Javier Mascherano ließ in einem Interview mit der Zeitschrift Panenka sehr tief in seine Gedankenwelt blicken. Der Barça-Star sprach dabei über seine Rolle beim FC Barcelona, seine persönliche Entwicklung als Fußballer und sein Gefühl auf dem Fußballplatz. Zudem offenbarte er seine Beziehung zu seinem ehemaligen Trainer Rafael Benítez, der aktuell die Geschicke bei Real Madrid leitet.
Das ist Ihr sechstes Jahr bei Barça. Javier Mascherano wird wohl als Innenverteidiger enden, unterschreiben Sie das?
Nein, das würde ich nicht sagen. Ich habe die Hoffnung, irgendwann wieder ins Mittelfeld zurückzukehren. Was ich nicht weiß, ist, ob das bei Barça sein wird; ich glaube es aber nicht, wenn ich ehrlich bin. Obwohl ich mich sehr wohl als Innenverteidiger fühle, denke ich weiterhin, dass ich ein defensiver Mittelfeldspieler bin und ich dadurch in die Elite des Fußballs gekommen bin.
Wenn Sie sich nicht als Innenverteidiger probiert hätten: Welche Rolle hätten Sie bei Barça gespielt?
Ich wäre jetzt nicht hier, ganz sicher. Ich hätte nicht das gewonnen, was ich hier bei Barcelona gewonnen habe und ganz sicher wäre ich bereits bei einem anderen Team. Mal sehen, ich weiß jetzt: Als defensiver Mittelfeldspieler in dieser Mannschaft zu spielen, wird sehr schwer, praktisch unmöglich. Vielleicht hätte ich während gewisser Spielzeiten mehr Chancen gehabt, aber ich hätte nicht so eine Erfolgskarriere, wie ich sie bei Barça als Innenverteidiger hatte, hingelegt. Das ist die Wahrheit und ich bin mir dessen äußerst bewusst.
Nach fünf Jahren: Denke Sie, dass sich der Abstand zwischen Ihnen und Busquets verkleinert hat?
Nein, ich halte daran fest, dass Sergio der ideale defensive Mittelfeldspieler für den FC Barcelona ist. Es gibt keinen wie ihn. Er hat alle nötigen Mittel, um diese Position zu dominieren und die Art und Weise, wie die Mannschaft spielt, begünstigt ihn ebenso. Das heißt aber natürlich nicht, dass ich deswegen nicht mehr kämpfe. Das habe ich mein ganzes Leben getan und ich werde es auch weiterhin tun – sowohl als Innenverteidiger als auch als Mittelfeldspieler. Aber es ist offensichtlich, dass ich in einer anderen Mannschaft als Mittelfeldspieler agieren würde. Ich weiß nicht, ob das eine Bedingung wäre, aber wenn ich zu einem anderen Klub wechseln würde, dann nur, um als defensiver Mittelfeldspieler zu spielen.
Denken Sie, dass Sie sich als Fußballer bei Barça weiterentwickelt haben?
Natürlich! Wenn du dich nicht weiterentwickelst, könntest du nicht in so einer Mannschaft mit solchen Anforderungen bleiben. Das ist praktisch unmöglich. All das, was wir über die Jahre aufrechterhalten konnten, war, weil sich jeder in seinem Fußballverständnis weiterentwickelt hat – neben der individuellen Klasse natürlich. Ich bin heute ein anderer Spieler, völlig unterschiedlich. Ich habe nicht nur Technisches verfeinert, sondern interpretiere und verstehe den Fußball heute ganz anders. Mir gefällt es, dass ich diese neue Spielweise ausprobieren konnte. Das alles macht mich zu einem besseren Fußballer.
Zu einem weiteren Paradoxon: Große Teile der Anhängerschaft und ein Teil der Presse scheinen das Doppel Busquets-Mascherano abzulehnen. Weshalb?
Dieser Klub ist derart fordernd und die Menschen sind an genau diese eine Spielweise des Teams gewohnt, dass die Doppel-Sechs bereits als etwas absolut Negatives gebrandmarkt ist. Die Mannschaft macht der Spielfluss aktuell etwas zu schaffen und vielleicht kommt das mit so vielen Spielern vorne nicht wieder zurück. Außerdem gibt es viele Teams – unter ihnen einige der besten der Welt -, die mit einer Doppel-Sechs spielen. Auch wenn das natürlich von den Fähigkeiten der einzelnen Spieler abhängig ist. Ich habe als Doppel-Sechser bei Liverpool gespielt und diese Mannschaft war ziemlich offensiv eingestellt. Aber hier ist das 4-3-3 fest verankert. Wenn Sergio und ich dann im Zentrum zusammenspielen, agiert er deshalb mehr als Achter. […]
Und wenn Sie Busquets auf seiner Position ersetzen. Fühlen sich die Anforderungen dann größer an?
Nein, ganz im Gegenteil. Ich fühle mich freier. Wenn ich im Mittelfeld spiele, fühle ich mich viel weniger unter Druck gesetzt, als wenn ich weiter hinten spiele.
Na dann: Leiden Sie mehr als Innenverteidiger?
Absolut! Es ist nicht meine Position. Und das, obwohl ich mich mittlerweile auch als Innenverteidiger fühle. Wenn ich sagen würde, dass ich ein umgelernter Innenverteidiger sei, wäre das eine Ausrede von mir. Aber, wenn ich hier nicht als Innenverteidiger zu spielen begonnen hätte, wäre ich ganz sicher nicht mehr bei Barça. Ich wusste das sofort: Defensiver Mittelfeldspieler in dieser Mannschaft zu sein, war fast unmöglich. Wenn ich im Mittelfeld spiele, empfinde ich das als Belohnung – deshalb genieße ich es umso mehr.
Sprechen Sie von ‘Leid’ im metaphorischem Sinn?
Nein, nein! Ich ‘leide den Fußball’ und genieße ihn nicht. Ich bin nicht einer derjenigen, die sich amüsieren – ganz im Gegenteil! Die 90 Minuten sind für mich Leid, ganz einfach deshalb, weil ich voll konzentriert sein muss, mir keine Fehler erlauben darf und nicht nur auf mich, sondern auch auf das, was meine Spielkollegen machen, konzentrieren muss. Das trifft nicht den Kern, den viele mit ‘auf das Spielfeld gehen und es genießen’ meinen. Nein, ich gehe nicht auf das Feld, um es zu genießen. Ich genieße es zu trainieren, zu lernen, aber während dieser 90 Minuten genieße ich das Spiel keineswegs. […] Ich glaube, dass Spieler mit ähnlichen Charakteristiken wie ich, das Spiel auch nicht mehr genießen dürften. Du kannst keine Eins-gegen-eins-Situation genießen, wenn sie angreifen. Das trifft einfach nicht die Bedeutung des Wortes Genießen.
Glauben Sie, dass Sie den Punkt jener Tapferkeit und Zuverlässigkeit erreicht haben, den Puyol verkörperte?
Mich mit Puyol zu vergleichen, wäre ein Zeichen von Hochmut. Er war zu wichtig für diesen Klub, einer der wichtigsten der gesamten Historie. Ich gebe nicht vor, das zu sein, wenn ich das forcieren würde, würde ich schnell auf dem Boden der Tatsachen zurückfallen. Ich gehe meinen Weg, es geht darum, in einem Team, das Geschichte geschrieben hat, zu bleiben und, dass ich mich als Teil dieser Geschichte fühle. Ich kämpfe Tag für Tag. Bis dato hat das funktioniert. Wir werden sehen, wie lange der Faden hält – das weiß man nie, aber ich habe noch immer den Hunger, um weiterzukämpfen mit den Allerjüngsten und einen Platz zu gewinnen, der nicht leicht zu halten ist.
Javier Mascherano hat mehr Narben als Tattoos: Hat das irgendeine Bedeutung im modernen Fußball?
Das kann ich bekräftigen: Ich habe nicht ein einziges Tattoo und sehr viele Narben. Die Wahrheit ist, dass ich nie irgendeiner Mode gefolgt bin. In diesem Sinne bin ich äußerst untypisch. Beim Fußball begeistert mich das Spiel, aber nicht die Effekte, die daraus resultieren; der Ruhm zum Beispiel. Tatsächlich verfluche ich vieles, was mir der Fußball bietet. Es gefällt mir nicht, berühmt zu sein, auch wenn es Teil der Sache ist. Ich genieße es nicht, dass ich nicht einfach mit meinen Kindern einkaufen gehen kann; ich genieße es nicht, dass ich häufig zuhause bleiben muss.
Warum wollte Sie Rafa Benítez damals in Liverpool, obwohl Sie kaum Spielminuten bei West Ham hatten?
Rafa wollte mich ursprünglich nach Valencia holen, als ich noch bei River Plate spielte. Er kannte mich, da er einige Kollegen ausschickte, um mich in Argentinien zu beobachten. Im Nachhinein wirkt es fast wie ein Wunder. Er kam nach London (als Mascherano bereits bei West Ham spielte) in mein Haus, um mit mir zu sprechen. Ich wollte nicht mehr in England spielen. Ich dachte, dass ich mich nicht an den englischen Fußball anpassen könnte und es das Beste sei, wenn ich es in Spanien oder Italien versuchen würde. Ich war bereits mit Juvenuts einig, die in diesem Jahr in die zweite Liga mussten, aber Rafa hat mich am Ende überzeugt. Ich weiß nicht, wie er das tat, denn das erste, was ich sagte war: ‘Wenn ich nicht bei West Ham spiele, wie soll ich dann bei Liverpool mit Cissoko, Xabi Alonso und Gerrard spielen? Erklär mir, wie du das machen möchtest.’ ‘Keiner dieser Spieler vereint deine Fähigkeiten’, sagte er mir. Und er hat mich nicht belogen.
Und vier Monate nach Ihrer Ankunft in Liverpool spielten Sie im Champions-League-Finale:
Ja, das beweist, dass jene sechs Monate bei West Ham eine Unverschämtheit waren. Denn als ich nach Liverpool kam, war ich bereit zu spielen. Hätte ich nicht so trainiert, wie ich trainierte und locker gelassen, hätte ich ganz sicher nicht so schnell spielen können. Ich habe sehr gelitten während dieser Etappe bei West Ham. Denn es ist sehr hässlich, wenn du nach deiner ersten Weltmeisterschaft, bei der du ganz gut gespielt hast, vom Trainer gefragt wirst, auf welcher Position du spielst.
Wollte Sie Benítez vergangenes Jahr nach Napoli locken?
Ich habe mit Rafa gesprochen, das stimmt. Jetzt tun wir das etwas seltener, aufgrund der Umstände ist das logisch. Aber ich verdanke ihm alles. Benítez hat mich aus einem 20 Meter tiefen Loch geholt und mich weit nach ganz vorne gebracht. Seit wir nicht mehr im selben Team sind, halten wir unseren Kontakt aufrecht. Er ist eine großartige Person und ein sehr lehrreicher Trainer, bei dem du sehr viel lernen kannst, wenn du es wirklich möchtest.
Abschließend: Sind Sie besorgt, weil Rafa Benítez nun Real Madrid trainiert?
Normalerweise hat Real Madrid immer große Trainer, unter ihnen die besten, so wie bei Barça. Es ist eine seltsame Situation, da ich jenen Personen, denen gegenüber ich Zuneigung empfinde, immer nur das Beste wünsche, aber in diesem Fall ist das der gegenteilige Fall. Ich möchte normalerweise, dass alles bei ihm gut geht, aber nicht in dieser Etappe. Abgesehen davon hat sich meine Beziehung zu ihm nicht geändert. Es ist eine ungewöhnliche Sitation, aber eines Tages werde ich Barça verlassen oder er Madrid. Dann wird alles wieder normal sein. Zurzeit unterhalten wir uns immer noch, aber nicht mehr in derselben Regelmäßigkeit.