Éric Abidal – Kann er sich zurückkämpfen?

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Bildquelle: fcbarcelona.com

Es war den vielen Fans des FC Barcelona vergönnt, sich allzu lang an der vollständigen Wiedergenesung von Éric Abidal zu erfreuen. Nur einen Tag nach der Verkündung der uneingeschränkten medizinischen Freigabe, am ersten Trainingstag von Abi mit der Mannschaft, folgte die Hiobsbotschaft über die erneute Krebserkrankung von Tito Vilanova. Für tiefere Gedanken über die Rückkehr des leidgeplagten Franzosen ins Team gab es keinen Raum, zu tief saß der Schock über die Erkrankung des Trainers. Nachdem Tito Vilanova auf dem Weg der Besserung und bereits bei sportlichen Aktivitäten mit seinem Sohn gesichtet worden ist, ist es an der Zeit, die Aufmerksamkeit langsam wieder in Richtung des sportlichen Geschehens zu richten. Ein brennendes Interesse ist hinsichtlich der Frage nach Éric Abidals Chancen in der Mannschaft des FC Barcelona vorhanden. Kann sich der einstige Leistungsträger wieder herankämpfen und eine bedeutende Rolle in den Planungen von Vilanova einnehmen? Oder handelt es sich bei Abidals Anstrengungen nur um ein letztes Aufbäumen, einen utopischen Versuch, im Leistungssportbereich Fuß zu fassen?

Abidal: Mai 2011 gibt Hoffnung

Der Spieler selbst zeigt sich im Hinblick auf seine Chancen vorsichtig optimistisch, zieht also auch durchaus in Erwägung, dass es am Ende nicht reichen könnte. Trotzdem legt Abidal noch einmal all seine Kräfte in die Waagschale, um das Niveau seiner Mannschaftskameraden zu erreichen, ungeachtet der vielen Entbehrungen, die mit diesem Weg verbunden sind. Der Weg eines lädierten Leistungssportlers zurück zur alten Stärke ist für einen Hobby-Sportler nur schwer nachvollziehbar. Die mentale Belastung, die auf den Sportler einwirkt, überschreitet unsere Vorstellung und kann dazu führen, dass das ursprüngliche Leistungsniveau nicht mehr erreicht wird. Hinzu kommen körperliche Grenzen, die den Sportler in seinen Bestrebungen beeinträchtigen. Mit 33 Jahren ist Éric nicht mehr der Jüngste, ein Comeback nach monatelanger Abwesenheit gestaltet sich umso schwieriger, je betagter der Spieler ist. Die Regenerations- und Aufbauprozesse laufen im Verhältnis zu einem jugendlichen Spieler verlangsamt ab und erschweren den Wiedereinstieg zusätzlich. Des Weiteren besteht bei langwierigen Auszeiten immer das Risiko mittelschwerer Folgeverletzungen. Muskeln, Bänder und Sehnen haben in der Zwischenzeit ihre hohe Widerstandsfähigkeit eingebüßt und müssen an die hohen Belastungen langsam herangeführt werden. Dies nimmt wertvolle Zeit in Anspruch, die ein Spieler seines Alters schlicht nicht mehr hat. 

Am 9. April 2012 fand die Lebertransplantation bei Éric statt, seine Rückkehr ins Mannschaftstraining erfolgte kurz vor Weihnachten am 19. Dezember desselben Jahres. Dies ergibt eine Pause von mehr als acht Monaten, eine sehr lange Zeit im Leistungssportbereich. Wenn man sich die Verletzung von David Villa in Erinnerung ruft und sich vergegenwärtigt, wann dieser wieder auf dem Platz stand, erhält man eine grobe Idee davon, wann mit einem Comeback von Abidal frühestens zu rechnen ist – sofern ein solches mit ernsthaften Ambitionen überhaupt stattfindet. Gibt es tatsächlich nichts, das für den Linksverteidiger spricht? Die Prognose könnte besser sein, so viel steht fest. Die Hoffnung aber stirbt zuletzt. Bereits nach seiner ersten Operation grenzte es beinahe an ein Wunder, wie schnell der frühere französische Nationalspieler wieder auf dem Platz stand. Am 15. März 2011 wurde sein Lebertumor publik, zwei Tage später erfolgte die operative Entfernung des schädigenden Gewebes. Bereits im Mai 2011 war Abidal aber wieder im Champions League-Halbfinalkader gegen den Erzrivalen Real Madrid vertreten und wurde im Rückspiel in der 90. Spielminute unter stehenden Ovationen eingewechselt – ein Gänsehautmoment. Im darauffolgenden Finale gegen Manchester United stand er gar in der Startformation und durfte am Ende die Trophäe in Richtung Himmel heben. „Ich habe hart für meine Rückkehr gekämpft, das war ein sehr wichtiger Tag für mich. „Wenn du die Trophäe in den Himmel streckst, wird sich das anfühlen, als würde die Welt stillstehen”, sagte Puyi zu mir. Er hatte Recht”, beschrieb Abidal diesen bewegenden Moment. Seine schnelle Genesung und sein Mitwirken in der Champions League vermitteln Hoffnung und Mut, dass diesmal ein ähnliches Wunder den Weg für ein Comeback ebnet. 

Abidal wertvoll für die Mannschaft

An der Einstellung von Abidal wird die Fortsetzung seiner Profikarriere mit Gewissheit nicht scheitern. Er spürt das Commitment, das ihm von allen Seiten entgegengebracht wird. Es erleichtert ihm das Training und gibt ihm Auftrieb für die bevorstehenden Aufgaben. „Das gab mir so viel Kraft. Ich möchte den Menschen für alles danken, ich werde für immer hier bleiben und alles für den Verein geben. […] Ich absolviere wieder ein leichtes Training und mein Ziel ist es, wieder zu spielen. Dank dem Fußball hab ich niemals darüber nachgedacht, aufzugeben, gleichsam dank meiner Familie, meinem Leben; das hat mir sehr geholfen. […] Es fühlt sich großartig an, geliebt zu werden. Die Leute zeigen mir, wie sehr sie mich lieben und ich weiß, dass ich hier für immer bleiben sollte”, sagte Abidal. Fußball bedeutet dem 2007 zu den Katalanen gestoßenen Spieler alles, er ist vernarrt in dieses Spiel und tut alles in seiner Macht stehende, um das Unmögliche Realität werden zu lassen. „Ich habe viele Hürden genommen, aber es warten noch weitere auf mich. Ich habe bisher allen Widrigkeiten getrotzt und werde auch diese letzten Hürden nehmen so gut ich kann. […] Ich fühle mich gut. Seit meiner Operation sind acht Monate vergangen. Ich habe hart gekämpft und kämpfe jeden Tag. Es ist zwar schwer, aber meine Stimmung ist gut und ich bin bemüht, auf den Platz zurückzukehren”, äußerte sich Abidal kampfesmutig. 

Eine positive Einstellung allein wird keine Rückkehr in den Profisport bewirken können, vielmehr müssen günstige physische Voraussetzungen gegeben sein, damit das Camp Nou ein weiteres Mal Zeuge einer einzigartigen Erscheinung wird. Schädlich ist Abidals hoffnungsfrohes Gemüt aber keinesfalls, sondern gibt ihm zumindest die Kraft, es zu probieren und den Leiden zu trotzen. Seine Erkrankung hat den Verein dazu veranlasst, in der Sommerpause Linksverteidiger Jordi Alba vom FC Valencia zu verpflichten. Die Stammkraft der spanischen Erfolgsauswahl hat sich in Barcelona schnell durchgesetzt und gilt auf der Position des linken Verteidigers als gesetzt. Es drängt sich Frage in den Vordergrund, ob für Éric Abidal überhaupt noch Platz in der Mannschaft ist, zumal Adriano ebenfalls blendend aufgelegt ist und mit Piqué, Puyol, Mascherano, Bartra und Alves starke Konkurrenz wartet. Die Beantwortung dieser Fragestellung ist eng verknüpft mit seinem Spielertyp und seinem sportlichen Wert für den Verein. Alba und Adriano sind die Idealtypen des modernen Außenverteidigers. Sie erledigen ihre Defensivverbindlichkeiten zuverlässig und stoßen in die Offensive, um zusätzlichen Druck aufzubauen. Bei ihren Ausflügen nach vorne werden sie abgesichert, damit dem Team kein Nachteil aus dieser zusätzlichen Offensivkraft entsteht. Die Spielernatur von Abidal ist eine andere. Nur sehr restriktiv rückt Abidal nach vorne auf und bleibt den Offensivbemühungen seiner Mannschaft überwiegend fern. Meist beschränkt sich seine Teilnahme in dem Angebot einer Anspielstation auf der Außenbahn. Nicht ohne Grund präsentierte sich das Angriffsspiel der Katalanen unter Guardiola in Relation zu der heutigen Zeit rechtslastiger. Abidal hat nicht die Explosivität und den Zug zum Tor wie Alba oder Adriano. Dafür besitzt er andere Attribute, die andernorts in der Mannschaft nicht anzutreffen sind.

In der Offensivleistung kann er Adriano oder Alba nur schwer übertrumpfen, dafür sind aber seine Vorstellungen in der Defensive über jeden Zweifel erhaben. Kaum ein Verteidiger des FC Barcelona strahlt so viel Ruhe und Besonnenheit aus wie der Franzose martinquinischer Herkunft aus. Selbst unter größter Bedrängnis gelingt es Abidal, seine Handlungsoptionen zu erkennen und einer gründlichen Abwägung zu unterziehen. Als Madrid die Blaugrana in der Vergangenheit durch ein hohes Pressing stark unter Druck setzte, war die Anwesenheit von Abidal auf dem Platz Gold wert. Er hat den Anspruch, auch in solchen Situationen eine spielerische Lösung zu suchen und den Gegner durch anspruchsvolle Lösungen zu demoralisieren. Daneben ist Abidal äußerst zweikampfstark, schnell und mit 1,86m ein für katalanische Verhältnisse großgewachsener Verteidiger mit entsprechenden Vorteilen im Kopfballspiel. Was ihn aber allen voran auszeichnet, sind sein hervorragendes Stellungsspiel und seine Antizipation – ein weiterer Grund, warum ein richtiges Comeback gelingen könnte. Er ist nicht so sehr von seiner Physis abhängig wie die anderen Defensivkräfte. Wie auch immer der FC Barcelona mit Alba und Adriano aufgestellt sein mag, mit Éric Abidal stünde Tito Vilanova ein gänzlich anderer Spielertyp zur Verfügung, der ihm neue taktische Möglichkeiten eröffnen würde.

“Tito weiß, was ich denke – auch ohne Worte”

Der Trainer des FC Barcelona kann mitfühlen, wie es Abidal in den letzten Wochen und Monaten ergangen ist. Immer wieder hat Vilanova betont, dass er mit Abidal rechne und auf seine Rückkehr vertraue. Auf seiner ersten Pressekonferenz als Barça-Chefcoach hat Vilanova beteuert, wie wichtig Abidal für ihn und seine Mannschaft sei. „Ich hab gewusst, dass der Trainer über mich gesprochen hat. Dies zeigt, dass der Verein und die Mannschaft mich liebt und darauf hofft, dass ich wieder spielen kann. Ich war glücklich an diesem Tag, weil es das erste Mal war, dass ich ein Barça-Trikot übergestreift habe. […] Ich mag es nicht viel zu reden. Ich glaube, dass Tito weiß, was ich denke, und ich weiß, was er denkt – auch ohne Worte. Meine Anstrengungen gebühren nicht nur mir, sondern auch ihm”, zeigt sich Abidal gerührt von der Behandlung, die ihm zuteilwurde.

Am meisten wird Abidal wohl seine Mitspieler vermisst haben. Nach seiner Operation hat er die Mannschaft oft besucht und sie sogar auf Auswärtsreisen begleitet. Er ist fest verwachsen mit dem FC Barcelona und der familiären Atmosphäre im Verein. Éric über seine Mitspieler: „Léo ist der bescheidenste Mann der Welt. Dann sind da das Lächeln von Pinto, Valdés und seine Witze, die Ermutigungen von Puyol, Xavis Scherze, Iniestas eigentümliche Art…sie alle können dir etwas geben und ich versuche, von jedem etwas aufzunehmen und besser zu werden.”

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