2:0 lautete der Endstand Barça gegen Ajax, und trotzdem hagelte es Kritik, die nach gespielten 45 Minuten beinahe groteske Züge annahm. Die nur sparsame Anerkennung nach einem völlig verdienten Sieg hat mich enttäuscht. Mit diesem Kommentar trete ich deshalb an, die Leistung von Barça in ein etwas helleres Licht zu rücken und aufzuzeigen, warum ein Anflug von Hoffnung mit Blick auf die nächsten Aufgaben berechtigt ist.
Wenn es ein Spiel gibt, das ich aus meiner Erinnerung nur allzu gerne streichen möchte, dann ist es das Aufeinandertreffen mit der Mannschaft von Frank de Boer in der Amsterdam-Arena vor einem Jahr. Nie zuvor wurde ich Zeuge einer solchen spielerischen Demontage des großen FC Barcelona, der in Ansehung der durch den Gastgeber in Gang gesetzten Pressing-Lawinen ein mitleiderregendes Bild abgab. Vor diesem Hintergrund war mein Respekt vor der Neuauflage am Mittwoch nur allzu verständlich und die Angst nach zwei tiefsitzenden Niederlagen in Folge groß. Ich bin überzeugt davon, dass die Partie gegen Ajax bei Anknüpfung an die Leistungen der vorangegangenen Begegnungen auch diesmal einen sehr unglücklichen Ausgang hätte nehmen können. Dazu kam es zum Glück nicht, weil Mannschaft und Spieler sich in allen Belangen verbessert präsentierten. Und ich möchte sogar meinen, dass Grund zum vorsichtigen Optimismus besteht. Nicht genug, um an die Decke zu gehen, jedoch hinreichend Grund, um die Depression der letzten beiden Wochen abzulegen und eine Türspalte für ein wenig Zuversicht zu öffnen.
Lionel Messi war gestern mit seinen beiden Toren einmal mehr der Mann des Abends, ja sogar der Mann der Rekorde, wieder einmal und fast so selbstverständlich wie das tägliche Aufgehen der Sonne am herbstlichen Horizont. Neben ihm gab es aber noch einen weiteren Protagonisten, von den Fernseh-Kameras völlig unspektakulär aufgefangen, ruhig dasitzend mit verschränkten Armen, der grimmige Blick ein Markenzeichen wie auch die Solarium-gebräunte Haut. Der Mann stand nach den Niederlagen gegen Madrid und Celta mächtig unter Beschuss, von allen Seiten verlangte man Resultate, und zwar sofort! Und Enrique gab ihnen eine Antwort, die an sich nicht zu überhören war, aber nicht deutlicher hätte überhört werden können. Gegen Ajax waren einige Elemente neu, sie waren sogar gut. Und ich möchte nachfolgend gerne darlegen, warum Enrique bei mir in seinem Ansehen gestiegen ist.
Verbesserungen der defensiven Stabilität und des Pressings
Für jene, die ein ausgeprägtes Interesse an den taktischen Zusammenhängen im Fußball haben, insbesondere im Hinblick auf den FC Barcelona, war das Spiel gegen Ajax sicherlich ein Hochgefühl. Luis Enrique zeigte exklusiv neue Konzepte auf, wie man die Talfahrt der letzten Wochen zu stoppen beabsichtigt. Gleich zu Beginn trat die erste Veränderung im Verhältnis zur bisherigen Saison zum Vorschein. „Ajax baut das Spiel von hinten auf, also dürfte sich gleich bei Barça eine 4-3-3-Defensivformation bilden.” Das war auch meine Erwartung, die sich glücklicherweise nicht bestätigen sollte. Stattdessen rückten sowohl Suárez als auch Neymar Jr. ins Mittelfeld ein, das sich auf Höhe der Mittellinie befand und bedingt durch die vertretbaren Abstände zur Abwehr eine kompakte Erscheinung ermöglichte. Auch die Abstände innerhalb der Linie waren eng und damit eine horizontale Kompaktheit war gegeben, was Barças offensives wie defensives Grundgerüst für das Spiel gegen Ajax bilden sollte. Später im Spiel tauschten Messi und Suárez die Positionen, und man konnte schön sehen, wie auch Messi sich dem Konzept von Enrique unterordnete.
Als mir diese Veränderung klar wurde, wich meine Befürchtung hinsichtlich einer erneuten Demontage augenblicklich der Vorfreude auf das Spiel. Und ich sollte nicht enttäuscht werden. Kurz darauf präsentierte Barça ein geordnetes Mittelfeld- und Offensivpressing mit klaren Aufgabenverteilungen für die Spieler. Xavi gab den Startschuss zum Pressing, rückte aus der Fünfer-Mittelfeldkette aus und presste auf den linken Innenverteidiger von Ajax Amsterdam, während Messi zum rechten Innenverteidiger ein wenig Abstand ließ und erst dann nach Zugriff suchte, als dieser an den Ball kam. Busquets, häufig auch etwas tiefer positioniert, rückte währenddessen etwas nach vorne und der wie Xavi ebenfalls zentral angeordnete Rakitic kümmerte sich um die zentralen Akteure der Holländer. Suárez und Neymar nahmen die beim Spielaufbau aus der Abwehr heraus sehr offensiv positionierten Außenverteidiger und die Halbräume hinter ihnen in Deckungsschatten und übten gegebenenfalls Druck aus, wenn sich die Außenverteidiger von Ajax aus dem Deckungsschatten heraus bewegten. In diesem Fall verschob sich die gesamte Pressing-Formation und die kontrahierenden Ajax-Spieler wurden in Manndeckung und Deckungsschatten genommen, um den Druck zu erhöhen.
Dieses etwas tiefer ansetzende, aus einer kompakten Formation ausgehende Pressing mit passiven, abwartenden Elementen war ziemlich erfolgreich und bescherte Barça zahlreiche Ballgewinne in – für den Gegner – gefährlichen Regionen. Deshalb bringe ich nur wenig Verständnis für die Aussagen nach dem Spiel auf, das Pressing sei chaotisch und ineffizient gewesen. Ineffizient waren lediglich die drei Sturmkräfte von Barça in Gestalt von Messi, Suárez und Neymar. Für gewöhnlich nutzen sie die sich anhand eines erfolgreichen Pressings bietenden Lücken eiskalt, aber insbesondere am Mittwoch war in der Abstimmung und dem Zusammenspiel zwischen den Dreien der Wurm drin. Sie bewegten sich nicht gut und vermasselten viele aussichtsreiche Situationen leichtfertig.
Die Klasse von Ajax: Sicherheit am Ball
Ein Kritikpunkt am Pressing betrifft das Umspielen desselben durch Ajax. Wenngleich das Pressing häufig zur Balleroberung führte, gab es auch Situationen, in denen es nicht erfolgreich war. Hier muss man meines Erachtens aber differenzieren: Im kollektiven Zusammenspiel konnte Ajax das Pressing nur selten umspielen; überwiegend waren es starke individuelle Aktionen, die das Pressing von Barça ins Leere laufen ließen. Nur Ersteres ist ein Hinweis für eine im Grundsatz falsche Herangehensweise beim Pressing. Das Umspielen des Pressings durch starke Einzelaktionen hingegen ist im Gegenteil ein Indiz dafür, dass das Pressing greift – der Gegenspieler muss es durch eine individuelle Aktion richten. Und diese individuellen Aktionen waren sehr stark von Ajax, auf der anderen Seite aber auch begünstigt durch ein ungestümes Anlaufen der Spieler von Barça. Messi alleine ist zwei- bis dreimal ausgespielt worden und am Spieler vorbeigelaufen, weil das Tempo zu hoch gewählt war und er des Gegners Ballsicherheit und Selbstbewusstsein unterschätzt hat.
Die Holländer haben Klasse am Ball, daran bestehen für mich keinerlei Zweifel. In Anbetracht dessen war für mich die lange Phase ihrer Dominanz am Ball in der ersten Halbzeit keine Überraschung. Ich lege dies nicht als Schwäche von Barça aus, sondern als Stärke des Gegners. Eine andere Sichtweise würde die Qualität von Ajax verkennen. Aus taktischer Sicht bestand für Barça in dieser Phase keine Veranlassung, den Ball um jeden Preis zu erobern. Das hätte, ausgehend von der Qualität des Gegners am Ball, sehr viele Ressourcen gekostet und die stabile Defensivformation, die die Mannschaft in der Zwischenzeit eingenommen hat, gefährden. Sicher, diesbezüglich lief nicht alles nach Plan. Es gab Gelegenheiten, sich früher aus der Umklammerung von Ajax zu lösen. Die holländische Defensive praktizierte jedoch Manndeckung und rückte weit auf. Gerade Luis Suárez, der in dieser Phase einige Bälle zugespielt bekam, fiel es schwer, sich dem Zugriff des Gegners zu entziehen – er ist auf den ersten Metern nicht der Schnellste und wurde bei der Ballannahme massiv bedrängt.
Weitere Verbesserungen und Fazit
Fernab der taktischen Gesichtspunkte – Ausführungen zum verbesserten Gegenpressing und dem besseren Stellungsspiel von Alves in diesem Zusammenhang lasse ich außen vor – haben mir insbesondere die Bewegung ohne Ball und die Arbeit gegen den Ball gefallen. Die Spieler waren ständig in Bewegung und haben ein hohes Maß an Solidarität gezeigt, wie es Luis Enrique direkt nach der Niederlage in Madrid einforderte. Die Mannschaftsteile waren besser miteinander verzahnt, es standen mehr Anspielstationen zur Verfügung und die Umsetzung der taktischen Vorgaben funktionierte besser. Die Qualität der Bewegung war auch eine andere, die Spieler spazierten nicht über den Platz, sondern legten eine andere läuferische Intensität an den Tag, den konkreten Anforderungen angemessen. Das legten sie auch bei der Arbeit gegen den Ball in die Waagschale, die im ersten und zweiten Spielfelddrittel diszipliniert umgesetzt wurde.
Alles in allem kann man, so wie ich das sehe, mit dem Auftritt der Mannschaft glücklich sein. Ich habe mit einem sehr schweren Spiel gerechnet, doch einer deutlichen Leistungssteigerung ist geschuldet, dass Barça völlig verdient drei Punkte nach Hause entführte. Der Dank gebührt vor allem Enrique, der neue taktische Elemente ins Spiel einbrachte und die Spieler mental aufrichtete. Bekanntlich macht eine Schwalbe keinen Sommer, Barça hat auch in der jüngeren Vergangenheit punktuell Hochleistungen erbracht. Deshalb stehen diese Verbesserungen unter dem Vorbehalt der Bestätigung. Sollte bei dem einen oder anderen Culé aber ein kleiner Hoffnungsschimmer aufkeimen, so will ich darauf bestehen, dass das Spiel hierfür einen Nährboden geschaffen hat.