Der Fußball ist ein schnelllebiges Geschäft: Heute noch ein Star, im Mittelpunkt des Geschehens, bedarf es weder großer Zeit noch großer Taten, um den freien Fall in Gang zu setzen. Dass dieses Prinzip auch in die andere Richtung funktioniert, beweist der 23 Jahre alte Sergi Roberto eindrucksvoll. Es fehle ihm sowohl Klasse als auch Mumm für den FC Barcelona, lautete der Tenor noch vor nicht allzu langer Zeit. Doch ein Kniff von Luis Enrique, ein Aufbäumen des Spielers genügte, um die Welt auf den Kopf zu drehen. Scheinbar aus der Not geboren, glänzt Roberto auf der Position des Rechtsverteidigers wie selten zuvor. Das Resultat von harter Arbeit und natürlicher Begabung.
Wohl niemandem kann angelastet werden, an die Adresse von Sergi Roberto für seine Auftritte beim FC Barcelona über Gebühr Kritik ausgeteilt und seine Tage bei der Blaugrana durchaus mit dem insgeheimen Wunsch, dass sie bald ein Ende nehmen würden, herunter gezählt zu haben. Der Spieler aus La Masia hat die Zeit auf dem Fußballplatz ganz gewiss nicht dazu genutzt, sich mit Ruhm und Ehre zu bekleckern. Auf der Sechs waren seine Darbietungen noch ganz bekömmlich und tadellos, auch wenn die Gelegenheiten, sich auf dieser Position auszuzeichnen, weder an der Zahl noch an den Anforderungen reichhaltig waren. Sobald Sergi dagegen seine angestammte Position in Beschlag nahm, das zentrale Mittelfeld, flachte seine Leistungskurve deutlich ab und tendierte, an den Relationen in Barcelona gemessen, gegen Null. Seine Kreativität wie eingefroren, an die Stelle von Ideen traten einprogrammierte Automatismen. Immer der sichere Pass, der sichere Laufweg, die risikolose Aktion – wenn man sein Wirken auf dem Platz einer Berufsgruppe zuordnen müsste, markierte Roberto tatsächlich den Buchhalter.
Sergi Roberto nahm die Herausforderung an
Ohne den in Barcelona geforderten Esprit hatte der 23-Jährige, da waren sich selbst die größten Optimisten unter den Anhängern einig, keine Zukunft. Vielleicht ist er auch nicht der Typ, um auf dem Spielfeld mit Konventionen zu brechen und die Zuschauer in Ekstase zu versetzen. Daran schließt sich jedoch die Frage an, wie dieses Bild von ihm mit seiner Zeit bei der Barça B in Einklang zu bringen ist. Einer Zeit, in der er Verantwortung übernahm und voranging, als er an unwiderstehlichen Spielzügen maßgeblich beteiligt war. Er galt als heißer Kandidat für die Zukunft des Barça-Mittelfelds und nährte die Erwartungen des Culés an einen nachhaltigen Erfolg. Wo dieser Spieler geblieben ist, weiß wohl keiner außer ihm. Doch es scheint, als sei es nicht mehr erforderlich, dieser Frage auf den Grund zu gehen.
Der Wind hat sich gedreht. Alle haben Sergi Roberto bereits aufgegeben, ihn gedanklich schon mal aus dem Kader gestrichen und ihm eine gute Reise nach England gewünscht, wo es zahlreichen Medienberichten zufolge Abnehmer für den Spanier gegeben hätte. Alle, bis auf einen: Luis Enrique. Der einstige Trainer der Barça B hat den Glauben in seinen Schützling nicht verloren. Ausgerechnet Luis Enrique, der für den Umgang mit den jungen Spielern immer mal wieder Kritik erntet. Nach Informationen der Sport soll er bereits vor Abschluss der letzten Saison das Gespräch mit Roberto gesucht und ihm erklärt haben, dass er ihn auf der Position des Rechtsverteidigers sehe, als erste Alternative für Dani Alves. Sergi sei davon Anfangs alles andere als angetan gewesen und habe seinem Unmut auch Ausdruck verliehen. Schließlich hat er noch nie auf dieser Position gespielt und habe in einer solch gravierenden Veränderung zu viele Unwägbarkeiten gesehen.
Als dann aber mit Arda Turan ein weiterer hochkarätiger Akteur für das Mittelfeld verpflichtet wurde, packte ihn der Mut der Verzweiflung und er willigte ein. In der Vorbereitung für die neue Saison nahm Enrique die Mission in Angriff und bildete ihn für die Position des rechten Verteidigers aus. Roberto machte gute Fortschritte und arbeitete sich mit großem Engagement in seine neue Rolle hinein. Angeblich stellte er sich dabei sogar so gut an, dass der Trainer ihm eine höhere taktische Intelligenz als Dani Alves bescheinigte. Dies vermögen zwar so einige Spieler von sich behaupten, aber immerhin.
Grandios gegen Bilbao und Málaga: Frischer Wind auf rechts
Gegen Florentina gab Sergi Roberto sein Debüt in der noch ungewohnten Rolle und meisterte seine Aufgaben mit Bravour. Sein Meisterstück sollte allerdings noch folgen, und zwar im Hexenkessel San Mamés, 53.000 giftige Zuschauer gegen sich und kein Spielraum für Fehler. Fehlerquellen aus dem Weg zu gehen, darin verstand sich Roberto bis dahin ganz gut. An diesem Tag aber demonstrierte der junge Spanier, dass er zwischenzeitlich sein Repertoire um einige andere Dinge erweitert hat. Er ging raus auf dem Platz und spielte auf rechts, als hätte er sein gesamtes Lebens nichts anderes gemacht, wie Luis Enrique später in der Pressekonferenz schwer beeindruckt zugestand. Und um auszuschließen, eine Schwalbe zu sein, die nur scheinbar ein Sommerhoch ankündigt, fegte er eine Woche später gegen Málaga geschmeidig über das grüne Parkett wie ein Meister seines Fachs und ließ bei den Zuschauern nur eines zurück: Offene Münder und verknotete Zungen, nicht dazu imstande, sich es zu erklären, das Phänomen.
Sergi Roberto spielte phänomenal, dürfte für diejenigen, die sich mit diesem Spieler näher befasst haben, aber kein Phänomen sein. Mit seiner Technik, seiner Ausdauer und taktischen Intelligenz, ferner seiner Antizipation und Besonnenheit am Ball bringt er vieles mit, um es auch bei Barça zu etwas zu bringen. Mit 23 Jahren ist es noch lange nicht zu spät, um diese Fähigkeiten nun in einem anderen, gänzlich neuen Umfeld für ihn und die Mannschaft fruchtbar zu machen. Vielleicht sogar auf Dauer, denn es ist nicht gesagt, dass er über den Status als Alternative zu Dani Alves nicht hinauskommt. Dafür lagen in seinen Auftritten zu viel Qualität und Charme. Ihm mag im Vergleich zu Dani ein wenig die Beharrlichkeit in den Zweikämpfen abgehen und dessen einzigartiges Selbstverständnis, die Dinge auf dem Platz anzugehen. Dafür macht er technisch einen beschlageneren Eindruck, kontrolliert den Ball und die Situation schneller. Er läuft die Seitenlinie entlang, wenn es sein muss bis zur Grundlinie, und gibt der Mannschaft damit ein Element, das ihrem Spiel die letzten Jahre fehlte. Sergi ist dynamischer und geradliniger, das lässt sich kaum von der Hand zu weisen. Und Enrique hat Recht, die taktischen Vorteile liegen ebenfalls bei ihm.
Fazit
Die Zukunft wird zeigen, ob der Fußball hier eine seiner wundervollen Geschichten schreibt, ein junges Talent, das schon ausgemustert schien, wieder auf die große Bühne zurückholt und ihm ein ganzes Kapitel widmet. Die Zweifel sind da: Sergi Roberto mag seinen Konkurrenten in einigen Bereichen übertrumpfen, aber wir reden hier immerhin von Dani. Während andere unter großem Druck zusammenbrechen, saugt Alves alles auf und wandelt es in positive Energie um. Deshalb hat ihm auf seiner Position in der letzten Saison niemand etwas vorgemacht. Und dann wäre da noch Aleix Vidal, der ab Januar ins Geschehen einsteigt. Mit seinen Auftritten gegen Athletic Bilbao und Málaga CF hat Sergi Roberto aufhorchen lassen, doch steht ihm ein sehr langer Weg bevor. Ob er hier einmal Mumm beweist? Wer weiß…