Hand aufs Herz: Wie ist euch vor El Clásico am Sonntag genau zumute? Freut ihr euch auf die Partie von Real Madrid gegen den FC Barcelona oder leidet ihr körperliche Qualen in den Tagen und Stunden vor dem Anpfiff? Eine häufige Unbekannte und damit ein potenzieller Stressfaktor sind die Form und das Leistungsvermögen des Gegners. Aus diesem Grund haben wir uns das Spiel der Madrilenen etwas genauer angesehen und verraten euch, was von den Weißkitteln erwartet werden kann.
Die Aufregung vor El Clásico zwischen Real Madrid und dem FC Barcelona wird von Tag zu Tag immer größer. Es ist daher höchste Zeit, den Gegner in den Fokus zu nehmen und seine Spielweise zu beleuchten. Wir haben uns zu diesem Zweck das Spiel der Madrilenen am vergangenen Wochenende gegen den FC Málaga angeschaut. Obwohl sich das favorisierte Team auswärts mit 1:0 durchsetzen konnte, war ihr Auftreten nur unter wenigen Gesichtspunkten eine Offenbarung. Trotzdem ging der Sieg in Ordnung, weil sie auch in Ansehung einer durchschnittlichen Darbietung mehr Möglichkeiten hatten und nach vorne hin mehr Qualität ausstrahlten. Ihre taktische Marschrichtung kam in der Partie besonders gut zum Vorschein und ermöglichte eine unkomplizierte Aufschlüsselung der Dinge, auf die der FC Barcelona am Sonntag achtgeben muss.
Real Madrid: 4-3-3 in Reinkultur
Den meisten wird bereits die grundsätzliche schematische Anordnung der Spieler von Real Madrid zu Ohren gekommen sein. Carlo Ancelotti setzt auf ein 4-3-3, das in derart reiner Form aber wohl nur selten anzutreffen ist. Die Besonderheit des 4-3-3 gegen Málaga lag darin, dass es sowohl ihre Offensivformation und zumeist auch Defensivformation treffend beschrieb. Fast immer verfolgen Mannschaften in der geordneten Angriffs- wie auch Verteidigungsphase jeweils zwei verschiedene Ansätze. Der FC Barcelona zum Beispiel verteidigt oft im 4-4-2 oder 4-1-4-1, während die Mannschaft in der Angriffsphase zu totaler Offensive übergeht und dementsprechend sehr viele Spieler aufrücken. Die schematische Anordnung des 4-3-3 ist im Spiel von Barça faktisch also niemals anzutreffen. Ganz anders bei Real Madrid, die fast ein bilderbuchartiges 4-3-3 auf dem Platz abbilden. Das bringt erhebliche Konsequenzen mit sich, auf die wir sogleich eingehen werden. Es folgt zunächst einmal die Aufstellung der Madrilenen im Spiel gegen Málaga:
Real Madrid: Lopez – Marcelo, Varane, Pepe, Carvajal – Isco, Alonso, Modrić – Ronaldo, Benzema, Bale.
Bereits auf dem Papier erscheint die Ausrichtung der Madrilenen sehr offensiv, auf dem Platz sah es nicht wesentlich anders aus. Ronaldo, Benzema und Bale waren weitgehend von defensiven Pflichten befreit und verharrten selbst dann vorne, wenn Málaga sie umspielt hat. Nur wenn die Andalusier sich im zweiten oder gar dritten Spielfelddrittel festsetzten und in Überzahl den Ball halten konnten, bewegten sich die Flügel zurück und halfen aus. Die Vorteile dieser Spielart liegen auf der Hand: Die Wege der Offensivkräfte zum Tor von Málaga verkürzen sich und machen Konter noch gefährlicher. Bei Ballgewinn haben die Spieler von Madrid viele vertikale Passoptionen und selbst unkontrollierte Befreiungsschläge nach vorne können mit ein wenig Glück und Können beim Kampf um den Ball eine gute Tormöglichkeit einleiten.
Hohe vertikale Abstände und fehlende Breite
Im Spiel gegen den FC Málaga konnte man aber auch die Defizite ihrer Herangehensart gut nachvollziehen. Diese kamen zum einen beim Angriffspressing zum Vorschein. Madrid presste im 4-3-3, bei dem Benzema und je nach der Richtung von Málagas Spieleröffnung Ronaldo oder Bale die Innenverteidiger übernahmen. Das Offensivpressing ging nicht sofort los, sondern erst nach Ballannahme durch einen der Innenverteidiger, entweder Ferreira oder Sánchez. Effektiv war das Pressing der Madrilenen aber nicht, weil einer der beiden Sechser, wesentlich häufiger Tissane, stets als Anspielstation zur Verfügung stand. Bale lief Ferreira zwar meist bogenförmig an und nahm damit auch Antunes, den linken Außenverteidiger Málagas, aus dem Spiel; aber Tissane war frei, und nach Ballannahme durch ihn ging der Ball schnell nach Linksaußen auf den aufrückenden Antunes, der vor sich jede Menge Freiraum hatte.
Was war das Problem bei den Madrilenen? Antwort: Hauptsächlich die vertikalen Abstände beim Angriffspressing. Die Abstände zwischen Angriff und Mittelfeld waren sehr groß, sodass Luca Modrić weite Wege zurücklegen musste, um Tissane unter Druck zu setzen. Er orientierte sich sehr spät an ihm und hinterließ damit – von ihm aus gesehen – auf der rechten Seite ein Vakuum. Auch Carvajal, rechter Außenverteidiger von Madrid, konnte dieses nicht schließen. Er hielt großen Respektabstand zum Mittelfeld und wurde darüber hinaus von dem starken Amrabat beschäftigt. Wenn er rausrücken würde, müssten die Innenverteidiger in Amrabats Richtung verschieben und würden mit dem breit gefächerten Angriffsspiel von Málaga Probleme bekommen.
Die hohen vertikalen Abstände im Spiel von Real Madrid machten sich auch beim Aufbauspiel aus der Defensive heraus bemerkbar. Es fand praktisch nur über lange Bälle nach vorn statt. Málaga presste seinerseits in einem 4-4-2 und Tissane hatte die Aufgabe, Luka Modrić am Aufbauspiel zu stören. Ohne Modrić hatten die Innenverteidiger keine ballnahe Anspielstation, und so blieb ihnen fast immer nur der lange Ball nach vorne. Alonso und Isco machten auch keine Anstalten, einen gepflegten Spielaufbau von hinten heraus zu fördern. Sie positionierten sich für den zweiten Ball und warteten an der Mittellinie.
Real Madrid versuchte das Pressing zum Teil aber auch mit langen, flachen Pässen auf die Flügelstürmer zu parieren. Diese zogen sich manchmal zurück, während Modrić und Carvajal durch ihre Laufwege eine kleine Gasse für einen Pass öffneten. Eine gute Lösung war das nicht unbedingt, weil die Flügel als Aufbauspieler nicht sonderlich viel drauf haben und ohnehin von den Außenverteidigern unter Druck gesetzt wurden.
Ein zweites Problem im Spiel von Real Madrid war ein Mangel an Breitenstaffelung im zweiten Spielfelddrittel. Die Sturmreihe war zwar relativ breit postiert, durch das nur sporadische Zurückarbeiten der Flügelspieler war das engstehende Mittelfeld aber genötigt, hohe Laufwege auf sich zu nehmen. Der für ein 4-3-3 in Reinkultur typische Mangel an Breitenstaffelung verschärfte sich noch durch die oben beschriebenen Missstände beim Offensivpressing. Alles in allem gab das Spiel des Tabellenführers aus Sicht von Málaga also genug Mängel her, um zum Erfolg zu kommen. Warum konnten sie daraus keinen Profit schlagen? Oder konkreter: Warum konnte sich der Gastgeber nicht mal eine vernünftige Torchance herausspielen?
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Trotzdem deutliches Chancenübergewicht: Woran lag’s?
Das lag vor allem an Madrids Defensivordnung, die stets intakt war. Alonso stand ohnehin sehr nahe an der Abwehr bei der Innenverteidigung, ein weiterer defensiver Achter sorgte für zusätzliche defensive Stabilität bei Angriffen von Málaga, und zwar auch dann, wenn sie alles nach vorne warfen. Die Nachteile, die ihnen ihr System auferlegte, kompensierten sie durch einen sehr starken Einsatz hinten. Je näher die Andalusier an ihr Tor rückten, desto höher erschien der Druck. Real Madrid besitzt erstklassige Defensivakteure, welche die Spieler richtig hart in die Mangel nehmen.
Auf der anderen Seite fehlte den Spielern bei Málaga auch die nötige Besonnenheit, um ihre Angriffe sauber zu Ende zu spielen. Häufig wurde der Ball völlig unnötig nach vorne geschlagen, obwohl Spieler aufrückten und Anspielstationen vorhanden waren. Auch ihre typischen Seitenüberladungen brachten an diesem Tag keine Früchte, weil letztendlich auch die individuelle Klasse fehlte, die Defensive aus der Hauptstadt in Bedrängnis zu bringen.
Ganz anders die Madrilenen, die keine herausragende Partie ablieferten, sich aber trotzdem einige hundertprozentige Torchancen herausspielen konnten. Sie haben offensiv die Klasse, um auch ohne Unterstützung des Mittelfelds vorne richtig einzuheizen. Bale und Ronaldo fackelten nicht lange und suchten auch gegen zwei, drei Gegenspieler den Weg in Richtung Tor. Insbesondere Bale war ein ständiger Unruheherd und von dem Gegner kaum zu bändigen. Natürlich spielte der Offensivfraktion auch in die Karten, dass der FC Málaga sich vor heimischem Publikum nicht versteckte und mit vielen Spielern angriff. Die Außenverteidiger Antunes und Angeleri hielten sich nicht zurück und marschierten wann immer möglich nach vorn. Und trotzdem: Madrid ist eine Offensivmacht. Gegen dieses Angriffstrio hat es jede Abwehr schwer. Auch wenn hinten der Ball blind rausgeschlagen wird, können diese Spieler noch etwas daraus machen. 21 Dribblings aufseiten von Madrid sprechen eine klare Sprache. Auf der anderen Seite ist die Mannschaft damit stark von Einzelaktionen und der Form der Spieler abhängig.
Obwohl die Angreifer im Spiel gegen Málaga wenig Unterstützung von Mittelfeld bekamen, waren sie also brandgefährlich. Das lag auch an Ronaldo, der vorne viel unterwegs war und Bale wenn notwendig beim Angriff unterstützte. Das bedeutet nicht, dass die Fluidität im Angriffsspiel besonders hoch gewesen wäre. Bale wich kaum von seiner Position ab und auch Benzema hielt sich überwiegend zentral. Nur Ronaldo hatte eine freie Rolle und nutzte seinen Bewegungsradius voll aus. Auch sonst war von Fluidität im Spiel von Madrid wenig zu sehen. Zur Verdeutlichung dient die folgende Grafik der durchschnittlichen Spielerpositionen:
Nicht nur vorne war die horizontale Fluidität gering, auch das Mittelfeld agierte sehr positionstreu und zum Teil mit respektablen Abständen der Spieler zueinander. Anders sah dies bei Málaga aus: Amrabat, Duda, Samuel und Santa Cruz waren ständig in Bewegung und praktizierten ein sehr fluides Offensivspiel. Amrabt wechselte häufig die Seite und ging auch mal in die Spitze, um seine Schnelligkeit einzubringen. Santa Cruz wiederum ließ sich immer wieder zurückfallen oder auf die Seiten hinaustragen und fungierte primär als Bandenspieler. Sie haben viel versucht, aber gegen Madrid gab es kein Vorbeikommen. Bei der Grafik kommen sehr schön die angesprochenen hohen Abstände der Spieler zueinander zum Vorschein, wobei angemerkt werden muss, dass die Endphase der Partie die tatsächlichen Spielerpositionen etwas verfälscht hat. Bale arbeitete in den letzten Minuten zurück, um den knappen Vorsprung über die Zeit zu bringen. Die Position von Isco muss auch relativiert werden. Nach der verletzungsbedingten Auswechslung von Benzema in der ersten Halbzeit für Di Maria spielte Isco eine Falsche Neun und war demnach häufiger vorne anzutreffen. Ebenfalls auffällig die hohe Positionierung des linken Außenverteidiger Antunes aufseiten von Málaga. Er nutzte schlicht den Platz, den ihm die Spielweise von Madrid lieferte.
Rückschlüsse für El Clásico
Welche Schlüsse kann der FC Barcelona aus der Spielweise von Real Madrid für El Clásico ziehen? Tata Martino sollte auf jeden Fall über die Rolle der Außenverteidiger nachdenken. Wenn die Offensivfraktion wie gegen Málaga auftritt, werden Jordi Alba und Dani Alves viel Platz vorfinden. Wenn einer nach vorne marschiert und nicht gecovert wird, könnte Barça davon im zentralen zweiten Spielfelddrittel profitieren. Andererseits ist die Gefahr groß, ausgekontert zu werden, wenn das Unternehmen nicht aufgeht und die starke Defensive der Weißkittel ihrem Namen alle Ehre macht. Alba und Alves gehören zu den sprintstärksten Spielern in den Reihen des FC Barcelona und werden hinten gegen Bale und Ronaldo dringend gebraucht. Vor allem auf der Seite von Piqué erscheint ein restriktiver Vorwärtsdrang von Alves als der Schlüssel für mehr defensive Sicherheiten.
Dies führt weiter zu der zweiten Frage: Wer greift Madrids Flanken an, um die typische Charakteristika in ihrem Spiel auszunutzen und das Spiel allgemein auseinander zu ziehen? Tata Martino wird voraussichtlich vier Mittelfeldspieler aufbieten und den vakanten Platz neben Messi mit Neymar besetzen. Damit bliebe Pedro und Sánchez nur ein Platz auf der Bank. Bei beiden handelt es sich um Spieler, die nicht nur die Flügel stark bearbeiten, sondern desgleichen auch defensiv viel Stabilität durch ihren ungebrochenen Einsatz vermitteln. Mit ihrem Aufgebot könnte der Trainer Bale und Ronaldo gut bewachen lassen, ohne an Durchschlagskraft auf den Flügeln einzubüßen.
Für die Variante mit vier Mittelfeldspielern spricht das hohe Maß an Ballkontrolle. Ohne den Ball wird Real Madrids Offensive nicht zum Zug kommen. Allerdings ist Barça auf einen Sieg angewiesen und wird deshalb vorne Risiko gehen müssen, was wiederum das Risiko von Ballverlusten und Kontern erhöht, wenn das Gegenpressing fehlgeht; oder aber Madrid sich gar nicht erst pressen lässt und den Ball sofort rausschlägt. Es ist ohnehin zweifelhaft, ob vor dem Hintergrund der Spielweise gegen Málaga ein zusätzlicher Mittelfeldspieler zwingend notwendig erscheint. Wenn man ihre Herangehensweise am Wochenende zugrunde legt, wird ein solcher zur Sicherung der Ballhoheit und Kontrolle gar nicht erforderlich sein. Es sei denn, Carlo Ancelotti führt weitreichende Veränderungen durch und zieht seine Flügel zurück. Alles in allem also keine einfache Ausgangslage für Tata Martino. Mit Pedro und Alexis aber kann er kaum etwas falsch machen.