Wenn man sich nur die Ergebnisse betrachtet, hat Luis Enrique bei Barça alles im Griff. Doch unter der vielschichtigen Komplexität im Fußball muss man seine Sinne auch mal weiter schweifen lassen und sollte bei einem wichtigen Identifikationsmerkmal des FC Barcelona hängen bleiben: Der Jugendarbeit. Diese war in der jüngeren Vergangenheit immer ein großes Aushängeschild und so sollte es nicht schaden, dem Umgang des Barça-Trainers mit dieser einen kritischen Blick zuzuwerfen.
Die Causa Bartra und das Luxusproblem in der Innenverteidigung
Marc Bartra sollte einer der ganz Großen werden, im Idealfall zusammen mit Gerard Piqué die Stamm-Innenverteidigung bilden. Sein Talent ist unbestreitbar, seine Leitungen und sein Einsatz auf dem Platz stimmen in der Regel. Nach der Saison 2013/14, in der man in der Innenverteidigung ein Personalproblem hatte und notgedrungen Alex Song und Adriano dort aufbieten musste, handelte Barça auf dem Transfermarkt. Jérémy Mathieu und Thomas Vermaelen kamen. Letzterer fiel beinahe die komplette Saison aus. Die Chance für Bartra? Fehlanzeige. In der Regel spielten Piqué und Mascherano, erste Wahl als Ersatz für diese war Mathieu. In Zahlen gesprochen hatten die beiden Ersteren jeweils mehr als doppelt so viele Minuten als Bartra, Mathieu zumindest 50 % mehr als der junge Katalane.
Jung? Nun ja, im Januar wird Bartra auch schon 25 Jahre alt und er ist nach wie vor weit davon entfernt, Stammspieler zu werden bzw. überhaupt seine Lage zu verbessern. Die Rückkehr und die starken Auftritte von Vermaelen machen es nicht leichter. Startelfeinsätze gab es für Bartra diese Saison gegen Levante, Las Palmas, Eibar, Villanovense, einmal gegen Borisov, und – schau an – sogar einmal gegen den Athletic Club in der Supercopa. In der Regel allesamt Gegner, die zu „den schwächsten“ gehören, gegen die Barça spielen muss. In der Liga 2014/15 ging es ebenfalls vornehmlich gegen Mannschaften der unteren Tabellenhälfte. In der Champions League erreichte Bartra ab den KO-Runden genau eine Einsatzminute. In der Copa del Rey wurde er immerhin noch im Achtelfinale gegen Elche eingesetzt und danach nicht mehr. Stellt sich die Frage, wie gut man sich verbessern kann, wenn man kaum spielt und wenn dann nur gegen Mannschaften, die einen defensiv kaum fordern, man aber für die Defensive verantwortlich ist.
Rätselraten um Montoya
Unter einem anderen Stern als Bartra steht wiederum Martín Montoya. Der Rechtverteidiger stand immer im Schatten von Dani Alves, konnte in seinen Einsätzen jedoch meist überzeugen und mit anderen Qualitäten auftrumpfen als der Brasilianer. Als klar wurde, dass Dani Alves seinen Vertrag 2015 nicht verlängern will und man auch keinen neuen Spieler verpflichten kann, wurde der Wunsch laut, dass Montoya nun verstärkt eingesetzt und gefördert werden sollte. Zur Verwunderung halbierten sich Montoyas Einsatzzeiten jedoch in der Saison 2014/15. Letzen Endes verlängerte Dani Alves seinen Vertrag doch noch – für Barça das Beste, für Montoya der endgültige Todesstoß. Warum genau die Entwicklung des einst vielversprechenden Talentes nicht voranschreiten konnte, ist immer noch vielen nicht klar.
Sturm-Ersatz: Sind Munir und Sandro wirklich schon bereit?
Von null auf … naja, nicht hundert. Nach einer starken Saison in der Youth-League kam Munir schnell in die B-Mannschaft und nach nur einem halben Jahr dort startete er 2014/15 bei den Profis, wurde in den Medien hochgelobt, seine Ausstiegsklausel von 12 Millionen Euro war im Visier mehrerer Vereine. Seit dieser Saison ist er zusammen mit Sandro fester Bestandteil der ersten Mannschaft, doch rechtfertigen die Leistungen der beiden das schon? Beides unterschiedliche Spielertypen, beide mit teils guten Leistungen, aber auch sehr vielen minderwertigen Auftritten. Immerhin, neben dem Tridente gibt es keine Stürmer im Kader, so kommen beide auch zu ihren Einsätzen. Der Ausfall von Messi sorgte zusätzlich für mehr Minuten für die beiden Akteure – wirkliche Empfehlungsschreiben stellten sie währenddessen nicht aus. Letzten Endes wurde ihnen dann Sergi Roberto auf der ihm ungewohnten Position im Angriff vorgezogen. Ab Januar steigt die Konkurrenz im Team und so kann man sich durchaus fragen, ob es nicht noch zu früh für Munir und Sandro ist.
Alternativen an jungen Stürmern hatte Enrique genügend. Mit Gerard Deulofeu geriet er angeblich kurz nach seinem Amtsantritt aneinander. Deulofeu war blitzartig leihweise in Sevilla und wechselte diesen Sommer für sechs Millionen Euro zu Everton. Dort freute man sich über seine Rückkehr und er wird regelmäßig von den Fans gefeiert. Bei Barça galt er einst als Wundertalent, später bemängelte man seine Einstellung. Sein Potenzial ist wahrlich sehr groß; wenn es zu einem Durchbruch bei Barça nur an seiner Einstellung gehapert haben sollte, bleibt offen, ob man dieses Problem wirklich nur damit lösen kann, indem man ihm aus dem Weg geht.
Eine weitere Alternative wäre Adama Traoré gewesen. Der 19-Jährige war in seiner Entwicklung schon viel weiter und hätte sein großes Talent zumindest bis zum Januar unter Beweis stellen können, wo man dann über seinen weiteren Werdegang hätte entscheiden können. Diese Möglichkeit wurde Adama allerdings nicht eingeräumt. Für 10 Millionen Euro verkaufte man ihn an Aston Villa – zwar mit dem Hintertürchen eines späteren Rückkaufs, aber faktisch wurde er verkauft.
Talente in B-Mannschaft werden ignoriert
Besonders erschütternd ist der wohl sicher bevorstehende Abgang von Alejandro Grimaldo. Fans und Experten waren sich einig: Aus diesem Jungen wird mal ein ganz Großer! Nun sieht die Sachlage anders aus. Der aufstrebende Linksverteidiger bekam unter Enrique noch keine einzige Chance, steht in der Rangliste hinter dem dürftig spielenden Adriano, der wiederum hinter dem eigentlichen Innenverteidiger Mathieu steht. Vielleicht steht er auch gar nicht auf der Rangliste. Laut eigenen Aussagen hat Enrique überhaupt noch nie mit Grimaldo gesprochen. Ende der Tragödie hätte im Sommer ein Verkauf an Levante sein können, über den sich die Vereine schon geeinigt hatten. Doch der gebürtige Valencianer sagte „Nein“ und bleibt diese Saison noch bei den Katalanen. In der dritten Liga. Noch immer macht er sich Hoffnungen auf eine Blaugrana-Karriere. Doch sein Vertrag läuft 2016 aus und so sieht alles danach aus, als ob Alex Grimaldo ablösefrei das Weite suchen wird.
Ein weiterer Hoffnungsträger aus der B-Mannschaft ist Sergi Samper. Der defensive Mittelfeldspieler wird schon lange dank seiner sicheren, abgeklärten Spielweise beobachtet. Zugegeben, mit Samper hat Enrique schon einmal gesprochen und ihn auch z. B. für die erste Copa-Runde in die erste Mannschaft geholt. Ansonsten muss sich Samper in der dritten Liga herumschlagen. Das ist vielleicht nachvollziehbar, wenn man sich die Personalien in der ersten Mannschaft anschaut. Doch der gleichzeitige Ausfall von Messi, Rafinha und Iniesta ist eigentlich die Chance schlechthin für den 20-Jährigen gewesen. Eigentlich. Samper wurde übergangen; stattdessen stand Gerard Gumbau immer wieder im Kader der ersten Mannschaft und das obwohl seine Leistungen in seinen kurzen Einsätzen immer irgendwo zwischen „geht so“ und „Katastrophe“ einzuordnen waren. Bleibt zu hoffen, dass der Zug bei Samper noch nicht abgefahren ist und er noch ernsthafte Chancen bekommt, sich zu beweisen. Wenn nicht, stehen Mannschaften wie Arsenal schon vor der Tür – vielleicht schon im Januar.
Es geht auch anders: Sergi Roberto verblüfft die Culés
Wenn auch die Liste an Kritikpunkten lang ist, gibt es unter den Talenten doch noch Wunder. Die Rede ist von Sergi Roberto, der Überraschung der Saison. Erst begann der Strahlemann als Rechtsverteidiger zu überzeugen; später stellte sich heraus, dass sein Leistungsschub keineswegs der positionsmäßigen Umstellung geschuldet war. Auch im Mittelfeld, seiner ursprünglichen Position, explodierten seine Leistungen und sogar im Angriff gab Sergi eine bessere Figur ab als die Stürmer Munir und Sandro. Hoffen wir, dass dies keine vorübergehende Phase ist, sondern dass sich Sergi Roberto tatsächlich als wichtiger Bestandteil der Mannschaft etablieren kann.
Auch Rafinha entwickelte sich bis zu seiner Verletzung hervorragend. Dem jüngeren Bruder von Thiago tat seine erste Saison bei Barça keinen Abbruch und seine Entwicklung lief, wie zu erwarten war, in hohem Tempo weiter. Sehr bitter ist die lange Zwangspause wegen des Kreuzbandrisses; hoffentlich ist dies kein allzu großer Einschnitt in Rafinhas Karriere.