In einem Interview spricht Andres Iniesta über die Situation in La Masia, den Zustand des FC Barcelona, die Anpassungsprobleme Frenkie de Jongs und Antoine Griezmanns und seine Ziele nach seinem Karriereende.
Andres Iniesta stand der Marca und dem Guardian Rede und Antwort. Wir haben die spannendsten Aussagen des Ex-Mittelfeldspielers des FC Barcelona übersetzt.
Frage: Wie erleben Sie die Coronavirus-Krise?
Andres Iniesta: “Es ist schon ein bisschen seltsam, sowohl beruflich als auch privat. Ich freue mich schon, wenn sich alles wieder normalisiert.”
Es scheint, dass der Wahnsinn der 100-Millionen-Transfers mit dem Coronavirus enden wird. Welche positiven Dinge kann der Fußball daraus ziehen? Uli Hoeneß sagte kürzlich, dass der Fußball nach dieser Krise nicht mehr derselbe sein wird.
“Sicherlich wird es anders sein, nach allem, was wir momentan global und auf gesellschaftlicher Ebene erleben. Dies wird in jeder Hinsicht viele Konnotationen haben. Aber aus den schlechten und sehr schlechten Dingen schöpfen wir immer wieder Kraft oder versuchen, dass diese negativen Dinge uns, vor allem als Gesellschaft, dazu bringen, die Dinge anders zu sehen und das zu betrachten, was wirklich wichtig ist. Wir alle müssen erkennen, was wir tun. Was geschieht, ist keine individuelle, sondern eine kollektive Angelegenheit, und hier wird die Stärke gemessen, die wir als Menschen und Kollegen haben. Es wird uns viele Dinge lehren, aber das Schlimme ist, dass es überhaupt passiert ist, weil es viele Leben kosten wird.”
Ihr Wunsch war es immer, bei Barça zu spielen, aber dieser Traum begann mit vielen Schwierigkeiten.
“Es gab tatsächlich verschiedene. Einerseits in dem Moment, in dem ich nach Barcelona kam, wo ich persönlich in dem Sinne litt, dass ich mich mit zwölf Jahren von meiner Familie getrennt war. Es war schwer zu ertragen. Auf der anderen Seite hatte ich, als ich in der ersten Mannschaft angekommen war, Schwierigkeiten, einen Platz zu finden. Aber ich habe mir immer vertraut und letztlich habe ich bekommen, was ich wollte.”
Als Sie einmal ein Jugendturnier gewannen, überreichte Ihnen Guardiola die Trophäe und sagte Ihnen, dass Sie es schaffen würden.
“In diesem Moment sagte er mir, dass er Jahre später auf der Tribüne stehen und mich in der ersten Mannschaft spielen sehen würde, und er hatte Recht. Letztlich war es noch mehr, weil er sogar mein Trainer wurde und wir einzigartige Momente im Klub erlebt haben. Es war etwas Großartiges, dies miterleben zu dürfen.”
Glauben Sie, dass Bartomeu durch die jüngsten Vorkommnisse sehr geschwächt wurde?
“Die nächsten Wahlen werden dahingehend Klarheit schaffen. Am Ende werden die Mitglieder sagen, ob sie mit allem, was passiert ist, zufrieden sind oder nicht.”
Was geschieht mit diesem Barça, das bezogen auf sein Spiel nicht mehr die Frische der Vergangenheit hat?
“Wenn ich ehrlich bin, werde ich Barça immer anders als alle anderen Mannschaft wahrnehmen, und zwar als Einheit mit dieser einen Spielidee. Manchmal klappt das besser, manchmal schlechter, aber ich sehe das immer noch so. Vielleicht liegt es daran, dass ich mein ganzes Leben lang dort war und weiß, was die Spieler denken.”
Glauben Sie, dass Quique Setién den Cruyff’schen Stil durchsetzen kann, den er so sehr liebt?
“Der Trainer hat sehr klare Vorstellungen davon, was er sich für seine Spieler wünscht und wie sie spielen sollen. Es ist noch zu früh, um zu sagen, ob er sein Ziel erreicht hat oder nicht. Er hat nur zwölf Spiele als Trainer absolviert. Das sind zu wenig, um seine Leistung so detailliert zu analysieren. Es muss noch etwas Zeit vergehen, bis wir dies besser beurteilen können.”
Es sieht so aus, als würde Ivan Rakitic den Verein verlassen. Gleichzeitig ist Frenkie de Jong wohl noch nicht ganz bereit. Wer von den beiden sollte spielen?
“Ich weiß es nicht. Sie sind schwer zu vergleichen. Ich habe immer gesagt, dass alles anders sein wird als das, was die Culés im Kopf haben, aber es muss nicht schlimmer sein als das, was sie erlebt haben. Sie sind sehr gute Spieler und das Einzige, was Barça tun muss, ist, eine klare Vorstellung vom Spiel zu haben und von dort aus nach Spielern mit den passenden Profilen zu suchen. De Jong ist gerade erst angekommen, er braucht diese Anpassungszeit noch.”
Warum ist es für Antoine Griezmann so schwierig, sich einzuleben?
“Es ist ein ähnlicher Fall wie der von de Jong. Griezmann und die anderen Neuzugänge, die jedes Jahr kommen, brauchen Zeit. Sie haben ein enormes Talent und werden sicherlich am Ende erfolgreich sein und einen Platz in dieser Mannschaft bekommen.”
Ist La Masia noch so stark wie zu früheren Zeiten, als Sie, Xavi, Puyol, Busquets etc. hochkamen?
“In der Vereinsgeschichte hat es alle möglichen Epochen gegeben: Früher bekamen junge Spieler in der ersten Mannschaft eine Chance, wenn die Ergebnisse schlecht waren und sie sich an die Jugendmannschaft wenden mussten. Dann kommt die Zeit, in der man zehn, elf, zwölf Spieler aus der Jugendmannschaft im Kader der ersten Mannschaft hat. Das geschah in meiner Ära. Wir haben viele Jahre in diesem Verein verbracht, wir sind hier aufgewachsen, seit wir sehr jung waren, wir alle wurden hier als Menschen geformt, wir sind in die erste Mannschaft gekommen und dort zehn bis 15 Jahre geblieben, wir sind Kapitäne geworden. Es ist schwierig, dass so etwas passiert [so viele La-Masia-Absolventen gleichzeitig in der ersten Mannschaft spielen]. Es ist sehr schwierig. Wir sprechen von Barcelona, einem Klub mit den besten Spielern. Es hängt davon ab, wer der Trainer ist, von der Situation des Vereins… – aber ich denke immer, dass ein Jugendspieler, der gut genug ist, um in der ersten Mannschaft zu spielen auch den Sprung in die erste Mannschaft schafft.”
Was halten Sie von der neuen Einkaufspolitik Barças, junge Talente wie Gustavo Maia zu holen?
“Ich denke immer, dass die richtige Balance entscheidend ist. In der Lage zu sein, Verpflichtungen zu antizipieren, die in der Zukunft wichtig sein könnten ist begrüßenswert. Die Vereine versuchen, auf dem Laufenden zu sein, ohne dabei ihre eigene Jugendabteilung zu vernachlässigen. Ich denke, es ist gut für den Klub, den ganzen Markt im Auge zu behalten.”
Halten Sie es für möglich, Ihren 2021 auslaufenden Vertrag darüber hinaus zu verlängern?
“Wir wollen wieder spielen, und wir wollen, dass alle wieder Freude daran haben können. Dann werden wir weitersehen. Diese Pause gibt mir etwas Kraft, um zu versuchen, meine Karriere zu verlängern, aber jetzt denken wir nur noch daran, diese so komplizierte Situation zu überwinden. Der Fußball ist in den Hintergrund gedrängt worden, aber ich versuche, körperlich stark zu bleiben für den Zeitpunkt, wenn es wieder weitergeht, auch wenn wir nicht genau wissen, wann das sein wird.”
Vor kurzem sagten Sie, dass Sie sich selbst in Zukunft als Trainer sehen. Was hat sich an Ihrer Sichtweise des Fußballs geändert, dass Sie über diese Option nachdenken? Welche Trainer der Gegenwart oder der Vergangenheit dienen als Referenz?
“Die Idee war schon immer vorhanden, aber solange ich nicht aufhöre, Fußball zu spielen, wird es schwierig sein, den Trainerschein zu machen. In der Zwischenzeit versucht man, immer wieder Situationen zu lernen, die einem beim Lernen helfen. Was die Referenzen betrifft, so habe ich eine kleine Vorstellung von dem Spiel, das ich spielen lassen möchte. Ich habe immer beim gleichen Verein gespielt, aber wir werden sehen. Es bleibt mir noch viel Zeit, um auf der Bank zu sitzen. Wenn ich Trainer bin, werde ich sicherlich andere Dinge sehen als die, die ich heute als Spieler sehe. Warten wir ab, was passiert.”
Hat Ihr Freund Xavi Sie ermutigt, Ihre Karriere auf der Trainerbank fortzusetzen?
“Ich rede ich immer noch viel mit ihm, auch über das Trainer-Dasein. Und er hat mich auch ermutigt, es zu versuchen. Er freut sich, dass ich Trainer werden möchte. Für diejenigen von uns, die den Fußball mögen und viel über ihn nachdenken, ist diese Möglichkeit natürlich verlockend. Ich bin zufrieden damit, wie er mit dieser neuen Aufgabe zurechtkommt, und vielleicht werde ich in Zukunft in einer ähnlichen Situation sein.
Können Sie sich Ihr weiteres Leben ohne Fußball vorstellen?
“Ich sehe mein Leben auch weiterhin mit dem Fußball verbunden, denn das ist es, was ich mein ganzes Leben lang getan habe. Ich weiß nicht, was genau passieren wird, aber ich würde gerne auf irgendeine Weise oder irgendwo mit dem Sport verbunden bleiben, je näher am Ball, desto besser, denn das ist es, was ich seit meiner Geburt liebe. Ich hoffe, dass ich immer mit dem Fußball in Verbindung gebracht werden kann, denn ich gehöre zu den Menschen, die immer an den Ball denken.”