Der Transfer von Ivan Rakitić zum FC Barcelona wurde von Beginn an kritisch beäugt. Hat der Kroate die nötige Klasse, um den hochgesteckten Ansprüchen des katalanischen Traditionsvereins gerecht zu werden? Im Camp Nou dürfen nur die erlesensten Spieler der Welt auflaufen, Fußballer, die vor allem technisch und taktisch das Nonplusultra in der Fußballwelt bilden. Technisch mag der Wunschtransfer von Luis Enrique im Vergleich zu seinen Teamkollegen das Nachsehen haben. Und trotzdem: Die ersten zwei Partien der noch jungen Saison geben vorsichtige Aufschlüsse über den Wert dieses Transfers. Rakitić ist eine der zentralen Figuren im Spiel von Barça. Das belegt auch die Passstatistik.
226 Mal passte der Mittelfeldakteur den Ball zu seinen Mitspielern – Rekord in der Primera División. Dahinter folgen Alves (219), Alba (197) und Busquets (182). Der erste Spieler einer fremden Mannschaft, Laporte von Barças nächstem Rivalen Athletic Club, kommt auf 167 Zuspiele, Real-Star Kroos auf 158.
Über Ivan Rakitić läuft beim FC Barcelona sehr viel. Die Statistik dient nur als Bestätigung: Wenn man die letzten beiden Spiele Revue passieren lässt, müsste sich auch subjektiv der Eindruck aufdrängen, dass der Neuzugang vom FC Sevilla wesentlichen Anteil an den Erfolgen hatte. Bei ihm liefen die feinen Fäden im Spiel der Blaugrana zusammen, er war es, der „die Welt im Innersten zusammenhält“. Diese Behauptung ist vielleicht etwas hochgegriffen, wenn das Augenmerk auf die Verwaltung und Strukturierung des Spiels gelegt wird; schließlich verfügt der Verein über Spieler wie Busquets, eine Essenz im Aufbau- und Defensivspiel. Sie gewinnt bei einer umfassenden Würdigung der Leistung von Rakitić aber an Substanz.
Rakitić eine der Schaltzentralen
Die hohe Zahl von Pässen hatte sicher auch mit der entsprechenden Ausrichtung der Gegner zu tun. Sie liegt zu großen Teilen aber auch in der Spielweise von Rakitić begründet, der sich, ausgehend von seinen natürlichen Anlagen, im vertikalen Aufbauspiel weitestgehend zurückhält. Er bildet für seine Mitspieler eine ‘Exit-Option’, wenn der Angriff abgebrochen oder eine Seitenverlagerung angestrebt werden soll. Hier spielen ersichtlich taktische Erwägungen eine Rolle, wenn seine Aufgaben im Kontext des Verhaltens seiner Mitspieler gesehen werden. Für Einzelheiten verweisen wir auf unsere Spielanalysen und die umfangreichen Beiträge in unserem Forum.
So wertvoll Rakitić durch seine intelligenten Laufwege und sein taktisches Verständnis auch sein mag, sind es überdies hinausgehende Qualitäten in seinem Spiel, die ihn – gemessen an den bisherigen Spielen und in der Erwartung, dass er dieses konsequent fortführt – zu einer zentralen Figur im Spiel der Katalanen machen.
Etwas ungalant und unbeholfen: Na und?
Der 26-jährige Neuzugang ist permanent in Bewegung, übt unentwegt Druck aus und schließt Lücken, soweit sein Einflussbereich auf dem Platz reicht. Seine Spielweise ist nicht sonderlich galant und wirkt in manchen Situationen etwas unbeholfen. Auch schleichen sich zuweilen kleine Fehler ein, die man von den anderen Spielern in den Reihen von Luis Enrique nicht gewohnt sind. Über all das kann hinweggesehen werden, wenn man sich nur eines vor Augen führt: Seine Effizienz im Mittelfeld. Er ist der Abräumer schlechthin und verstärkt die Mannschaft exakt in dem Bereich, in dem in den letzten Jahren die größte Not vorherrschte. Das tut er mit einer Gelassen- und Selbstverständlichkeit, die angesichts seiner nur kurzen Verweildauer in Barcelona erstaunt. Seine Bedeutung beim Umschaltspiel nicht zu vergessen.
Kein Weltfußballer, sondern ein Wertfußballer
Das soll kein Loblied auf den Kroaten werden. Der Spieler läuft nicht Gefahr, jetzt plötzlich zu den besten zehn Spielern der Welt vorzustoßen; er ist kein Ronaldinho, der die Ränge zum Toben bringt und das altehrwürdige Camp Nou in einen Zauberhut verwandelt, aus dem allerlei Wundersames erscheint. Rakitić könnte jedoch zu den wertvollsten gehören und den FC Barcelona in einer Weise bereichern, wie sie selten im Fußball anzutreffen ist. Das schafft auf der anderen Seite Abhängigkeiten, die sich bereits in diesem frühen Stadium seiner Barça-Zeit abzeichnen. Ein Problem ist dies nicht, sondern nur ein Beleg für eine perfekte Integration, in der die Stärken der Spieler vollends zur Geltung kommen.