Kritik? Die muss man einstecken können, meint Luis Suárez. Trotzdem brauche man die Unterstützung der Fans. Denn auch wenn die Fans das oft nicht glauben – ein Spieler merke es, wenn das Publikum wütend ist. Besonders Coutinho müsse man mehr Vertrauen schenken.
„Bin nicht arrogant genug”
Mit Liverpool hat Barça definitiv einen starken Gegner im Halbfinale der Champions League erwischt. Mit etwas mehr Glück hätten die Reds schon letztes Jahr den ganz großen Wurf landen können. Ob ihnen die Erfahrungen, die der Klub in den letzten Jahren gemacht hat, helfen könnten? „Vielleicht, aber es geht mehr um die persönliche Erfahrung. Das ist das zweite Jahr, in dem sie sehr stark sind.“ Jedoch braucht sich Suárez nicht zu verstecken. Er liefert selbst seit Jahren auf allerhöchstem Niveau. In den letzten vier Jahren hat er insgesamt mehr Liga-Tore als Cristiano Ronaldo erzielt. Nur Messi übertrumpft ihn in dieser Hinsicht. Gesprochen wird trotzdem nicht so viel über ihn. „Vielleicht gibt es einfach Spieler, die besser im Marketing sind. Ich habe nicht das nötige Ego, um herumzugehen, die Brust rauszustrecken und zu sagen: ,Ich bin die beste Nummer 9. Barcelona hatte noch nie eine Nummer 9 wie mich!‘. Oder etwas in die Richtung. Aber ich weiß, dass ich der einzige Spieler bin, der Messi und Ronaldo den goldenen Schuh in den letzten Jahren einmal weggeschnappt hat.“
Messi als Macher des Unmöglichen
Manchmal muss man aber auch einfach zugeben, dass andere besser sind. Suárez findet oft lobende Worte für seine Mitspieler, einen muss er dann aber doch extra herausheben: Lionel Messi. „Es geht nicht nur um das, was du beim Zuschauen siehst, sondern das, was ich beim Spielen mit ihm sehe: Ich beginne, mit gesenktem Kopf loszulaufen und plötzlich erscheint zu meinen Füßen der Ball. Und ich denke mir nur: ,Wie hat er das gerade geschafft? Woher wusste er, dass ich hierhin rennen würde?‘ Manchmal bist du wo, wartest auf einen Ball und merkst, dass drei Spieler zwischen dir und ihm sind. Also denkst du dir: ,Ich muss woanders hinlaufen und mich anders positionieren, denn wie könnte er den Ball zu mir passen?‘ Und er schafft es trotzdem, aber du bist nicht mehr da, weil du weggelaufen bist. Der Pass ging ins Leere, aber es war meine Schuld, weil ich nicht dachte, dass er das schaffen könnte. Es gibt tausende solcher Situationen.“ Wohl auch deshalb fürchtet er die Zeiten, in denen Messi nicht mehr wird spielen können. „Es wird schwierig werden, wenn er in den Ruhestand geht, weil er den Leuten immer so viel Freude bereitet. Du fährst zu einem Auswärtsspiel und die Menschen applaudieren ihm, das ist fantastisch. Das Gute ist für uns, dass wir ihn erleben dürfen. Und es liegen noch einige Jahre mit Messi vor uns.“
„Fans müssen Coutinho unterstützen”
Auch in Bezug auf einen anderen Mitspieler hat Suárez etwas zu sagen. Die Art, wie Coutinho von den Medien kritisiert wird, findet er ungerecht. „Philippe ist ein Freund, er ist jung und dich versuche ihm zu helfen. In Liverpool hat er bewiesen, welches Talent er hat. Es war für mich am Anfang hart hier und ich habe ihm gesagt, dass es das auch für ihn werden würde. Du musst Kritik akzeptieren, aber das Wichtigste ist, dass du glücklich und zufrieden bist. Die Kollegen vertrauen Philippe und der Manager tut das auch.“ In Barcelona Spieler zu sein, bedeutet auch, im Rampenlicht zu stehen. Diese Erfahrung hat Suárez bereits gemacht. „Spieler werden präsentiert und zur Schau gestellt. Die kleinsten Dinge – wirklich klein, wie bei Philippe – werden groß diskutiert. Der Trainer hat gesagt: ,Ich bin überrascht, dass ihr über seine Geste redet und nicht das großartige Tor, das er geschossen hat.‘ Ein Tor, das ihm Selbstvertrauen gegeben hätte. Manchmal müsst ihr ihn verstehen. Wenn Fans einen Spieler gut spielen sehen wollen, muss man zu ihm stehen und ihn unterstützen. Ein Spieler draußen auf dem Feld – und das merke ich auch – ist nicht dumm. Er hört es, wenn er den Ball verliert und dann ein ,zzzzzzzzzz‘ folgt. Er hört das Gemurmel und es beeinflusst ihn. Er denkt: ,Oh, die Fans, verdammt, wenn ich nochmal den Ball verliere…‘ Fans müssen Spieler unterstützen. Wenn sie die Champions League gewinnen wollen, umso mehr.“
Suárez’ Spielstil an Mitspieler angepasst
Solche Dinge passieren leider überall, auch in England. Aber laut Suárez sollte man englischen Fußball nicht mit dem spanischen vergleichen. „Englischer Fußball ist generell anders, eine andere Kultur. Man muss lernen, damit umzugehen.“ Seinen eigenen Stil habe er aber nur wenig verändert. Im Zusammenspiel mit gewissen Spielern lerne aber jeder Neues dazu. „Ich denke nicht, dass ich mich als Spieler groß umgestellt habe. Aber man muss sich an das Team und die Spieler anpassen. Als ich hier ankam, spielten Leo und Neymar an meiner Seite, also musste ich eher die schmutzige Arbeit erledigen. Ich musste mehr rennen und ein meine Laufwege anpassen. Das war ein großer Vorteil für sie, denn wenn ich bei den beiden Innenverteidigern war und einen Schritt nach vorne machte, wusste einer nicht, was er machen sollte und der andere musste mir folgen. So hatten die beiden eine Eins-gegen-eins-Situation. Und darin sind sie herausragend. So funktioniert ein Team.“ Wie groß Suárez‘ Verdienste wirklich waren, wissen die beiden Genannten wohl nur selbst. Aber es ist auf jeden Fall auffällig, dass er nicht nur über offensichtliche fußballerische Qualitäten spricht. „Wir sind hier in Barcelona. Und man ist nicht nur in Barcelona, um zu kämpfen, zu pressen, Verteidiger hinter sich zu lassen, zu streiten und Tore zu schießen. Man ist hier aufgrund der grundsätzlichen Qualität, die man hat.“
„Liga-Titel wird zu wenig gewürdigt”
Zum Schluss bleibt noch seine große Achillessehne: Die torlose Zeit in der Champions League. Eigentlich erscheint es bei seinen Leistungen unerheblich, doch er wird oft genug dafür kritisiert. „Die Leute reden viel und heben den Fakt heraus, dass ich seit drei oder vier Jahren nicht getroffen habe. Aber ich verliere keinen Schlaf über solche Fragen. Ich bin auch nicht besorgt.“ Außerdem findet er, dass zu viele Fans den Liga-Gewinn nicht genug wertschätzen. „Manchmal schenken die Fans diesem Fakt zu wenig Aufmerksamkeit. Als ob es einfach wäre und man nicht darüber nachdenken müsste. Aber dann fährst du zu Alavés oder Valladolid und verlierst. Und plötzlich: ,Oh, was für ein Disaster ist das denn!‘ Man muss solche Titel wertschätzen. Schließlich muss man dafür auch diese Partien gewinnen, so wie letzte Nacht bei Alavés.”