Herzlichen Glückwunsch, Frank Rijkaard! Der ehemalige Spieler und Trainer des FC Barcelona feiert heute seinen 51. Geburtstag. Barçawelt sieht in dem Niederländer eine Lichtgestalt des FC Barcelona, die trotz ihres letztendlichen Scheiterns sehr viel für den Verein geleistet hat und mit dem Herzen stets bei Barça war. Unsere Lektorin ‘Molero’ hat aus diesem Grund eine Abhandlung über Frank Rijkaard verfasst, die alle Facetten seines Wirkens Revue passieren lässt. Eine Pflichtlektüre für jeden Culé.
Die zwei Gesichter des Frank Rijkaard
von C. Molero
„Gewappnet mit der Geduld eines Rastafari-Fischers und der Heiterkeit eines Zenmeisters“
– wie es der katalanisch schreibende Autor Sergi Pàmies beobachtet – baut Frank Rijkarad in den fünf Jahren von 2003 – 2008 eines der größten Barça-Teams aller Zeiten auf. Umso unverständlicher erscheint es, dass seine Verdienste als Trainer bei vielen Fans des FC Barcelona einfach in Vergessenheit geraten sind. Mag sein, dass es dem Desaster in der Saison 2007/08 geschuldet ist, seinem Burnout oder aber der Tatsache, dass auf ihn eine wahre Trainer-Lichtgestalt folgt, die alles Vergangene in den Schatten stellt, Pep Guardiola.
Heute wollen wir uns aber diesem Trainer widmen, der die „Kunst des schönen Spiels“ weitervermittelte und seinem Nachfolger ein fantastisches Team mit Stars wie Deco, Eto’o, Márquez und klubeigenen Spielern wie Valdés, Puyol, Xavi und Iniesta hinterließ.
Franklin Edmundo Rijkaard wurde am 30.9.1962 in Amsterdam geboren und gab am 23. August 1980 als Mittelfeldspieler bei Ajax Amsterdam sein Debüt. In den Jahren 1981/82, 1983/83 und 1984/85 wurde er mit Ajax Meister, dreimal KNVB-Pokalsieger (Königlich-Niederländischer-Fußballbund) und 1987 unter dem Trainer Johan Cruyff Europapokalsieger. Mit der niederländischen Nationalmannschaft gewann er 1988 die Fußballeuropameisterschaft.
Im September 1987 kam es zum Bruch zwischen dem Mittelfeldspieler und dem Trainer Johan Cruyff. Frank flüchtete ins Ausland und unterschrieb bei Sporting Lissabon. Da dieser Wechsel zu spät stattfand, wurde Rijkaard für alle Wettbewerbe gesperrt. Deshalb entschieden die Sporting-Verantwortlichen, ihn an den spanischen Vertreter Real Saragossa zu verleihen. Noch während dieser Zeit unterzeichnete Rijkaard einen Vertrag mit dem AC Mailand und schloss sich diesem zur Saison 1988/89 an. Dort entwickelte er sich zu einem der besten defensiven Mittelfeldspieler der Welt.
Spieler Rijkaard – „das Lama“
Im Achtelfinale der Fußball-Weltmeisterschaft 1990 in Mailand traf Rijkaard mit seinem Team auf die deutsche Nationalmannschaft. Dabei kam es zum Eklat, als Frank den deutschen Stürmer Rudi Völler beim Stand von 0:0 anspuckte. Der argentinische Schiedsrichter gab beiden Spielern die Rote Karte und verwies sie des Platzes. Als sich Völler und Rijkaard in Richtung der Kabinen begaben, sah man auf den Fernsehbildern, dass Frank nochmals in Richtung Völler spuckte. Diese Aktion galt als einer der prägendsten Momente der niederländisch-deutschen Rivalität. Rijkaard schrieb 1996 einen offenen Brief, in dem er sein Verhalten bedauerte.
Nachdem er mit dem AC Mailand 1988/89 und 1989/90 Europapokalsieger wurde und 1991 – 1993 italienischer Meister, 1992 Italiens Fußballer des Jahres und als „Bester ausländischer Spieler der Serie A“ gekürt worden war, lockte ihn im Sommer 1993 Louis van Gaal wieder nach Amsterdam. Dort bildete er mit Danny Blind den Defensivblock der Amsterdamer und holte auf Anhieb die niederländische Meisterschaft, welche man bis 1995 verteidigen konnte. Im Finale um den Europapokal der Landesmeister – inzwischen in UEFA-Champions League umbenannt – stand Rijkaard seiner alten Mannschaft aus Mailand gegenüber, das dritte Mal, nachdem man sich in Gruppe D schon duelliert hatte. Dreimal setzte sich Amsterdam durch und Rijkaard gewann seine dritte Landesmeisterschaft. Mit diesem Erfolg beendete er seine aktive Karriere als Fußballer. Für Milan Coach Arrigo Sacchi, einem der Väter des modernen Pressings, war der Abwehrspieler Rijkaard „taktisch vielleicht einer der intelligentesten Spieler weltweit“.
Trainer Rijkaard – „Ein Poet unter Machos“ und eine „permanente Stimme aus dem Off“
1998–2000 fungierte Rijkaard als Nationaltrainer der Niederlande und führte seine Mannschaft bei der Heim-EM 2000 bis ins Halbfinale, wo sie nach dem Elfmeterschießen gegen Italien ausschied. Frank, der wenige Wochen zuvor verlautbart hatte, dass nur der Einzug ins Finale von Bedeutung für ihn wäre, trat daraufhin von seinem Amt zurück und nahm sich eine Auszeit. Während der Saison 2001/02 sprang Rijkaard bei Sparta Rotterdam ein. Sparta verfügte zwar über nur geringe finanzielle Möglichkeiten, aber Frank genoss die bodenständige Atmosphäre beim ältesten Profiklub der Niederlande. Allerdings nicht lange. Als Sparta am Ende der Saison 2001/02 zum ersten Mal in seiner Geschichte die „Eredivisie“ verlassen musste, wurde Rijkaard gefeuert. Umso überraschender kam daher der Ruf aus Barcelona.
Inzwischen war beim FC Barcelona der große Umbruch von statten gegangen. Am 16. Juni 2003 hatte Joan Laporta das Amt des 38. Präsidenten des Clubs zusammen mit einem Team junger Geschäftsleute, darunter auch Sandro Rosell, übernommen. Der Verein hatte Schulden und in den vergangenen vier Spielzeiten war keinen Titel eingefahren worden. Auf den Trainer Cruyff war Bobby Robson (Assistent José Mourinho) gefolgt, auf diesen wiederum die „eiserne Tulpe“ van Gaal.
Mit Laporta betritt auch Cruyff wieder – wenn auch nur als „Schatten durch die Hintertür“ – den heiligen Rasen von Camp Nou. Auf seinen Rat hin wird Txiki Begiristain Sportdirektor und Frank Rijkaard als Trainer engagiert, obwohl die Verpflichtung äußerst umstritten ist. Und am Anfang wird die Geduld der Vorstandsmitglieder und der Fans auf eine harte Probe gestellt. In den ersten Monaten der Saison 2003/04 hinkt Rijkaards Barça dem Rivalen Real weit hinterher, bis es schließlich 18 Punkte von den „Königlichen“ trennen. Sechs Niederlagen kassiert der FC Barcelona in der Hinrunde, drei davon daheim, unter anderem gegen Real (1:2). Auswärts kommt es besonders heftig in Málaga, wo man mit 1:5 untergeht. Doch „Ziehvater“ Cruyff verhindert eine vorzeitige Trennung und Rijkaard wiederum stellt sich vor seine attackierten Spieler, was sich bezahlt macht. Die Spieler anerkennen seine Loyalität und bringen ihm Respekt entgegen. Und in der Rückrunde läuft es plötzlich wie am Schnürchen, von 19 Spielen verliert der FC Barcelona nur eines, nämlich am letzten Spieltag in Saragossa, als die Meisterschaft schon gelaufen war. Im Sommer 2004 werden Mittelfeldspieler Deco und Stürmer Samuel Eto’o verpflichtet. Der FC Barcelona gewinnt mit seinem Trio Ronaldinho, Deco und Eto’o nach 1999 erstmals wieder in der Saison 2004/05 die Meisterschaft. Von 38 Spieltagen führte Barça an 37 die Tabelle an, nur nach dem zweiten Spieltag war man nicht Tabellenführer. Und Samuel Eto’o wird Torschützenkönig der Primera División.
Nicht nur Fußball-Katalonien liegt Rijkaard, Ronaldinho und Co. zu Füßen, ganz Fußball-Europa gerät über diese Elf ins Schwärmen. So auch der Spiegel: „Die Mannschaft liefert nicht nur prächtige Resultate ab. Sie zelebriert Fußball, sie erfüllt die Sehnsucht ihrer Anhänger nach ästhetischem, offensivem, dominantem Spiel. Das Team des Holländers Frank Rijkaard beherrscht die Kunst der Verführung: Wer einen dieser begeisternden Spielzüge erlebt, will mehr davon.“
Rijkaard sei ein „Poet unter Machos“. Zu seinen Stärken gehöre das Gespür, im entscheidenden Augenblick das Richtige zu tun“. Und Arrigo Sacchi (Franks Trainer beim AC Mailand) über seinen ehemaligen Schüler und dessen Team: „Rijkaards Barça entzückt mich. Frank verfolgt eine von ihm definierte Idee, einen Stil. Ich erkenne seine Handschrift wieder.” Derartige Lobeshymnen hatte es seit dem Rücktritt von Johan Cruyff nicht mehr gegeben. Rijkaard ist Rijkaard, aber mit ihm ist irgendwie auch die Cruyff’sche Philosophie vom schönen Spiel ins Camp Nou zurückgekehrt.
Trotz des Hauskraches beim FC Barcelona – Vizepräsident Sandro Rosell, der Unruhestifter, ist mit der „Cruyffschen“ Einmischungspolitik nicht einverstanden – gelingt Barça in der Saison 2005/06 souverän die Titelverteidigung. Höhepunkt in der Liga ist der 3:0-Sieg am 19. November in Madrid, in dem Ronaldinho einen Galaauftritt mit einem Assist und zwei Solotoren hat, der sogar die eingefleischten Real-Fans zu Standing Ovations hinreißt. Nach 38 Spielen liegen zwölf Punkte zwischen dem Meister und dem Vize.
Aber die Krönung der Ära Rijkaard ist der Gewinn der Champions League im Mai 2006, der erst zweite Triumph des FC Barcelona in diesem prestigeträchtigen Wettbewerb. Nach dem Champions-League-Sieg gerät das Team in eine „Dekadenzphase“, wie es Paul Ingendaay, Spanien-Korrespondent der „FAZ“, betitelt.
Der leise Abschied eines zermürbten Trainers
Während die Barça-B unter dem jungen Trainer Pep Guardiola eine revolutionäre Entwicklung erlebt, beginnt die Saison 2007/08 für Barcelonas A-Mannschaft genauso deprimierend wie die vorherige titellose Spielzeit. Die Kritik wird lauter und im Laufe der Saison verliert der Trainer den Respekt seiner Mannschaft. Ronaldinho nimmt von niemandem mehr Anweisungen entgegen, erscheint nicht zum Training und ist dauernd „indisponiert“. Er taucht oft in der Kleidung in der Kabine auf, in der er die ganze Nacht durchgefeiert hat, schläft während des Trainings in einem abgedunkelten Raum auf einem Massagetisch und es wird bekannt, dass er mit einer von Rijkaards Töchtern ein Verhältnis hat. Deco leidet unter der Trennung von seiner Frau – einer von zehn Trennungen bzw. Scheidungen innerhalb der Mannschaft – kommt ebenfalls öfter nicht zum Training und ist unkonzentriert. Thiago Motta wiederum ist nächtelang unterwegs und muss letztendlich von einem Suchtrupp des Klubs nach Hause gebracht werden. Barcelona liegt nach einer 0:1-Heimniederlage gegen Real nach der Hälfte der Saison sieben Punkte hinter dem Tabellenführer.
Die Vorstandsmitglieder murrten bereits seit dem Herbst, es sei energisches Handeln gefragt und man müsse versuchen, Ronaldinho, Deco, Eto’o und Rijkaard loszuwerden. Laporta versucht, Rijkaard zu schützen, doch inzwischen ist auch Cruyff der Auffassung, dass eine Veränderung notwendig sei. Barcelona spielt am 27. November 2007 bei Olympique Lyon 2:2-unentschieden und erreicht in alles andere als überzeugender Manier das Achtelfinale der CL. Die Gegentore resultieren aus einer chaotischen Verteidigung bei einer Standardsituation und aus einem unnötigen Elfmeter. Ein übereifriger und aufgeregter Rijkaard wird zum ersten Mal in seiner Amtszeit in Barcelona auf die Tribüne geschickt.
An jenem Tag trifft die Fußballabteilung eine wichtige Entscheidung: Sie beschließt, dass Rijkaard, dessen Vertrag noch ein Jahr läuft, gehen muss. Es wird ein Anforderungsprofil für den neuen Trainer entworfen. In die engere Auswahl kommen drei Männer: Ernesto Valverde, Pep Guardiola und José Mourinho. Und nachdem auch Cruyff Pep Guardiola unterstützt, muss nur noch der Präsident seine Zustimmung geben, der immer noch mit seiner Loyalität gegenüber Rijkaard ringt. Laporta stellt Rijkaard ein Ultimatum: Er muss die Champions-League gewinnen, wenn er seine Laufbahn in Barcelona fortsetzen will. Der Holländer, der bereits weiß, dass Guardiola sein auserwählter Nachfolger ist, reagiert in diesem Augenblick mit einer selbstlosen Geste, die sehr gut veranschaulicht, warum er sich die Zuneigung und den Respekt so vieler Leute bewahrt hat, zu denen auch sein damaliger Klubpräsident zählt. Rijkaard schlägt vor, es wäre zum Wohl des Klubs doch eine großartige Idee, Pep sofort in den Trainerstab der ersten Mannschaft aufzunehmen, um den personellen Übergang und die Vorbereitung auf die nächste Saison zu erleichtern. Dieser zieht es allerdings vor, seine Arbeit beim B-Team wie vorgesehen zu Ende zu bringen. Jedoch arbeiten Rijkaard und Guardiola zusammen und beraten sich nunmehr gemeinsam über Spieler und grundsätzliche Veränderungen in der Arbeitsweise des Klubs.
Ronaldinho ist inzwischen aus der Mannschaftsaufstellung verschwunden, sitzt nicht mal mehr auf der Bank, verpasst die letzten Spiele der Liga und die beiden CL-Halbfinalbegegnungen. Nach dem Ausscheiden im Halbfinale gegen Manchester United ist klar, dass die Trennung von Frank Rijkaard unmittelbar bevorsteht. Für ihn ist die Saison am 8. Mai 2008 zwar noch nicht zu Ende, aber Laporta gibt mit dem Segen des Holländers die Verpflichtung von Guardiola bekannt. Nach fünf Jahren trennen sich im Sommer 2008 die Wege des FC Barcelona und des von seinem Job übel gestressten Rijkaard, von dem es heißt, er sei nur noch ein nervöses Wrack gewesen, das sich von seiner Familie entfremdet hat und in ein Hotel ziehen musste. Von der Geduld eines Rastafari-Fischers und der Heiterkeit eines Zenmeisters ist nichts mehr übrig geblieben. Der Job des Cheftrainers beim FC Barcelona hinterlässt Spuren, die nicht so leicht zu tilgen sind, denn in Cruyffs Trainer-Ära sind Maßstäbe gesetzt worden, die seither jeden seiner Nachfolger zu zermürben drohen. Der FC Barcelona muss schön und erfolgreich spielen. Nur schön reicht ebenso wenig wie nur erfolgreich. Fehlten Rijkaard am Ende die geforderten Ergebnisse, so wurde bei van Gaal vor allem die unattraktive Spielweise bemängelt.
Von 2009-2010 übernimmt Frank Rijkaard den Trainerposten bei Galatasaray Istanbul und landet in seinem ersten Jahr als Coach in der türkischen Meisterschaft auf Platz drei. In der darauffolgenden Saison wird ihm nach dem 8. Spieltag am 20. Oktober 2010 gekündigt. Anfang Juli 2011 unterzeichnet Rijkaard einen Dreijahresvertrag bei der Nationalmannschaft Saudi Arabiens. Nach dem Ausscheiden der Mannschaft aus dem Golfpokal und der damit verpassten WM-Qualifikation folgt am 15. Januar 2013 seine Entlassung.
Rijkaard ist mit dem ehemaligen Kindermädchen seiner ersten zwei Kinder verheiratet und Vater von insgesamt drei Kindern.