Aspektanalyse: Lionel Messi – der ‘Falsche Flügelstürmer’ des FC Barcelona

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Was sich in den ersten Wochen in Luis Enriques zweiter Saison als Teamchef des FC Barcelona auf dem Platz abzeichnete, wurde im Spiel gegen Levante auch auf dem Papier sichtbar: Lionel Messi wurde im Zentrum aufgestellt. Der Asturier lässt den Argentinier damit zu alten Wurzeln zurückkehren und befördert ihn in jene Zonen, in denen er schon unter Pep Guardiola als ‘Falsche Neun’ sein Unwesen trieb. Doch wie ertragreich kann der Gang zurück in die Vergangenheit sein? Eine Aspektanalyse.

Schon in der letzten Saison zeichnete sich nach und nach ab, dass Luis Enrique seiner Mannschaft ein taktische Facette einimpfen will, die die spielerische Kontrolle des Zentrums zum Inhalt hat. Nach einigen erfolgreichen Partien mit einem klaren Flügelfokus – darunter die “Wiederauferstehung” gegen Atlético Madrid – sollten diesbezügliche Bemühungen sichtbar werden. Barça konnte abwechselnd die Flügel sowie das Zentrum dominieren und verlor dabei nie an spielerischer Stärke. Immer mit von der Partie: Lionel Messi. Der Argentinier bildete eine entscheidende Komponente im Übergang zwischen diesen zwei Phasen, doch Luis Enrique geht mit seinem Schützling in dieser Saison gar einen Schritt weiter.

Pure Kombinationsstärke im Zentrum und neue Rollenverteilungen

Denn in dieser Spielzeit befördert der Asturier den vierfachen Weltfußballer noch stärker ins Spielzentrum. Schien es in der letzten Spielzeit noch Ausdruck von Flexibilität und Spontanität zu sein, so scheint der heutigen zentralen Positionierung des 28-Jährigen eine Planung von langer Hand zugrunde zu liegen.

Zwar befindet sich Messi in Aufbauphasen sowie Übergängen in die nächsten Drittel auf dem Flügel, doch mit der Zeit findet der Argentinier im Zirkulationsspiel dann doch den Weg ins Zentrum. Der Sinn dahinter lässt sich relativ leicht herauslesen, betrachtet man nur die Kombinationspartner, mit denen Messi nun agieren kann. Sowohl Iniesta als auch Neymar besitzen eine unfassbare Ballbehandlung in engen Räumen und können damit – zusammen mit einem zentraleren Messi – gegen kompakt und tiefstehende Gegner für eventuelle zentrale Durchbrüche sorgen. So gesehen auch im Spiel gegen Atlético, als im linken offensiven Halbraum Alba und Neymar durch kleinräumige Kombinationen den Ball auf Suárez spielen konnten, welcher wiederum die Ablage zu Messis Siegestreffer legte.

In diesem Kontext ist auch die stärkere Einbindung von Iniesta ins Spiel sowie seine stärkere Präsenz in der Zirkulation evident: War er letzte Saison noch in der absichernden Rolle für die Flügelspieler und Außenverteidiger aktiv, so befindet er sich heute in einer Rolle, die für Kombinationen untereinander anregt. Auch Neymar kann von seiner linken Seite stärker in den Zwischenlinienraum abdriften und für Präsenz sorgen.

Ungefähre Grundformation sowie Bewegungsabläufe in der Ballzirkulation gegen die AS Roma

Mit Messi im Zentrum, Iniestas und Neymars dadurch stärkerer Einbindung sowie Luis Suárez, der für die Tiefe sorgt, entsteht bei der Blaugrana ein linksorientierter Fokus, der bei den Außenverteidigern eine asymmetrische Rollenverteilung zur Folge hat. Alba muss nun deutlich absichernder agieren, während der rechte Außenverteidiger für die Breite bzw. gegebenfalls abwechselnd mit Ivan Rakitić für einen Lauf in den Strafraum sorgen kann. Der Kroate legte durch solch einen Lauf in die von Messi unbesetzte rechte Seite den Führungstreffer von Suárez gegen die AS Roma in der Champions League auf.

Statistisch erfasst ist dies übrigens auch. Sowohl Iniesta (76) als auch Neymar (61) und auch Alba (77) weisen in dieser Spielzeit bislang durchschnittlich mehr Ballkontakte in der Liga auf als in der letzten Spielzeit (Iniesta/ 59, Neymar/ 47, Alba/ 70). Auffällig ist hierbei die Diskrepanz zur rechten Seite. Alves (65) und insbesondere Rakitić (54) fallen im Vergleich zu ihrem Pendant ab.

Redundanz in der Ballzirkulation und fehlende Breitenstaffelung

Dass Messi im Zentrum nicht unbedingt ein und dieselbe Wirkung haben kann, zeigt der Vergleich zwischen den Mannschaften Barças unter Pep Guardiolas sowie Luis Enriques Ägide. Guardiola legte in seinem konzeptionellen Positionsspiel auf eine zweigeteilte Rollenverteilung bei den Achtern wert, was Xavi zu einem dominanten und rhythmus-gebenden Aspekt im Aufbau sowie Iniesta zu einem höher postierten Aspekt im Angriffsspiel machte. Iniesta positionierte sich dabei im Halbraum, während Messi die weiteren Räume durch Xavis Überpräsenz in Ballbesitz füllte und somit das Nadelspielerduo perfekt machte. Unter Luis Enrique allerdings sind die Achterrollen nahezu identisch, zumindest in den ersten zwei Dritteln. Dadurch entsteht ein markantes Problem.

Messi Redundanz

Aufbausituation Barcelonas gegen die AS Roma

Der FC Barcelona baut gerade ins dritte Drittel auf und Messi hat sich weit zurückfallen lassen. Sowohl Iniesta als auch Rakitić bewegen sich in ihrem Halbraum sehr ähnlich und werden durch gegnerische Manndeckungen für diese Situation aus dem Spiel genommen. Suárez wird ebenso vom gegnerischen Innenverteidiger gedeckt beziehungsweise befindet sich im Deckungsschatten des mittleren Mittelfeldspielers. Zu allem Überfluss ist Messis ursprünglicher Wirkungsraum verwaist und Neymar kann sich aufgrund bereits vorhandener Präsenz von Iniesta ebenfalls schlecht fallen lassen. Es folgt letzten Endes der lange Ball von Messi auf Neymar, der allerdings prompt wieder zum Gegner wandert.

Diese suboptimale Raumaufteilung macht dem FC Barcelona das Kombinieren sehr schwer. Die Abstände Messis zu Rakitić und Iniesta sorgen zum einen für keinen Raumgewinn, zum anderen bewirken sie keinen Vorstoß hinter die Verteidigungslinie der Roma, da keiner in der Tiefe positioniert ist. Suárez kann schlecht eingreifen, weswegen Neymar als letzte Station übrig bleibt. Messis verwaister Aktionsraum zeigt zudem, wie sich die Spieler der Blaugrana förmlich zusammenballen und das Spiel kaum noch in die Breite gezogen wird. Dieser zusammengeballte Haufen an Spielern wird insbesondere bei einem äußerst engen Gegner im letzten Drittel sehr kontraproduktiv, da man damit kaum die gegnerische Formation effektiv durchbrechen kann beziehungsweise zum Außenverteidiger spielen muss, der hier bis auf Läufe zur Grundlinie wenig bewirken kann.

Statischer Rhythmus sowie zu enge Engstellen

Eine weitere, nicht allzu förderliche Charakteristik im Spiel Messis im Zentrum ist die schlichte Tatsache, dass ihm das Dribbling erschwert wird. Messi befindet sich bei einer Positionierung im Zentrum oftmals mit dem Rücken zum gegnerischen Tor und kann bei einer entsprechenden Manndeckung heftig gestört werden. Deswegen muss sich der Argentinier häufig mit der Ballbehauptung anstatt mit dem Bespielen von gegnerischen Schnittstellen durch Kombinationen oder Dribblings beschäftigen.

Des Weiteren ist die Gesamtsituation, in der Messi den Ball im Zentrum erhält, oftmals äußerst statisch. Wenn der FC Barcelona auf Messis Flügel verlagert, dann hat er stets eine sich verschiebende gegnerische Mannschaft, sprich eine dynamische Situation vor sich, die er mit Dribblings anlaufen kann. Doch gegen einen Block, der sich nicht sonderlich bewegen muss, geschweige denn Lücken aufkommen lässt, kann auch er nur sehr schwer effektive Dribblings setzen. Ganz im Gegenteil. Die Räume in der gegnerischen Formation bleiben zu eng, um sie zu durchbrechen und auch Pässe in die Formation hinein können leichter antizipiert werden.

Ein weiterer Aspekt ist, dass man Messi auch einer seiner größten Waffen beraubt, nämlich seinen gefürchteten Diagonalbälle. Durch die zentrale Positionierung ist Messis Abstand zu Neymar beziehungsweise Alba kleiner und damit auch präzise Diagonalbälle schwerer zu setzen. Erschwert wird dies noch dadurch, dass der gegnerische Spieler näher an Messi dran ist und damit einen Pass verhindern könnte. Was diesen Punkt anbelangt, war gegen Levante besonders auffallend, dass sich der Argentinier in der zweiten Hälfte nach einer mittigen Positionierung in der ersten Halbzeit halbrechts abdriften ließ und von dort aus seine Diagonalbälle setzte. Diese konnten, wie beim herausgeholten Elfmeter Neymars nach Messi-Diagonalball zu sehen, auch effektive Nadelstiche gegen Levantes Hintermannschaft setzen.

Fazit

Dieser Artikel soll keineswegs den Eindruck erwecken, dass sich Messi nun permanent im Zentrum aufhält. Der Argentinier sorgt immer noch auf dem rechten Flügel für Furore und kann effektive Dribblings vollziehen; nur ein Grund, warum ich darauf verzichtet habe, ihn hier als ‘Zehner’ darzustellen. Vielmehr definiert sich der 28-Jährige jetzt als eine Art ‘Falscher Flügelstürmer’, der seinen Flügel nun verwaist lässt.

Es wird interessant zu beobachten sein, inwiefern Luis Enrique sein Projekt mit Messi im Zentrum weiterverfolgt. Gegen Atlético Madrid und Málaga funktionierte das Zusammenspiel Messis mit Iniesta und Neymar perfekt, doch darf man nicht außer Acht lassen, dass beide Spiele in der zweiten Halbzeit entschieden wurden. Sowohl die Madrilenen als auch die Andalusier wurden zunehmend müder und auch unkompakter. Gegen Romas 4-5-1 und auch gegen Levantes 5-3-2 wiederum, als beide Defensivformationen das Zentrum stark verengten, schien ‘La Pulga’ sein Potenzial nicht vollständig ausschöpfen zu können.

Dennoch: Luis Enrique versucht den FC Barcelona wieder mehr in Richtung kleinräumiger Kombinationen sowie Anomalien im eigenen Bewegungsmuster beziehungsweise Fluidität zu lenken. Gegen Atlético waren erste positive Anzeichen bereits zu sehen, die auf eine spannende Zukunft hoffen lassen. Inwiefern sich diese Variabilität aber weiterentwickelt und ob sie auch dauerhaft zu sehen sein wird, bleibt zum jetzigen Zeitpunkt abzuwarten.

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