Dani Alves wird als Legende des FC Barcelona in Erinnerung bleiben. Und legendär waren auch seine Interviews. Deshalb haben wir das komplette, umfassende Interview mit der Zeitung ABC für euch übersetzt und nicht nur den Teil über Barça. Dabei erfahren wir mehr über Danis Kindheit, den Rassismus als gesellschaftliches Problem, den Fußball auf seinen Irrwegen, seine Beziehung zu Cristiano Ronaldo, den aktuellen Vorstand des FC Barcelona, die Musik, die Unabhängigkeit Kataloniens und noch vieles mehr. Und nicht zuletzt lässt Dani Alves in seine Lebensphilosophie einblicken, die hoffentlich jeder von uns zumindest ein bisschen auf sich wirken lässt.
Wie ist Juazeiro?
Es ist eine kleine Stadt mit circa 300.000 Einwohnern, sehr warm – im Sommer klettert das Thermometer auf 40 Grad – und sehr weit weg von den großen Städten Brasiliens. Aber es ist ein sehr herzlicher Platz mit seinen Besuchern und ist ein Terrain für Künstler, Schriftsteller und Sänger.
Wie war dein Leben dort?
Ich bin der Kleinste von fünf Geschwistern. Meine Mutter war Hausfrau und mein Vater Bauer. Er kümmerte sich um einen Garten in Salitre, 30 Kilometer von Juazeiro entfernt, wo er Tomaten, Zwiebeln und Melonen erntete. Mit sechs Jahren stand ich schon um vier Uhr morgens auf, um ihm zu helfen. Das hat mir gelehrt, zu sein, wie ich bin. Eine glückliche Person, die das Leben liebt, auch wenn das manchmal falsch interpretiert wird. Mein Vater ist nicht sehr expressiv, aber seine Art, zu leben, ist bewundernswert. Ihm ist gleich, ob man wenig oder gar nichts gewinnt. Er überträgt Tag für Tag Leidenschaft und macht alles, was möglich ist, weil die Leute in seiner Umgebung es genauso machen.
Dieser Garten hat euch mit Essen versorgt?
Juazeiro ist ein Ort mit extremen Dürren oder strömenden Regenfällen, je nach Jahreszeit. Die Ernte war nicht immer gesichert. Deshalb gingen wir Wildtauben jagen, um für den Fall der Fälle auch Fleisch zu haben.
Ihr wart ein paar Überlebenskünstler.
Ja, das ist wahr. Bis wir im Kino ein paar Einnahmen verzeichnen konnten. Mit 14 Jahren machten ein paar meiner Geschwister, Cousinen und ich selbst Nebenverdienste in einem Film. „Guerra dos Canudos“ hieß er. Sie gaben uns zu Essen und zahlten uns fünf Reales [Anm.: heute etwa 1,50 Euro]. Das war viel Geld.
Dani Alves: „Titel bringen dir kein Glück“
Wie fingst du mit dem Fußball an?
Mein Vater war fußballverrückt. Als er 30 Jahr alt war, gründete er eine Mannschaft, Palmeiras de Salitre, und er nahm mich mit, um mit ihnen zu spielen, obwohl ich dreimal jünger war. Später begann ich im Esporte Clube Bahia und von dort verpflichtete mich Sevilla.
Danach begannst du eine brillante Karriere. Fünf Jahre in Nervión [Anm.: Stadtteil von Sevilla] und acht in Barcelona, die dir 33 Titel eingebracht haben.
Ja, das ist sehr schön, sicher, aber wie sie es im Film „Rayo McQueen“ sagen, sind es nur leere Gläser. Viele Titel zu gewinnen macht dich nicht besser und bringt dir auch kein Glück. Es bringt dir ein falsches Leben.
Das musst du erklären.
Man muss aufstehen und für seine Ziele kämpfen, aber wenn man sie einmal erreicht hat, muss man sich neue Herausforderungen suchen und an diese denken. Das Glück des Moments gefällt mir nicht. Mir gefällt es, Tag für Tag zu arbeiten, aber dafür dauerhaft glücklich zu sein. Deshalb habe ich auch nie, wenn wir eine Champions League gewonnen haben, 300 Fotos mit dem Pokal gemacht. Es ist nur eine Trophäe.
Ich spüre eine gewisse Enttäuschung.
Weil der Fußball sehr scheinheilig ist. Deshalb bin ich enttäuscht. Der Ruhm ist Scheiße. Als ich klein war, übte ich meine Unterschrift, weil ich davon träumte, berühmt und wichtig zu sein und Autogramme zu geben. Aber das war die Mentalität eines unschuldigen Jungen. In Wirklichkeit hatte ich keine Ahnung, was es wirklich bedeutet. Heute, wo ich berühmt bin, habe ich gelernt, dass die berühmten Personen falsch wahrgenommen werden. Der Fußball bringt Neid, Scheinheiligkeit und falsche Freundschaften.
„Der Ruhm ist Scheiße“
Beeinflussen die Zeiten, in denen du unter Rassismus gelitten hast, dein Denken?
Nein, das ist ein anderes Thema. Mir macht es nichts aus, wenn mich jemand „schwarz“ nennt. Ich fühle mich nicht anders. Diese Sachen treffen dich nur, wenn du sie dich treffen lässt. Ich hasse niemanden. Deshalb gefällt mir diese Opferhaltung nicht, die es heute in der Gesellschaft gibt. Wir müssen den Dingen Beachtung schenken, die wirklich wichtig sind.
Aber das Thema „Rassismus“ ist schon ziemlich wichtig.
Ja, das ist es. Aber ich glaube, dass wir den Fokus ins Positive lenken müssen. Wenn die Leute ein wenig mehr mit der Haltung „was sagt mir das Gesagte eigentlich?“ herangehen würden, lebten die Leute glücklicher. Im Leben wird es Dinge geben, die nicht erfreulich sind. Das ist unvermeidlich. Wir leben in einer verbitterten Gesellschaft aus Opfern und suchen zu viele Entschuldigungen dafür. Wir müssen glücklicher sein.
Und du bist es?
Ohne Zweifel. Das habe ich von meinem Vater gelernt. Was auch passiert, man muss glücklich sein.
Auch im Fußball?
Auch, aber ich habe viel mehr Interessen.
Zum Beispiel?
Mir hätte es gefallen, Formel-1-Pilot zu sein. Mir gefällt es zu fahren und das Adrenalin in einem Rennauto.
Dani Alves: „In einem anderen Leben war ich Sänger“
Und Sänger?
(lacht) Natürlich, ich singe viel und die Leute kritisieren mich dafür, aber wie wir in Brasilien sagen: Wer singt, verscheucht das Böse. Es ist egal, ob du gut oder schlecht singst, aber sing. Das Wichtige ist, was du übermitteln willst, nicht das finale Produkt.
Ist dein Leben nach dem Fußball in der Musik?
Sicher. Ich liebe die Musik und mein Hobby ist der Fußball. Ich bin überzeugt, dass ich in einem anderen Leben ein Sänger war. Von klein auf hatte ich eine Gruppe und wir bauten uns unsere eigenen Instrumente. Mein Vater arbeitete in einem Klub, der Musikbands engagierte. Einer meiner Brüder ist Sänger. Ich habe eine Produktionsfirma in Brasilien. Ich komponiere. Ich helfe Gruppen, die gerade beginnen, um sie bekannt zu machen. Wenn ich mit dem Fußball aufhöre, lege ich alles in die Musik. Das ist meine große Leidenschaft.
Was dir nicht so gefällt, ist die Presse.
So ist es nicht. Mir gefällt es nur nicht, dass sie Sachen erfinden, manipulieren und schlechte Stimmung erzeugen. Ich beziehe mich auf die Sportpresse aus Madrid und Barcelona. Sie betreiben Journalismus aus dem untersten Keller. Journalismus der sozialen Medien. Sie interessiert nur die Krankheit und nicht, die Wahrheit zu erzählen. Sie müssen uns respektieren. Hinter dem Fußballer steckt ein Mensch. Und sie können nicht Hass zwischen uns generieren, zwischen uns als Fußballer und uns selbst. Mein ganzer Streit mit Cristiano war nur wegen der Presse.
Was ist wirklich passiert?
Wenn die Leute wüssten, wie sehr ich Cristiano Ronaldo respektiere. Ich respektiere ihn, um es einmal ganz klar zu sagen. Ich respektiere Cristiano Ronaldo sehr, den Vater von Cristiano Jr., Sohn von Dolores und José, möge Gott sie beschützen. Alle, die mit mir über Cristiano sprechen, sagen mir, dass er ein unglaublicher Profi ist. Nun, CR7 ist anders, er war mein Rivale und ich musste mich mit ihm messen. Als ich sagte, dass er zu sehr die Hauptfigur ist – wenn du gewinnst, überragst du alles, aber wenn du verlierst, gehen sie auf dich los – sagte ich das auf eine sehr respektvolle Art. Ich denke das gleiche über Messi oder Neymar. Aber an meiner Überlegung gibt es nichts Böses. Das, was passierte, ist, dass die Presse es auf eine andere Weise gesehen hat und gesagt hat, ich habe schlecht von ihm geredet. Und Ronaldo hat das geglaubt. Deshalb hat er mich in der Gala des Ballon d’Or 2015 nicht gegrüßt. Ich muss nicht über irgendetwas sprechen, nur um in die Zeitungen zu kommen. Ich habe kein solches Ego.
„Ich muss nicht über irgendetwas sprechen, nur um in die Zeitungen zu kommen“
Habt ihr das geregelt?
Ja. Ich glaube, im Laufe der Zeit hat er diesen Punkt überdacht, hat bemerkt, dass meine Worte falsch interpretiert wurden und im ersten Clásico nach jener Gala des Ballon d’Or kam er und grüßte mich. Und Ende der Geschichte.
Die, welche noch keinen Frieden geschlossen haben, sind die Biris [Anm.: Ultra-Fangruppierung des Sevilla FC] und Sergio Ramos.
Das ist ein köstliches Thema. Mir erscheint es fatal, dass sie ihn beleidigen, aber man kann sich da nicht einmischen. Das Problem ist, dass Tage bevor er nach Madrid ging, Ramos Sevilla unendliche Liebe beschworen hat und das löste Groll in einigen Teilen der Anhänger aus. Nun ist es so eskaliert. Aber er hatte keine so große Geschichte in Sevilla, dass er nicht seine Tore feiern dürfte oder seinen Respekt zeigen müsste. Ich dagegen spielte sieben Jahre und habe viele Titel gewonnen.
Ist der spanische Fußball ohne Guardiola und Mourinho ruhiger?
Das Madrid unter Mourinho konnte nicht verlieren. Es spielte schmutzig.
Spielte auch Barcelona mit dir ein schmutziges Spiel?
Mir gefällt es, wenn sie mich mögen und wenn sie mich nicht mögen, gehe ich. Gratis von Barcelona zu gehen, war eine würdevolle Ohrfeige. Während meiner drei letzten Spielzeiten hörte man ständig, dass Alves weggehe, aber der Vorstand hat mir nie etwas ins Gesicht gesagt. Sie waren sehr falsch und undankbar. Sie zeigten mir keinen Respekt. Sie baten mir nur eine Vertragsverlängerung an, als die Sanktion der FIFA kam. Dann kam ich ins Spiel und unterschrieb den Vertrag mit der Klausel, frei gehen zu können. Die, die heute Barcelona leiten, haben keine Ahnung davon, wie man mit Fußballern umgeht.
Dani Alves: „Gratis von Barcelona zu gehen, war eine würdevolle Ohrfeige“
Warum hast du Juventus ausgewählt?
Ich wollte aus meiner Komfortzone heraus und in einem historischen und erfolgreichen Verein wetteifern. Weil ich ein Gewinner bin. Und Juventus ist es auch. Es ist eine Institution, die dir immer etwas zeigen kann. Die immer konkurriert. Hier bin ich glücklich, ich habe viele neue und gute Herausforderungen in dieser Mannschaft.
Wie die Champions League, die Turin so sehr will.
Wir haben ein Team, um darum zu kämpfen. Ohne Zweifel. Aber hier sind sie sehr abergläubisch und sagen es mit kleinem Mund, um es nicht zu verschreien. Wir gehen Schritt für Schritt. Zuerst Porto mit Casillas und später, das werden wir sehen, wenn es so weit ist.
Du hast über Jahre die heißesten Unabhängigkeitsbewegungen der Katalanen erlebt. Was denkst du zu diesem Punkt?
Die Geringschätzung des Restes von Spanien, ich spreche von den Bürgern und den politischen Institutionen, gegenüber Katalonien hat diese Welle der Unabhängigkeit in den letzten Jahren generiert. So habe ich es acht Jahre lang, als in Katalonien lebte, wahrgenommen. Und das hat provoziert, dass das katalanische Volk sich selbst eingeschlossen hat, aber so sollte es nicht sein. Sie empfangen die Leute aus Spanien mit Herz, auch wenn sie es mit Argwohn und Misstrauen tun. Und ich glaube nicht, dass das gut ist. Es gibt Leute, die zur Demonstration für die Unabhängigkeit gehen, aber nichts über die Unabhängigkeit wissen. Sie folgen denen, die gehen. Sie folgen der Masse, weil es sie berührt. Sowohl die Haltung der spanischen Institutionen als auch die Kataloniens und die der Leute ist irritierend. Ich wende mich immer dem Dialog und dem Konsens zu. Die Unabhängigkeit wäre ein Fehler. Wenn sich Spanien und Katalonien trennen, verlieren sie beide. Gemeinsam sind wir stärker.
Dieses Interview war das zweite in kurzer Zeit, in dem sich Dani Alves über den FC Barcelona äußerte. Wie er die Chancen zum Aufstieg gegen Paris nach der 0:4-Niederlage einschätzt, lest ihr hier.