Kommentar: Wir genießen den komplettesten Messi aller Zeiten

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In der letzten Saison machten sich einige Sorgenfalten auf der Stirn eines jeden Culés breit. Lionel Messi schien nicht fit, nicht in Form und auch nicht voll bei der Sache zu sein. Irgendetwas stimmte nicht. Zwar spielte er trotz allem noch auf einem überragenden Level, aber eben nicht auf dem “Messi-Level”. Das mundete im Lager der Blauroten freilich niemandem. Der Weltfußballer-Titel von Cristiano Ronaldo brachte vermeintlich Klarheit: Lionel Messi war unter den Sterblichen im Weltfußball angelangt, Ronaldo war weit mehr als der zweitbeste Spieler der Welt und Messi auf einmal nicht mehr außerirdisch. Nun ist die WM vorbei und die erste Hälfte der aktuellen Saison gespielt. Es ist an der Zeit, Resümee zu ziehen – aus unserer Sicht ein überaus erfreuliches.

Messi 2012 vs. Messi 2014

Man erinnere sich an den Messi, der unter Guardiola fünfzig – man muss es ausschreiben, um es zu glauben – Tore in einer Saison erzielte, nur in der Liga wohlgemerkt. Das Kalenderjahr 2012 endete, Messi hatte in diesem insgesamt 91 Tore erzielt. Ein jeder dachte, Messi könne gar nicht mehr besser werden – ein Irrtum.

Zwei Jahre später bilanzieren wir erneut: 58 Tore im Kalenderjahr 2014. Das ging doch schon mal besser? Der Schein trügt. Zunächst muss davon abgesehen werden, dass Messi in der zweiten Saisonhälfte 2013/14 keineswegs Topleistungen bzw. genauer gesagt Leistungen, die seinem schier unglaublichen Niveau entsprachen, abliefern konnte. Das sah man auch bei der WM, Messi wirkte absolut nicht fit, schleppte sich und Argentinien aber dennoch ins Finale, das man gegen Deutschland mit 0:1 in der Verlängerung verlor. Die Sorgen der Culés intensivierten sich. Man dachte sich, Messi könnte die WM-Niederlage gebrochen haben – ein Irrtum.

Messi erfindet sich als Spielgestalter neu

Drei Spiele stehen in der Hinrunde noch auf dem Programm, dann ist die erste Hälfte der Saison gelaufen. Messi hat insgesamt 23 Tore auf dem Konto – sehr gut, aber für ihn bei weitem nicht außergewöhnlich. Erklärt ist diese Statistik sehr schnell. Messis Augenmerk liegt nicht mehr primär auf dem Toreschießen, sondern auf der Spielgestaltung. Neun Assists und über 60 kreierte Chancen sprechen eine klare Sprache. Messi ist zum Spielgestalter, zum klassischen ‘Zehner’, avanciert. Mittlerweile ist es nicht mehr Xavi, der einst das Barça-Spiel auf unnachahmliche Art und Weise dirigierte, es ist Lionel Messi.

Die Ursachen für diesen Wandel sind divers. Messi wird älter und verliert unvermeidbar an Spritzigkeit. Messi kann nicht mehr so unbekümmert und undosiert spielen wie er es mit gut zwanzig konnte. Man neigt dazu, diese herrliche Zeit zu vergessen. Messi war nicht erst mit 26, 27 an der Spitze seines Schaffens, sondern schon mit 22, 23. Hinzu kommt, dass sich die Gegner einfach schon perfekt auf die Gefahr Messis vorbereitet haben, Messi bekommt de facto keinen Raum mehr, um Tempo-Dribblings zu setzen.

Ein weiterer, nicht außer Acht zu lassender Faktor ist die Tatsache, dass das Mittelfeld hinter Messi, obwohl es die gleichen Spieler wie vor wenigen Jahren sind, einfach schlechter geworden ist. Xavi ist weit über den fußballerischen Zenit hinausgeschossen, Busquets aktuell formtechnisch nicht mehr mit jenem Spieler vor zwei bis drei Jahren zu vergleichen, und Iniesta ist zum einen absolut nicht in Form – es steht noch kein Tor und kein Assist in dieser Liga-Saison für ihn zu Buche – und wird zum anderen auch nicht jünger. Somit kann Messi nicht mehr befreit vor dem gegnerischen Strafraum lauern und herumturnen, er muss in die Spielgestaltung investieren. Früher sah man ihn kaum hinter der Mittellinie, heute ist es keine Seltenheit mehr. Er beteiligt sich am Spielaufbau, am Ballbesitz-Spiel im Mittelfeld und leitet Angriffe ein. Oftmals vollendet er sie sogar selbst.

Der Gewinn neuer Attribute

Neben der Spielgestaltung und Taktangabe im Mittelfeld hat Messi in den letzten Jahren aber noch einige weitere Attribute in sein unerschöpfliches Portfolio aufgenommen. Sein schwächerer rechter Fuß galt lange als Makel, 2014/15 hat er sogar ein Tor mehr mit seinem rechten als mit seinem linken Fuß erzielt. Außerdem sieht man Woche für Woche nicht mehr den kleinen, schmächtigen Messi – man sieht vielmehr einen Sportler, wie er im Lexikon beschrieben wird. Messi besitzt gewiss nicht den Körper eines Ronaldos, hat sich aber zweifelsohne hochtrainiert, wenn man ihn mit seiner früheren Zeit vergleicht. Ein weiteres Stichwort muss hier noch fallen: Freistöße. Messi ist ohne jeden Zweifel vom Freistoß-Mauerblümchen zu einem der gefürchtetsten Schützen im Weltfußball geworden. Seit der Saison 2012/13 sind Messis Freistöße präzise wie nie zuvor. In der laufenden Spielzeit standen ihm einzig und allein, gefühlt 20 Mal, die Querlatte oder der Pfosten im Weg.

Der beste Messi aller Zeiten?

Diese Frage ist sehr schwer zu beantworten, da objektive Vergleiche quasi unmöglich sind. Man sah in der Ära Pep Guardiola nicht nur einen außergewöhnlichen Messi, sondern das mitunter beste Barça, wahrscheinlich sogar das beste Fußballteam aller Zeiten. Dass herausragende Individualisten in einem brillanten Kollektiv glänzen, ist schlüssig; dass Lionel Messi hierbei nicht lediglich glänzt, sondern die ganze Fußballwelt erleuchtet, ist angesichts seiner Qualitäten nachvollziehbar. Man ist dennoch dazu verleitet, ungerechtfertigter Weise Messi in einem außergewöhnlichen Team mit jenem in einem für Barça-Verhältnisse formtechnisch eher unterdurchschnittlichen Team zu vergleichen. Der Schein trügt in dieser Hinsicht. Lässt man mannschaftlichen Erfolge außer Acht wird deutlich, dass Barça eigentlich noch nie so abhängig von Messi war wie es es bis dato in dieser Saison der Fall ist.

Mit Suárez und Neymar hat Barça zwei Einzelkönner vor dem Herrn im Sturm, die in der Lage sind, Messis Brillanz zu komplettieren. Dennoch, spielerisch liegt beinahe alle Last auf Messis Schultern, da das Mittelfeld nicht mehr die Basis bereitstellt, die es einst bot. Wenn man diese Faktoren also berücksichtigt, ist es durchaus möglich, dass die Fußballwelt aktuell den besten Messi aller Zeiten bestaunen darf. Eines ist aber nicht nur möglich, sondern gewiss: wir sehen definitiv der kompletteste Messi aller Zeiten.

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