Es fällt nie leicht, nach einem Champions-League-Ausscheiden der eigenen Mannschaft, seine Gedanken zu sammeln. Man muss jetzt nicht gleich in absolute Schockstarre verfallen und sämtliche Erfolge der jüngeren Vergangenheit relativieren, dennoch gilt es, sich ein paar Gedanken zu machen, da dieses Champions-League-Aus einige Probleme offenbart hat, die in dieser Form schon lange existieren und die so mancher, dazu zähle ich mich auch selbst, gern verdrängt hat. Für den FC Barcelona steht am Sonntag im Santiago Bernabéu ein richtungsweisendes Spiel an. Es könnte potenziell das vorletzte Spiel sein, in dem es in dieser Saison um etwas geht. Ungeachtet des Ausgangs kommt auch ein potenziell unangenehmer Sommer auf uns Culés zu. Schließlich darf nicht vergessen werden, dass Messi und Iniesta noch immer nicht verlängert haben, auch wenn das aktuell gerne heruntergespielt wird. Ein Kommentar.
Man kann durchaus sagen, dass alle, die mit diesem Verein in Verbindung stehen, besonders aber wir Fans, ziemlich erfolgsverwöhnt sind. Man muss sich nur die letzten elf, zwölf Jahre ansehen, um das zu begreifen. Seit der Ronaldinho-Ära steht keine besonders lange Durststrecke zu Buche. Klar, die letzten zwei Rijkaard-Jahre waren titellos, aber spielerisch und das ist jetzt hart aber, ich befürchte, auch treffend formuliert, waren sie nicht wirklich schlechter als das, was Luchos Barça in der jüngeren Vergangenheit anbot. Natürlich kann man jetzt sagen, Luis Enrique habe mit den Katalanen mehr Titel geholt und dieser Aussage muss man auch zustimmen, jedoch war das System dabei oft ziemlich auf Individualleistungen ausgelegt und eine klare Handschrift war über drei Jahre nicht durchgehend zu erkennen. Versteht mich nicht falsch, Luis Enrique hat auch als Trainer Großes für diesen Verein geleistet, aber die Auslegung war klar: Kurzfristiger Erfolg, koste es, was es wolle. Das magische Sturm-Trio hat uns viele schöne Momente beschert und wurde zweifelsfrei auch phasenweise von einem großartigen Iniesta, Busquets und Rakitić unterstützt. Auch Piqué und Dani Alves blühten unter Luis Enrique wieder auf, nachdem sie zuvor nicht selten in die Kritik geraten waren. Es wurde wieder sinnvoll trainiert, die willkürlichen Ausflüge von Spielern während der Saison (man sehe von Neymars März-Aktivitäten ab), waren auch wesentlich seltener als unter Tata Martino. Das sind alles Leistungen, die man auf den Trainer-Stab zurückführen muss. Luis Enrique und sein Team haben sehr viel dafür getan, um den Erfolg zu bringen und wurden bei ihrem Vorhaben von großartigen Spielern unterstützt. Nur ist dieser Weg jetzt unweigerlich zu Ende. Luis Enrique nimmt nach dieser Saison seinen Hut und das ist, und da sind sich die meisten, denke ich, einig, sowohl für ihn persönlich als auch für den Verein der richtige Schritt, ungeachtet der Tatsache, dass dieser Mann großartiges für den Club geleistet hat. Irgendwann geht eine Geschichte nun mal zu Ende. Pep Guardiola glaubt an die Zyklen im Fußball, Luis Enrique tut es ebenso.
Luchos Abgang hinterlässt aber ein großes Fragezeichen, denn er verlässt, anders als Guardiola damals, kein Projekt mit Zukunft, sondern ein sinkendes Schiff, um es drastisch zu formulieren. Die goldene Generation kommt in die Jahre und man muss sich langsam über eine zukünftige Weiterentwicklung Gedanken machen. Im Übrigen ist auch nicht zu ignorieren, dass Lionel Messi und Andrés Iniesta, die zwei wohl prägendsten Spieler, die diese Mannschaft aktuell hat, ihre Verträge noch immer nicht verlängert haben. Bei Iniesta muss man sich ungeachtet der Verlängerung Gedanken machen, wie Barça ohne ihn funktionieren kann. Wichtig wäre es trotzdem, ihn an Bord zu haben, da er immer noch, auch wenn er das wegen seiner Verletzungen nicht zeigen konnte, einer der besten Mittelfeldspieler der Welt ist. Über Messi braucht man nicht viele Worte verlieren. Sein Abgang wäre wohl der sportliche und für mich und viele andere der emotionale Supergau. Doch wieso lassen sich die beiden Zeit mit ihrer Verlängerung? In den Medien wird immer wieder beschwichtigt und auch ansonsten ist es verdächtig ruhig in dieser Sache. Die Führungsriege mahnt immer und immer wieder zur Besonnenheit und lässt sich dabei nicht wirklich in die Karten schauen.
Doch ist es nur absolut verständlich, dass sowohl Lionel Messi als auch Andrés Iniesta eine sportliche Perspektive sehen wollen. Nur wie soll diese realisiert werden? Die Transfers des letzten Sommers entpuppen sich, mit Ausnahme von Samuel Umtiti, als ziemliche und teilweise sogar totale Enttäuschungen und auch die der Vergangenheit wirken nicht so, als würden sie der Mannschaft noch so viel geben. Rakitić, Arda Turan und Mathieu. Bis auf ersteren ist keiner je so wirklich in diesem Verein angekommen bzw. konnte zum Leistungsträger werden und ersterer baut massiv ab und offenbart durch die häufige Abwesenheit von Iniesta, dass er einen dominaten Akteur neben sich braucht und das ist dann leider auch zu wenig, denn man kann ein Mittelfeld nicht für die Zukunft auf Iniesta auslegen. Iniesta muss einen Platz im Mittelfeld haben, aber es muss auch ein Mittelfeld ohne Iniesta geben, genauergesagt ohne Iniesta in Form, und das gibt es aktuell nicht. Vorne hat man wohl das beste Spielermaterial, doch nicht auszudenken, wenn sich einer der drei für längere Zeit verletzt. Paco wirkt im Vergleich zu Munir nicht wie ein großes Upgrade, war aber 30 Millionen Euro teuer. Und für hinten? Aleix Vidal ist offensiv brauchbar, defensiv eher schwach. Vermaelen? Der “spielt” bei Rom. Douglas? Ja, der ist bei Gijón zum Topstar geworden, oder so ähnlich.
Deulofeu soll zurück kommen, da Barça seine Rückkaufoption nutzen kann. Aber das ist kein wirkliches Upgrade, muss ich ehrlich sagen. Deulofeu ist, wenn man es hart formulieren will, ein weniger spielintelligenter Neymar und eigensinniger als dieser. Und das ist nicht der Typ Spieler, den es vorne braucht. Wir haben schon Neymar und wenn der einmal ausfällt, dann bezweifle ich, dass Deulofeu ihn wirklich ersetzen kann.
Im Mittelfeld haben wir viele Spieler, die einem System wenig sachdienlich sind. Denis ist zwar relativ dynamisch in der Offensivbewegung, kann aber ein Spiel (noch) nicht strukturieren. Rafinha ist ebenfalls kein Ballverteiler und vor allem sehr verletzungsanfällig. Mit ihm fest zu planen wäre einfach ein Risiko, so weh es tut. Und André Gomes? Sympathischer Kerl und sicher auch ganz talentiert, nur wenn man unfertige Spieler im Mittelfeld haben will, die der Mannschaft in ihrem ersten Jahr noch nicht viel geben können, dann kann man auch gleich langsam La-Masia-Spieler heranführen. Das wäre um ca. 50 Millionen billiger pro Spieler, um es überspitzt zu formulieren. Und dass es ohne dominaten Spieler im Mittelfeld nicht geht, sollte man im Weltfußball mittlerweile auch gesehen haben. Bayern hat Thiago als Lenker, Paris Verratti, Juventus Pjanić, Madrid gar Kroos und Modrić, City hätte Gündoğan, wäre er nicht so oft verletzt und sogar Atlético, ein absolut reaktiv spielender Verein, hat Koke. Ich bin der Meinung, dass keiner unserer Mittelfeldakteure, außer Busquets und Iniesta, auf diesem Level konkurrenzfähig ist. So hart es klingen mag, ein Iniesta, der Pausen braucht, und ein alleine zurecht überforderter Busquets reichen dann eben nicht.
Diese Ausführungen zeigen meiner Meinung nach vor allem, dass transfertechnisch eine massive Fehlpolitik betrieben wurde und das schon seit Jahren. Auch unter “Zubi” gab es Fehleinkäufe und wie oft wurde er belächelt, aber insgesamt hat er eine bessere Figur gemacht als Robert, finde ich zumindest.
Das nächste Problem ist der Trainerstuhl. Kandidaten, die für die Nachfolge in Frage kommen, gibt es aktuell nicht viele. Zwischenzeitlich reduzierte sich der Kreis auf Juan Carlos Unzué und Ernesto Valverde, danach wurde Óscar García ins Spiel gebracht, diese Meldungen sind aber auch schon wieder verblasst. Nach dem Paris-Comeback konnte man eigentlich davon ausgehen, dass Unzué das Rennen macht, mittlerweile stehen die Zeichen aber eher auf Valverde, da Unzué eben zu dem Stab gehört, der in den letzten Wochen massiv gescheitert ist. Nur bedeutet Valverde Umbruch? Tendenziell eher nicht, da er, wenn man seine durchaus gute Arbeit bei Bilbao betrachtet, dennoch nicht der Trainer ist, der absolutes Risiko fährt. Valverde agiert konservativ und ist eher ein reaktiver als ein proaktiver Trainer. Weiter ist er aus dem Verein schon lange weg und hat auch nicht den Einblick, den Óscar als Jugentrainer erhalten hat. Ebenfalls anzumerken ist, dass García von den Ideen her relativ nahe an Cruyff und Pep ist, was Jugendarbeit etc. betrifft. Das sind die Ideen, die Barça über Jahre hinweg erfolgreich gemacht haben. Das Problem? Wenn man sich die Trainerbestellungen des bisherigen Präsidiums ansieht, dann ist allen voran zu erkennen, dass tendenziell eher unkomplizierte Persönlichkeiten eingestellt wurden. Óscar sagt, was er sich denkt, und geht auch gerne einmal auf Konfrontation und wer nahe an Cruyff war, ist bei diesem Präsidium sowieso unbeliebt und das ist das Problem. García wird vom Präsidium nicht wirklich geschätzt und umgekehrt scheint auch nicht die größte Wertschätzung vorhanden zu sein.
Doch um weiter auf das Hauptproblem zu sprechen zu kommen: Das Präsidium. Bartomeu und Konstorten sind Geschäftsmänner und wirken nicht so, als würden sie emotional an Barça hängen. Für die Bilanz wird wohl gut und gerne auch der eine oder andere Spieler hergegeben. Ein verkaufter Jugendspieler sieht in der Bilanz einfach gut aus, von den Idealen des Vereins her eher nicht. “Més que un club” ist unter diesem Präsidium nämlich noch weiter zu einem Marketing-Gag verkommen. Dass man unter den heutigen Bedingungen nicht ohne Trikotsponsor spielen kann, haben mittlerweile wohl auch die konservativsten Culés eingesehen. Nur ist es eben auch die Frage, wie präsent man so einen Sponsor platziert. Ohne die genauen Zahlen zu kennen, kann man schon sagen, dass Qatar Airways eigentlich relativ viel für sein Geld erhalten hat, wenn man sich im Vergleich dazu Chevrolet bei Manchester United ansieht. Der große Punkt ist aber nicht das Sponsoring oder ähnliches. Der große Punkt ist die Missachtung der Jugendarbeit und die absolut verfehlte Transferpolitik. Beides muss sich das aktuelle Präsidium auf die Fahnen schreiben. Gerade im Scouting kann man sagen, dass Barça hinter Madrid, Juventus und Bayern ziemlich weit ansteht. Madrid hat mit Asensio und Lucas Vázquez ziemliche Talente in der Hinterhand, Bayern hat Kimmich und zusätzlich gut eingekauft und Barça hätte durchaus sogar die Talente in den eigenen Reihen gehabt, nur wie will man diese an die erste Mannschaft heranführen, wenn für das B-Team primär Unterstützungsspieler für Liga zwei bzw. drei gekauft werden, die aber Talenten den Platz wegnehmen?
Um zu einem Abschluss zu kommen: Meiner Meinung nach wäre ein massiver Umbruch von Nöten, vor allem im Mittelfeld, aber auch defensiv fehlt es uns auf der rechten Seite als auch an einem Ersatz für Piqué und Umtiti. Mascherano ist in der Dreierkette jedenfalls überfordert und wird auch nicht jünger. Das Problem ist, dass vermeintliche Abgänge bei uns nicht viel Geld in die Kasse spülen werden und dass es auch einen Trainer bräuchte, der mutig ein neues System implementiert und auch in Hinblick auf die Zukunft Jugendspieler einfach einmal ins kalte Wasser wirft. Der Weg aus dem B-Team in die A-Mannschaft war gefühlt noch nie so weit.
Und vor allem emotional wichtig: Endlich mit Messi und Iniesta verlängern, indem man ihnen eine sportliche Perspektive bietet. Gehen die beiden oder auch nur einer, wird das im Herzen aller Culés eine riesige Lücke hinterlassen und sportlich sowieso. Wir sind priviligert, den besten Spieler allerzeiten im Rücken zu haben, nur aktuell machen wir es ihm ähnlich schwer wie in der Nationalmannschaft. Kein System, alle Last auf seinen Schultern, wenn Neymar und Suárez sie ihm nicht gerade ein wenig abnehmen. Messi hat es verdient, Weltfußballer zu werden und zwar jedes Jahr. Madrid setzt Cristiano Ronaldo perfekt in Szene. Messi setzt sich perfekt in Szene, wird aber vom Verein (nicht von seinen Mitspielern!) im Stich gelassen, so traurig es ist.
Abschließend möchte ich noch sagen, dass dieser Kommentar keineswegs den Anspruch darauf erhebt, die perfekte Lösung für Barças Probleme zu präsentieren, auch soll es keine bittere Abrechnung mit dem Verein sein, lediglich ein etwas enttäuschter und beunruhigter Blick auf die Probleme, von einem Fan, der sich Barça ohne Messi und Iniesta nicht vorstellen kann und will.