Der Start ins EM-Jahr 2012 verlief nicht optimal für den FC Barcelona. Schnell lag man in La Liga 10 Punkte hinter dem hartnäckigen Konkurrenten aus Madrid zurück. Doch die Mannschaft hat sich gefangen und eine Siegesserie gestartet, zu der insbesondere ein Spieler einen gewichtigen Beitrag geleistet hat: Lionel Messi.
Von Raphael Lugowski
„How good he is..“, dieser Kommentar des englischen Kommentators dürfte unter den Fans des FC Barcelona hinlänglich bekannt sein. Er zeugt von der Schwierigkeit, Worte zu finden für eine außergewöhnliche Erscheinung, für die jeder Superlativ mittlerweile die Qualität einer belanglosen Phrase annimmt, die zwar so viel sagen will, aber doch so wenig sagt über einen Menschen, der den Fußball lebt wie kein anderer auf der Welt. In jeder Bewegung, in jeder Muskelkontraktion spiegelt sich das unbedingte Verlangen nach der Umsetzung eines nur im Geiste bestehenden Konstrukts und das Talent, welches den Einklang ermöglicht zwischen Vorstellung und Realität. Er selbst bildet den Superlativ und entscheidet darüber, wie weit dieser gedehnt werden soll. Lionel Messi ist mehr als nur ein Anker für individuelle Auszeichnungen. Das ist nicht das Entscheidende. Einzig und allein wichtig ist die Art und Weise, wie er uns lehrt, Fußball zu spielen. Er ist der Inbegriff einer Spielart, die es vor seiner Zeit noch nicht gab und auch sobald nicht mehr geben wird. Eine einzigartige Vollkommenheit bedingt einzigartige Bedingungen – schön, das es diesen Spieler gibt.
Dynamisch-elegant
In den vergangenen sechs Spielen war der Zauberfloh dreizehn Mal erfolgreich, ein statistischer Wert, der Ungläubigkeit hervorruft und einen redaktionellen Fehler nahelegt. Sein Fünferpack in der Champions League hat ihm einen weiteren Eintrag in den Geschichtsbüchern gesichert. Insgesamt bringt es Lionel Messi in dieser Saison bereits auf 50 Pflichtspieltore und auf halb so viele Assists. Die Präzision seiner Handlungen auf dem Platz ist unerreicht. Das Geheimnis seines Erfolges ist in seiner Motorik und Schnellkraft, seiner mentalen Gelassenheit und dem aus diesen Eigenschaften abgeleiteten Selbstvertrauen zu erblicken. Dynamisch und elegant zugleich bewegt er sich über das Feld, ein Kontrast, der in einer explosiven Leistungsentfaltung und einem anmutigen Auftreten seinen Ausdruck findet. Auf den ersten Metern macht ihm keiner etwas vor und der Ball scheint an seinen Füßen zu kleben. Wenn es sein muss, dann wechselt das Spielgerät optisch kaum wahrnehmbar, überwiegend im vollen Lauf, von der einen Seite auf die andere und umgekehrt. Nur wenige sind in der Lage, dem Spielball derart schnell eine andere Richtung beizubringen, ohne die Herrschaft über die Lage an jemand anderes abzutreten. Es ist ein Höchstmaß an Selbstkontrolle und Ästhetik, das dem Zuschauer vermittelt wird.
Eine neue Dimension
Es wäre aber verfehlt, diesen Spieler auf seine mit einer traumwandlerischen Sicherheit vorgetragenen Läufe durch die gegnerische Defensive zu reduzieren. Das beschreibt seine frühere Natur und unterschlägt die vergangenen beiden Jahre, in denen es Messi gelungen ist, seinem Spiel noch mehr Qualität einzuhauchen. Die Anzahl seiner Torvorlagen und die Zahl derjenigen Tore, an denen er zwar nur mittelbar, aber entscheidend beteiligt war, hat deutlich zugenommen. Er ist nicht mehr nur für Sololäufe zuständig und rennt nur noch selten kopflos auf den Gegner zu. Das ist nur eine Facette seines Spiels, die nur dann zum Einsatz kommt, wenn andere, erfolgversprechendere Methoden, zum Tor zu gelangen, scheitern. Heute besteht seine Aufgabe vor allem darin, am Spielaufbau mitzuwirken und sein individuelles Können in den Dienst der Mannschaft zu stellen. Die potenzielle Gefahr, die von ihm ausgeht, nutzt er dazu, um Spieler zu binden und den Mitspielern die nötigen Freiräume zu verschaffen. Seine Rolle als „False 9“ füllt er aus wie kein anderer und treibt das Spiel überall dort voran, wo ein Bedarf an einem ausgezeichneten Spieler für ein gepflegtes Zusammenspiel und einen Individualisten besteht. Oft lässt er sich ins Mittelfeld zurückfallen, um als weitere Anspielstation zur Verfügung zu stehen und sich von dort aus bis zum Strafraum durchzukombinieren. Insgesamt muss man damit festhalten, dass Messis Spiel an Intelligenz hinzugewonnen hat und aus einem überwiegend selbstbezogenen ein mannschaftdienlicher Weltfußballer geworden ist, der das Zentrum einer mit Stars gespickten Mannschaft bildet.
Der beste aller Zeiten?
Trotzdem werden immer wieder Stimmen laut, die ihm hartnäckig die hinfällige Anerkennung verweigern. Zur Begründung wird vorgetragen, „La pulga“ sei von seinen genialen Nebendarstellern abhängig, namentlich Iniesta und Xavi. Man kann aber nicht auf der einen Seite Messis Individualität betonen und dann seine Leistungen mit dem Verweis auf die überragende Qualität im Kader des FC Barcelona schmälern. Darüber hinaus zeugt diese Ansicht von einem fehlenden Verständnis von seiner Bedeutung für die Mannschaft. Selbstverständlich agiert Messi mit diesen Mitspielern auf einem höheren Level; sie bilden das geistige Äquivalent für all die Absichten, die er auf dem Platz realisieren will. Daraus folgt, dass auch Iniesta und Xavi ohne den kleinen Argentinier unter ihren Möglichkeiten bleiben würden. Messi ist nicht ein losgelöstes Mosaik einer festen Mannschaft, sondern ein integraler Bestandteil derselben und damit zwingend erforderlich für ein schönes und erfolgreiches Spiel. Ob er der beste Fußballer aller Zeiten ist, mag jeder für sich selbst entscheiden. „Das Beste“ ist immer an relative und sehr subjektive Standpunkte geknüpft und auch die Weltfußballerwahl selbst ist lediglich das Aggregieren von menschlichen Eindrücken. Das Erlebte selbst wird dabei immer schwerer wiegen als das Überlieferte. Und Tore werden immer höher gewichtet als erfolgreiche Abwehrtaten. Auf all das kommt es nicht an. Es zählt nur der Genuss, den wir beim Zuschauen verspüren. Man muss sich nur darauf einlassen – irgendwann könnte es zu spät sein. Visca el Barca!