Kurz vor dem Clásico veröffentlichte die Zeitung La Vanguardia ein großes Interview mit dem ehemaligen Traumpaar in der Innenverteidigung: Gerard Piqué und Carles Puyol. Die beiden sympathischen Katalanen stellten sich allerhand Fragen über die Clásicos im generellen, über ihr erstes Aufeinandertreffen, ihre gemeinsame Zeit beim FC Barcelona, wie sie sich gegenseitig beeinflusst haben sowie viele kleine, noch unbekannte Geschichten.
Was ist eure erste Erinnerung an einen Clásico?
Gerard Piqué: „Das 5:0 im Camp Nou. Im Jahre 1994. Ich war sechs oder sieben Jahre alt. Ich lebte praktisch im Stadion.“
Carles Puyol: „Ich ging nie ins Stadion, bis ich 17 war, als ich von den Bergen (lacht) nach Barcelona kam und zur Juvenil dazu stieß. Meine erste Erinnerung ist ein Tor von Amor im Bernabéu. Im Fernsehen.
Wie waren Puyol und Piqué als Fans?
Gerard: „Ich war ruhig, aber es gab immer einen älteren Herren, der nicht aufhören konnte, zu grölen. Von der ersten Minute an, in allen Spielen. Auf Gabri hatte er sich eingeschossen. Der erste schlechte Pass – Bam. Er trug eine viereckige Tasche und einen Schnurrbart. Ein typischer Tribünenmensch. Ich schätze, dass er so Stress abbaute. Ich war ein Junge und mir hat er Angst gemacht. Mir gefiel es, die Partie in Ruhe, denkend, analysierend und konzentriert anzuschauen. So war es schon immer. Ich bin nie aufgestanden.“
Carles: „Ich war eher der Schreier. Bei jedem Fluchen sprang ich auf. Ich war sehr nervös. Einmal habe ich mit Barça-Fans diskutiert. ‚Was du machen musst, ist ermutigen, nicht fertig machen‘, sagten sie mir. Heute hat sich die Mentalität der Leidenschaft geändert.“
Wer war zu dieser Zeit euer Lieblingsspieler?
Gerard: „Stoichkov war mein Idol. Danach kam Ronaldo.“
Carles: „Nadal war eine Bestie.“
Und gab es einen von Madrid?
Gerard: „Hierro wegen seiner Ellenbogenstöße, aber zur gleichen Zeit empfindest du Bewunderung. Er verteidigte sich selbst. Heute, wenn du mich fragst, Mijatović. Im Gegensatz dazu sah ich Seedorf als den lieben Onkel.“
Erinnerst du dich daran, wie dein Freund Puyol den Portugiesen Figo deckte?
Gerard: „Es ist unmöglich, das zu vergessen. Er beeindruckte die Umgebung, fast machte es einem Angst. Sie hatten die bessere Mannschaft, aber wir gewannen 2:0. Carles ließ ihn den Ball nicht berühren. Er war eine schreckliche Bulldogge. Wenn er einen Ball klärte, hörte man ein kollektives Raunen im Stadion.“
Carles: „Diese Stimmung hatte ich noch nie erlebt. Es beeinflusste die ganze Mannschaft von Madrid, nicht nur Figo. Es war spektakulär. Den Schiedsrichter hörten wir nicht. Ich nahm es mir so zu Herzen, dass, als Figo zur Bank ging, um mit del Bosque zu sprechen, ich ihm hinterherging (lacht). Pep sagte mir zu Beginn der Woche ‚du kümmerst dich um den Portugiesen‘. In der Presse sagten sie, ich sei Reiziger.“
Wann trafen sich Puyol und Piqué das erste Mal?
Gerard: „In den Büros von Nike. Ich spielte in Zaragoza und sie kamen von ihrem Sieg in der Champions League (Anm. d. Red.: 2006). Carles hatte ein Glas Sekt getrunken und kam mit Schluckauf (lacht). ‚Das halte ich nicht durch‘, sagte er mir.“
Carles: „Ich sorgte mich sehr. Eigentlich trank ich nie. Ich erinnere mich auch an diesen Tag.“
Gerard: „Aber ich war ein Niemand. Es war nur ein Moment, als sich unsere Wege kreuzten.“
Carles: „Und bevor wir uns trafen, auch daran erinnere ich mich, habe ich dich spielen sehen als Rechtsverteidiger mit Zaragoza gegen Real Madrid.“
Gerard: „Und was dachtest du? Komm, sag schon (lacht)! Mit Reyes kam ich klar, aber als sie Robinho brachten … wir haben 1:0 verloren.“
Carles: „Also ich denke, dass du gut gespielt hast, weil du clever warst und wusstest, wie man sich positioniert.
Gerard: „Zu dieser Zeit trug ich die Ärmel meines Trikots hochgekrempelt. Ich dachte, ich sei Maradona (lacht).“
In der ersten Mannschaft seid ihr schnell miteinander verwachsen …
Carles: „Die Abstimmung klappte sehr schnell. Wir waren verschieden, aber wir ergänzten uns gut.“
Gerard: „Ehrlicherweise hätten wir viel mehr Jahre zusammen spielen können, aber das hätte er nicht ertragen (lacht).“
Carles: „Ich musste dir so oft Rückendeckung geben, wenn du nach vorne gingst, dass es mich zermürbte. Du warst der Jüngere, es hätte andersrum sein müssen.“
Tut es dir leid, dass es nicht mehr Jahre waren?
Carles: „Eines Tages verglichen sie uns mit dem Paar Baresi-Costacurta, sie sagten, dass sie und wir die Besten gewesen seien. Es ist eine Ehre. Das Pech war die Knieverletzung, wegen der ich heute nicht mehr spielen kann.“
Gerard: „Wie gern ich das sage: Du solltest in dem Spiel Katalonien gegen Tunesien am 28. spielen, das habe ich dir schon gesagt.“
Carles: „Wir hätten mehr Jahre zusammen spielen können. Ich genoss es sehr. Es war eine spektakuläre Epoche. Wir verstanden uns gut, auf und neben dem Spielfeld.“
Wer hat den jeweils anderen mehr beeinflusst, alle Bereiche betrachtet?
Carles: „Ich habe mich geändert. Ich war sehr verschlossen, radikal, dachte 24 Stunden an den Fußball und er ließ mich sehen, dass die Dinge anders sein können.“
Gerard: „Ich sah ihn mit einem sehr trüben Gemüt. Dann sagte ich: ‚Komm schon, geh mal einen Tag aus‘. Er fasste Mut, ging zwei Tage weg und, weil ihn jeder kennt, kam das Gerücht auf, dass Puyol immerzu fortging. Ich konnte mich zu dieser Zeit ganz gut unsichtbar machen, es war auch mein erstes Jahr, aber er mit seiner Mähne … seitdem ist er nie wieder ausgegangen.“
Carles: „Für mich kam eine schlimme Zeit. 2006 starb mein Vater, 2007 zerbrach meine Beziehung, die ich zehn Jahre lang hatte. Und bei Barça, mit einer der besten Mannschaften der Geschichte, konnten wir keine Kontinuität reinbringen … und das mit mir als Kapitän. Dann gewannen wir die Europameisterschaft und als ich zurückkehrte, traf ich den Herrn Gerard Piqué.“
Und auf dem Spielfeld?
Gerard: „Heute lebe ich ruhig (lacht), ohne diese Zurechtweisungen. Das ist angenehm.“
Carles: „Ich glaube, das Wichtigste für einen Verteidiger ist das Verteidigen. Und wenn wir 4:0 gewinnen, ist es für mich wichtiger, dass sie uns keinen reinhauen, als selbst ein weiteres Mal zu treffen. Außerdem haben wir ja Stürmer, um das zu machen.“
Gerard: „Im Gegensatz dazu denke ich, dass bei einem 4:0 die Verteidigung das Recht hat, Spaß zu haben.“
Carles: „Ich hatte Spaß am Verteidigen.“
Gerard: „Ich habe es mit den Jahren auch gelernt. Zuerst hat es mir gar nicht gefallen. Genauso wenig, wie zu trainieren.“
Carles: „Mir gefiel es. Ihm nicht, aber er hat gute Voraussetzungen und hat sich verbessert. Und es gibt eine andere wichtige Sache, die ich immer diskutiert habe, außer mit den Teamkameraden: Die beiden wettbewerbsfähigsten, die es gibt, sind Leo und Gerard. Sie wollen immer gewinnen und verstecken sich nie. Wirklich nie. So etwas hat man oder man hat es nicht.”
Gab es einen denkwürdigen Ratschlag?
Gerard: „Als wir 5:0 gewannen, sagte er mir ‚Denk nicht an die Diskothek, jetzt noch nicht‘.
Carles (zum Interviewer): „Das schreibst du nicht auf.“
Gerard: „Ist egal, Carles, es ist zehn Jahre her. Ich war 21 Jahre alt. In der Nacht wegzugehen, wenn man gewann, war das ABC. Jetzt bin ich seit sieben Monaten nicht mehr weg gewesen. Wie sehr sich alles mit einer Familie verändert.“
Carles: „Gerard hat Schwein gehabt.“
Gerard: „Ich weiß. Ich bin ein Privilegierter und genieße zu viel. Und gehe immer ans Limit. Dann genieße ich noch mehr. In allen Bereichen des Lebens. Und es ist immer gut gegangen. Ich weiß, dass ich in anderen Dingen auch benachteiligt bin. Was solls? Dann ist es besser, dass ich kein Kapitän von Barça bin. Ein Kapitän sollte ein Vorbild sein und ich bin es in einigen Bereichen, aber nicht in allen. Mir würde es sehr gefallen, Kapitän zu sein, aber ich schau nicht mehr zurück. Ich muss mich ändern und das ist gut so.“
Carles: „Aber Gerard ist ein Anführer auf seine Art. Ein Kapitän ohne Kapitänsbinde. Er fühlt sich gut und genießt und das ist wirklich wichtig. Wenn du Kapitän bist, musst du, im Gegensatz dazu, mit allen sprechen.“
Gerard: „Das Ideale wäre eine Mischung aus uns beiden, aber weil die nicht existiert, ist das Beste, wenn wir zwei vereinigt sind, aber das ist vorbei.“
Erzählt mir vom 2:6 im Bernabéu. Ein Tor für jeden von euch.
Carles: „Eine perfekte Partie für uns.“
Gerard: „Und beim Stand vom 0:4 machte ich fast das Fünfte.“
Carles: „Besser so.“
Gerard: „Was für ein Kommentar. Ein typischer für einen Culé. Ansonsten würde Piqué zu groß werden …“
Carles: „Was hättest du gemacht?“
Gerard: „Eine Hand gezeigt, schätze ich.“
Und der Jubel nach dem 2:6. Nach dem Stil von Luis Enrique …
Gerard: „Ich habe nicht erwartet, zu treffen. Ich jubelte und zeigte dabei die Farben unseres Trikots. Es ist das mit dem Schwein gehabt, was wir vorhin sagten, es ist nicht greifbar.“
Dein Kuss auf das Wappen ist ein legendäres Bild.
Carles: „Viele Leute erinnern sich an dieses Bild. Es war eine Widmung an die Culés. Ich wollte mir etwas mit dem Wappen überlegen und am Ende kam der Kuss raus, was nicht das ist, was ich mir überlegt hatte. Ich habe davon ein Foto im Arbeitszimmer zu Hause.“
Der Clásico hat viele politische Verbindungen …
Carles: „Mich haben sie kritisiert, weil ich Unsinn erzähle. Gerard dafür, weil er kaum etwas sage. Er ging auf die Demonstration der Diada (Anm. d. Red: Nationalfeiertag Kataloniens) und hat am liebsten über das Recht gesprochen, selbst zu entscheiden. Ich genauso. Nichts weiter.“
Gerard: „Viel Leute haben das Gleiche gesagt und es ist nichts passiert.“
Carles: „Wenn es ein Problem gibt, wenn zwei Millionen Menschen auf die Straße gehen, was machen wir? Beobachten wir es nur? Wir müssen den Dialog suchen.“
Erinnert ihr euch an irgendeinen speziellen Moment?
Gerard: „Die Knieverletzung von Carles. Es war fatal. Carles, das muss ich jetzt sagen. Das muss der Titel des Interviews sein (lacht; Anm. d. Red.: gern geschehen). Er kam von der Verletzung zurück und trainierte allein und ich kam hinzu, um ein paar anspruchsvolle Übungen mit ihm und Juanjo (Anm. d. Red.: Physiotherapeut) zu machen. So habe ich ihn noch nie gesehen. Puyi strahlte immer das Bild der Resistenz und Unbesiegbarkeit aus und an diesem Tage habe ich ihn geliebt. In der Öffentlichkeit habe ich ihn nie so gesehen, so groggy, so entstellt. ‚Ich kann nicht mehr‘, hat er mir gesagt. Ich war kurz davor, ihm für diesen Tag die Schuhe wegzunehmen. ‚Jetzt habe ich alles gesehen‘, könnte ich gesagt haben (lacht).“
Carles: „Ich habe mich hundeelend gefühlt.“
Sprechen wir über Messi. Was könnt ihr mir über seine Auswirkung auf die Clásicos sagen?
Carles: „Es sind nicht die Clásicos. Es sind alle Spiele. Ich glaube, er ist die letzten drei Jahre gereift.“
Gerard: „Er hat verstanden, was die Mannschaft braucht. Er bindet sich überall mit ein. Er ist selbstlos, er hat alles.“
Wird er verlängern?
Gerard: „Ja, hier weiß man, dass er nirgendwo anders hingehen wird.“
Carles: „Ich glaube das auch. Es ist der beste Platz. Es ist sein Zuhause, jeder hier liebt ihn.“
Was macht Messi, wenn er in die Umkleidekabine kommt, nach den Beglückwünschungen?
Carles: „Er schnappt sich das Handy, wie alle.“
Gerard: „Sie geben dir den Ball, mit dem er den Hattrick erzielt hat, du schreibst ‚wieder einmal für Leo‘ drauf und das wars (lacht). Wenn man seine Wichtigkeit beachtet, ist Leo sehr natürlich.“
Carles: „Er liebt es, Fußball zu spielen, das ist es. Es ist ganz einfach.“
Gerard: „Das Schönste ist, dass er normal ist.“
Und Cristiano Ronaldo? Ist er schwerer zu stoppen?
Gerard: „Er hat einen unglaublichen Instinkt, Tore zu schießen, was nichts mit seiner Physis zu tun hat. Es ist angeboren. Und er ist sehr wetteifernd, eine Maschine, die sich immer verbessern will, auch wenn er jetzt weniger am Spiel teilnimmt.“
Carles: „Es ist nicht er, dessen Deckung mir am meisten Mühe gekostet hat. Es war Messi in den Trainings. Und Henry, Drogba … wegen ihrer Eigenschaften.