tauschen und durchrochieren, ist Matthäus nicht entgangen: „Das ist eine Möglichkeit, dass ich den Gegner ein bisschen verwirre und den Abwehrspieler verunsichere – wenn ich die Spieler habe, die diese Positionen auch spielen können.“ Welch eine Freude, dass der FC Barcelona diese Spieler hat. Visca el Barca!
Das ganze Interview mit Lothar Matthäus gibt es hier nachzulesen.