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Für den FC Barcelona bleibt kaum Zeit zum Durchschnaufen, das ‘El Clásico’ gegen Real Madrid steht in wenigen Tagen vor der Tür. Das Spiel gegen den AC Milan am Dienstag empfanden viele als ein wenig ernüchternd und dementsprechend ist auch ihre Erwartungshaltung im Hinblick auf das vermeintlich größte Spektakel der Hinrunde. Es gibt aber auch eine andere Gefühlsströmung, die der Partie gegen den italienischen Traditionsverein einige Hoffnungsschimmer abgewinnen kann und dem Spiel gegen die Weißkittel durchaus mit Zuversicht entgegensieht. Die Wahrheit ist, wie so oft, irgendwo in der Mitte.
1:1-Unentschieden trennten sich der FC Barcelona und der AC Milan nach 90 Minuten, die zuweilen intensiv waren, andererseits aber auch immer wieder die Zuschauer vor eine Geduldsprobe stellten. Am Ende wäre ein Sieg der Katalanen in Ansehung der erspielten Torchancen verdient gewesen, das “Hätte, wäre, wenn…” dürfte die Kritiker jedoch in keiner Weise versöhnen. Trotzdem spiegelt die Anzahl der Torchancen einen Fortschritt wieder, den die Mannschaft im Verhältnis zur letzten Saison erzielt hat.
Ein Fortschritt im Vergleich zur letzten Spielzeit?
Noch beim letzten Aufeinandertreffen im San Siro hatte die Mannschaft massive Schwierigkeiten, sich Möglichkeiten herauszuspielen. Auch in den Jahren davor waren herausgespielte Chancen vor des Gegners Tor rar gesät. Gestern sah das deutlich anders aus, zumindest was die erste Halbzeit anbelangt. Man erspielte sich in zwar langen, aber regelmäßigen Abständen Möglichkeiten und hätte – der Konjunktiv sei hier verziehen – mit etwas mehr Konsequenz Tore erzielen können. Auch qualitativ waren die Torchancen bemerkenswert.
Die Ansätze, wie man zu den Möglichkeiten gekommen ist, waren interessant. Die Mannschaft war sich der Tatsache bewusst, dass man die Angriffsspieler im Strafraum nur schwer in Szene setzen kann, wenn sich die Mailänder formiert haben. Aus diesem Wissen heraus hat der FC Barcelona den Druck auf den AC Milan kontinuierlich erhöht, bis in der ersten Halbzeit ein Punkt erreicht war, ab dem die Katalanen den Ball, den Gegner und den Raum kontrolliert haben. Die meisten Tormöglichkeiten und auch das Tor durch Lionel Messi resultierten aus Ballverlusten des Gegners, die durch das vorbildliche Arbeiten gegen Mann und Ball provoziert worden sind. Und das ist etwas, was mit Blick auf ‘El Clásico‘ Mut machen sollte. Es gab Phasen im Spiel, in denen die Intensität hoch war und die Mannschaft den Gegner förmlich zugeschnürt hat. Angriffs-, Mittelfeld- und das Gegenpressing funktionierten gut und erleichterten das gefährliche Vordringen vor den gegnerischen Kasten.
Erstaunlicherweise konnte der FC Barcelona auch dann gefährlich vor das Tor kommen, wenn der Gegner formiert war. Die Spieler waren viel in Bewegung und suchten stetig nach Lücken im gegnerischen Verbund, die manchmal auch gefunden wurden. Warum die zweite Halbzeit derart schleppend verlief, lässt sich nur schwer beantworten. Der AC Milan hat seine Spielweise nach der Halbzeit nicht grundlegend verändert, sodass die Antworten bei den Spielern von Barça gesucht werden sollten.
‘El Clásico’: Piqué und Mascherano ein Risiko?
Das leitet auch schon zu einem weiteren Thema über, der Innenverteidigung. In den letzten Wochen war sie noch der Stolz der Mannschaft, seit dem Spiel gegen Milan ist ein Verkauf von Javier Mascherano und womöglich sogar von Gerard Piqué wieder ein Thema. So schnell kann es gehen, so läuft nun mal die Welt des FC Barcelona. Dabei lieferten beide Spieler bis auf den Aussetzer ein passables Spiel ab, das nicht durch eine im besonderen Maße erhöhte Fehlerquote gekennzeichnet war. Ungeachtet dessen spielen beide Spieler bisher eine eindrucksvolle Hinrunde und sind wichtige Säulen der Mannschaft. Fehler kommen in den besten Mannschaften vor, und es mutet daher seltsam an, wenn eine unglückliche Spielsituation, eine Momentaufnahme zum Anlass genommen wird, die Spieler zu hinterfragen und sie sich auf die Bank oder gar aus der Mannschaft zu sehnen.
Nicht nur die Innenverteidigung bekam ihr Fett weg, auch den Mittelfeldspielern Xavi und Iniesta wurde großzügige Kritik zuteil. Hier liegt die Sachlage aber nicht ganz so einfach wie bei Piqué und Mascherano. Beide Mittelfeldakteure scheinen ihrer einstigen Topform ein wenig hinterherzulaufen, punkten dafür aber mit ungeahnten Defensivqualitäten und bringen sich voll in die Defensivarbeit ein. Xavi hätte im Camp Nou gewiss für die ein oder andere Balleroberung Szenenapplaus bekommen, weil er sich einem Gegner beharrlich in den Weg stellte oder ihn über viele Meter hinweg verfolgte. Offensiv tun sich Xavi und Iniesta allerdings etwas schwer. Iniestas Qualitäten als Nadelspieler kommen kaum mehr zur Geltung und auch Xavi vermag offensiv nur wenige Impulse zu setzen. Man muss aber noch abwarten, wie sich das entwickelt, bevor man sich eine endgültige Meinung bilden kann. Für die Beförderung des runden Leders in die Fußballtore, die diesmal untypisch für Felix Brych mit einwandfreien Netzen bespannt worden sind, waren beide noch nie zuständig. Aber etwas mehr Impulse und Zug aus der Spielfeldtiefe heraus darf man von den Mittelfeldspielern erwarten.
Auch andere Mannschaften können kicken
Kollektivtaktisch kann man der Mannschaft, was die erste Halbzeit anbelangt, wenig vorwerfen. Gegen Real Madrid wird es unter anderem und vorbehaltlich spezieller Spielumstände darum gehen, schneller eine hohe Intensität zu erreichen und sie länger aufrechtzuerhalten. Selbst wenn der Mannschaft dies gelingen sollte, darf man nicht davon ausgehen, dass Real Madrid in diesem Spiel ohne Chancen bleibt. Gute Mannschaften mit hervorragenden Spielern finden immer einen Weg, sich vor Víctor Valdés in Szene zu setzen. Auch der AC Milan verfügt über erstklassige Akteure, die schlicht gegen jede Mannschaft in der Lage sind, Tore zu erzielen. Das musste auch Juventus Turin feststellen, eine bekanntlich starke italienische Mannschaft mit Champions League-Ambitionen.
Um die Gemüter etwas abklingen zu lassen, wäre es angeraten, sich auch der Klasse der Gegner richtig bewusst zu werden. Ferner sollten nicht nur die negativen, sondern auch die positiven Aspekte des Spiels gegen Milan in die eigene Rechnung einbezogen werden. Es war kein berauschendes Spiel gegen Milan, aber ein Spiel mit Phasen, die die Hoffnungen auf einen Sieg im ‘El Clásico’ am Leben erhalten. Zumal das Spiel im Camp Nou stattfindet und eine Choreografie zu Ehren von Tito Vilanova geplant ist – Ein Sieg ist damit quasi Pflicht. Die Spieler scheinen auch richtig heiß auf das Duell.