Bildquelle: fcbarcelona.com
Ein Doppelpack von dem dreifachen Weltfußballer Lionel Messi beschert dem FC Barcelona den nächsten Auswärtssieg in La Liga. Der kleine Argentinier scheint in den taktischen Planungen von Vilanova eine zentrale Rolle einzunehmen und es hat beinahe den Anschein, dass der Trainer das offensive Auftreten seiner Mannschaft um Messi herum “schmiedet”. Wie schon im Spiel gegen Celtic Glasgow am vergangenen Mittwoch ließ der Nachfolger von Guardiola mit David Villa eine “Echte 9” auflaufen, die nach dessen Auswechslung von Alexis Sánchez bekleidet worden ist. Es stellt sich die Frage nach dem Implikationen dieser taktischen Umstellung, die nachfolgend in gebotener Kürze abgehandelt werden.
Anmerkung: Noch bis Ende November wird es aufgrund anstehender Prüfungen keine ausführlichen taktischen Analysen geben. Einzelne Aspekte werden aber weiterhin kurz und oberflächlich behandelt, sofern es die Zeit zulässt. Danke für euer Verständnis.
“Echte 9” und “Falsche 9”
Zunächst bleibt aber festzuhalten, dass eine gänzliche Abkehr von der “Falschen 9” nicht stattgefunden hat. Immer dann, wenn sich die Neun auf die Außenbahnen heraustragen lässt, entsteht Raum für eine zeitweilige Interpretation dieser eigentümlichen Position. Insofern ist zu konstatieren, dass das Spiel des FC Barcelona gegenwärtig sehr variantenreich daherkommt und viele Facetten abdeckt. Es mag der Gedanke aufkommen, welche Gründe maßgebend dafür waren, das bisherige System mit der “Falschen 9” gerade jetzt zu modifizieren. Auf den Pressekonferenzen vor dem Celtic- und dem Mallorca-Spiel ließ Vilanova verlauten, dass er sehr defensive Gegner erwarte, die über ein Konterspiel zum Erfolg kommen möchten. Dieser Erwartung entsprechend hat der Trainer seine Mannschaft aufgestellt und in Gestalt von Sánchez(Celtic) und Villa(Mallorca) echte Stürmer aufgestellt, die sich an vorderster Front gegen die gegnerischen Innenverteidiger stemmten.
Die gegnerische Innenverteidigung ist also Zielobjekt des Aufgebots eines echten Stürmers. Durch das Verweilen des Stürmers in der Sturmregion sind diese gebunden und können nicht vorrücken, um den Mannschaftskameraden in torentfernteren Regionen auszuhelfen. Dieses Verhalten würden sie lediglich dann vorweisen, wenn sich auch der Stürmer in jene Bereiche zurückbewegen würde – dann würden wir aber von einer “Falschen 9” sprechen. Im Fall des FC Barcelona sind die Stürmer angehalten worden, sich nicht in dieser Weise zu verhalten. Dadurch war das Sturmzentrum im Vergleich zum Spiel mit einer “Falschen 9”, bei dem häufig eine Verwaisung des Sturmzentrums zu beobachten ist, permanent besetzt. Eine höhere Präsenz im Zentrum erhöht die Durchschlagskraft einer Mannschaft bei scharfen flachen Hereinspielen von Außen und hohen Hereingaben. Angesichts der körperlichen Konstitution erscheint es allerdings fraglich, ob Tito Vilanova tatsächlich die sogenannte “Durchschlagskraft” erhöhen wollte. Eine solche Intention dieser Maßnahme wird man bei einem taktisch sehr gewieften und feinfühligen Trainer wie Vilanova aber kaum annehmen können. Zu banal und stumpfsinnig präsentiert sich dieser Gedankengang und entspricht daher nicht dem Naturell des Trainers.
Sánchez und Villa sollen Tore erzielen, das dürfte Vilanova sofort unterschreiben und mittragen. Gleichwohl ist davon auszugehen, dass ihre primäre Aufgabe eine “dienende” ist. Ihre Anwesenheit im Zentrum soll die Innenverteidiger fesseln und Lionel Messis Qualitäten zur optimalen Geltung verhelfen. Gerade gegen sehr tiefstehende Gegner wird die “Falsche 9” nahezu funktionslos und kann aus taktischer Sichtweise nur bedingt gerechtfertigt werden. Aus diesem Grund lief Messi gegen Celtic auf dem rechten Flügel auf. Heute trat eine andere Auswirkung dieser Maßnahme in Erscheinung. Messi gelingt es einfacher, sich zwischen den Ketten im Rücken der Mittelfeldspieler in Position zu bringen. Gleichsam hat er einen Raum vor sich, der ihm von dem Stürmer vor ihm verschafft worden ist. Als “Falsche 9”, die sich aus dem Sturm in tiefere Gefielde zurückzieht, wird Messi – verfolgt von einem Innenverteidiger – nicht selten mit dem Rücken zum Tor angespielt. In dieser neuen Konstellation hingegen erhält er den Ball in den Lauf und kann sofort in Richtung Tor ziehen. Hierdurch könnten sich die Außenverteidiger veranlasst fühlen, einzurücken, während die Innenverteidiger weiterhin um die Verteidigung des zentralen Stürmers bemüht sind. Insofern bewirkt diese Systematik im Spiel eine Stauchung der gegnerischen Defensive und Räume auf den Außenbahnen für nachrückende Spieler.
Instrumentalisierung der Kompaktheit und Beseitigung der Folgen
Eine Wertung dahingehend, welche taktische Anordnung besser ist, lässt allerdings nicht treffen. Entscheidend ist die Spielweise des Gegners und wie er auf die entsprechenden taktischen Konzepte erfahrungsgemäß reagiert. Festzuhalten bleibt aber, dass beide Konzeptionen sich grundlegend unterscheiden. Die “Falsche 9” hat auch zum Ziel, die defensive Grundordnung des Gegners zu erschüttern, indem die Verteidiger aus ihrer angestammten Position herausgelockt werden. Dadurch entblößen sie ihre Ordnung und sind anfälliger für vertikale Bewegungen und Zuspiele in die Tiefe. Demgegenüber lässt ein Rückgriff auf eine “Echte 9” die Grundordnung intakt, die Verteidiger können durch die Anwesenheit eines echten Stürmers im Zentrum nur selten zum Mittelfeldverbund vorrücken und Lücken dynamisch schließen. Ein Spiel mit einer “Echten 9” zielt also darauf ab, die Vorteile einer kompakten Spielweise des Gegners – nämlich das variable Schließen von Lücken – zu beseitigen. Mit einer “Falschen 9” instrumentalisiert der FC Barcelona das Vorhaben des Gegners, möglichst kompakt zu stehen, für seine Zwecke, während bei einem echten Stürmer ein Hauptmotiv für eine kompakte Anordnung beseitigt wird.
Ein Mangel an Breite und ein beschränkter Wirkungskreis von Fàbregas, der bekanntlich viel Raum zur Entfaltung seiner Klasse benötigt, sind Begleiterscheinungen dieser systematischen Neuheit. Bei kompakt und tiefstehenden Gegnern scheinen die Vorteile die Nachteile aber zu überwiegen, erforderlich ist aber stets eine Einzelfallentscheidung, bei der zahlreiche Faktoren zu berücksichtigen sind: Wie verteidigt der Gegner? Wie groß ist der Abstand zwischen Abwehr- und Mittelfeldverbund? Wie eng stehen die gegnerischen Spieler zueinander? Wie hoch verteidigt der Gegner? Wieviele Stürmer sind im Einsatz – einer oder zwei? Arbeitet der Gegner hart gegen den Ball oder verhält er sich passiv? Wie verliefen die Spiele in der Vergangenheit? All das ist in die Abwägung miteinzubeziehen und auf Grundlage der Beantwortung dieser Fragen ein passendes Taktikprofil zu erstellen. Im Interview nach dem Spiel hat Vilanova gesagt, seine Mannschaft habe sogar einen Plan B, C und D. Dem ist nichts hinzuzufügen.