Nachdem wir den ersten Teil unserer Artikelserie ‘Der FC Barcelona und La Masia’ mit der Kernthematik dieses Artikels beendet haben, schließen wir daran nahtlos an. In dieser Ausgabe wollen wir euch die Trainingsmethoden der Katalanen bezüglich des Erlangens von technischen Fähigkeiten im Umgang mit dem Ball erläutern und ebenfalls zeigen, wie gewisse Herren wie Lionel Messi damit zu weltweit anerkannten Superstars avancierten.
Dass das Spiel der Katalanen auf ballbesitzorientierte Dominanz ausgelegt ist, hatten wir bereits am Ende unseres ersten Teils dargelegt. Einer von zwei Faktoren ist hierbei ein hervorragender Umgang beziehungsweise das Verständnis mit dem Ball. Dies ist auch ein Punkt, auf den die Blaugrana hauptsächlich Wert bei der Wahl ihrer La-Masia-Absolventen legt.
„Es interessiert hier nicht, wie kräftig ein Junge ist, wie lange er rennen kann. Es interessiert nur: Was kann er mit dem Ball? Darauf ist die ganze Ausbildung ausgerichtet: technisch einmalige Spieler hervorzubringen.“ – Johann Cruyff
An dieser Stelle kommen wir noch einmal auf den Aspekt einer Trainingsauslegung für Kinder im Alter von 6-11 Jahren aus dem ersten Teil zurück. Grundsätzlich sollte sich in diesem Altersrahmen das Interesse zum Sport in Form von stetigem Kontakt mit dem Ball entwickeln. Beim FC Barcelona wird dies in einem noch extremeren Ausmaße ausgeführt. Die Katalanen legen absolut jede Übung, egal mit oder ohne Ball, darauf aus, die motorischen Kenntnisse und Fähigkeiten der Beine im Umgang mit dem Ball stark zu verbessern. Nachfolgend eine Auflistung von ein paar ausgewählten simplen Übungen bei Jungkickern mit dem Ball:
- Bewegung des Balles zwischen den Beinen mit regelmäßigem Abstoppen
Diese Übung ist relativ simpel in ihrer Ausführung. Das Spielgerät wird dabei lediglich zwischen den Füßen hin- und hergetippelt, wobei bei zufällig ausgewählten Versuchen der Ball kurz angenommen, der Fuß blitzschnell unter den Ball gelegt und mit einer Schwungbewegung erneut auf den anderen Fuß weitergeleitet wird. Das Ziel dieser Übung ist neben einer verbesserten Ballbehandlung die insgesamt schnellere Motorik der Füße und Beine.
- Ballführung mit anschließender Körperdrehung um den Ball
Bei dieser Übung führt der Jugendspieler den Ball drei bis vier Meter über das Spielfeld, um danach eine Körperdrehung um den Ball herum zu vollziehen. Dabei soll darauf geachtet werden, dass der Ball mit einer erneuten Schwungbewegung auf den stärkeren Fuß gebracht wird und somit der Laufweg problemlos und schnell aufgenommen werden kann. Diese Übung stellt eine relativ effektive Option für Spieler dar, um sich in einem Zweikampf gegen einen eng positionierten Gegenspieler leicht behaupten und ein neues Sichtfeld für mögliche Passoptionen erlangen zu können.
- Schnelle Schrittfolge in einer ‘Koordinationsleiter’
Ausgangsituation vor dieser Übung: Die Kinder befinden sich vor einer Koordinationsleiter und müssen eine festgelegte Schrittfolge zwischen den Sprossen, also in den Feldern der Leiter, erfüllen. Das kann beispielsweise etwas Einfaches sein, wie mit dem rechten Bein einen Schritt jeweils in die Leiterlücken hinein und hinaus zu machen. Dasselbe ließe sich dann anschließend mit dem linken Bein machen. Es lassen sich allerhand Variationen mit diesem Trainingsgerät ausführen, womit sich besonders die Bein-Motorik der Kinder verbessern lässt.
„Bei den Kleinsten in der Jugendakademie ist der mit Abstand wichtigste Punkt, den Ball sehr gut zu kontrollieren, um die Fähigkeit zu haben, mit ihm zu laufen, schnell zu denken und die eigenen Pässe gut auszuführen.“ – Albert Capellas (ehemaliger Koordinator in der Jugendmannschaft des FC Barcelona)
Dies sind jetzt nur exemplarisch ausgewählte Beispiele, die veranschaulichen sollen, welch großen Wert die Katalanen auf die Motorik der Beine und Füße legen, was automatisch auch einen Vorteil im Dribbling und Umgang mit dem Ball hervorruft. Neben der Koordinationsleiter gibt es noch weitere ähnliche Übungsmaterialien, mit denen sich dieses Ziel erreichen ließe. Wer einen kurzen Einblick in eine Trainingssequenz beziehungsweise auch den oben dargestellten Übungen der Barça-Jugendspieler erhalten will, dem sei das folgende Video empfohlen:
Der ‘First Touch’: Essenziell für das Dribbling
Ein weiterer Punkt, der bei der Blaugrana hohen Stellenwert besitzt, ist der sogenannte ‘First Touch’, also der unmittelbar erste Fußkontakt eines Spielers mit dem Ball nach einem Pass. Für die Jugendtrainer der Blauroten gilt: Je besser der ‘First Touch’, desto besser ist die Ausgangsituation eines Spielers in einem direkten Zweikampf. Dieser erste Kontakt stellt das absolute Grundgerüst für eine Angriffssequenz der Katalanen dar. Jeder schlampig angenommene Ball ist eigentlich gleichbedeutend mit der Unterbrechung des Angriffs und der erneuten Positionierung für einen weiteren Versuch. Ein wichtiger Aspekt in diesem Zusammenhang ist die Frage, mit welchem Fuß der Spieler den Ball annimmt. Bei den Katalanen legt man großen Wert darauf, dass dies ausdrücklich mit dem ballfernen Fuß passiert, also dem Fuß, der weiter vom Ball entfernt ist als der andere. Die darunterliegende Grafik sollte diese Thematik noch einmal visuell veranschaulichen:
Diese strikte Anordnung besitzt einen relativ simplen Grund. Die Annahme mit dem ballfernen Fuß ist immer gleichbedeutend mit der Ballannahme am Innenrist eines Fußes. Durch die leichte Krümmung an der Innenseite des Fußes ist es wesentlich leichter, die Geschwindigkeit des Balles abzufangen und ihn nicht allzu weit vom Fuß wegspringen zu lassen. Dadurch erlangt man automatisch einen entscheidenden Vorteil im Zweikampf. Der Angreifer besitzt von Anfang an eine gewisse Distanz zum Ball und müsste dementsprechend einen Schritt mehr machen, um an ihn zu gelangen beziehungsweise sofort Zugriff auf den Spieler zu haben. Diesen Versuch der Balleroberung kann der Spieler der Katalanen nun nutzen, um mit dem Ball am gegnerischen Spieler vorbeizuziehen.
„Sei dir immer bewusst, wer um dich herum steht: Wenn du fühlst, dass er dir den Weg blockiert, dann mach einen Kontakt, um den Ball von ihm wegzuführen. Versuch dich in Stellung zu bringen, um den Pass zu bekommen: Je mehr Raum du hast, desto mehr Zeit besitzt du zum Denken.“ – Andrés Iniesta
Eine mögliche Spielsituation: Der Gegner befindet sich vor einem Spieler des FC Barcelona und versucht mit einem Schritt den Ball zu erobern. Aufgrund der hervorragenden motorischen Fähigkeiten mit dem Ball schafft es der blaurote Spieler, den Ball sofort weg und vorbei an den Gegenspieler zu führen. All dies wäre nicht möglich gewesen, hätte der Spieler der Blaugrana keinen guten ‘First Touch’ in der dicht besiedelten Hälfte des Gegners gehabt (hier ist die Situation nun stark reduziert dargestellt).
Wie bedeutend der First Touch in einem Praxis-Beispiel sein kann, zeigt uns immer wieder aufs Neue ein gewisser vierfacher Weltfußballer namens Lionel Messi. Bevor wir uns allerdings dieser Thematik widmen, sollte man sich das folgende Video zu Gemüte führen, das einige spektakuläre ‘First-Touch’-Szenen des Argentiniers zeigt:
Selbstverständlich handelt es sich hierbei um eine Zusammenstellung von extraordinären Szenen, allerdings verdeutlichen sie nur zu gut, wie enorm der Einfluss eines guten ‘First Touch’ sein kann. Wenn man nämlich exakt auf die Bewegungsabläufe von Messi und seinem jeweiligen Gegenspieler achtet, dann entdeckt man genau, wie unterschiedlich die Reaktionswahrnehmung von beiden Spielern ist. Während Messi dank seines brillanten ‘First Touch’ bereits den Ball nah am Fuß hat und sich um die nächste Bewegung/Körperdrehung Gedanken machen kann, muss der Gegenspieler erst an Messi herankommen und versuchen, Zugriff auf den Spieler zu erhalten. Dies verschafft ‘La Pulga’ oftmals eine essenzielle Ausgangssituation und lässt den Eindruck erwecken, dass er, im Gegensatz zu seinem Spieler, gedanklich immer einen Schritt voraus wäre. Wahrscheinlich wäre der 27-Jährige in seinen direkten Zweikämpfen seltener erfolgreich, hätte er nicht diese außergewöhnlichen Fähigkeiten im Bereich des ‘First Touch’.
Und was nun damit tun?
Und nun fragt man sich natürlich, was man mit verbesserten motorischen Fähigkeiten in den Beinen sowie Füßen und einem hervorragenden ‘First Touch’ erreichen will? Die Antwort ist ebenso simpel, wie die Fragestellung. Da der FC Barcelona sein Spiel auf Dominanz ausgelegt hat, findet das Spiel zu größten Teilen in der gegnerischen Spielfeldhälfte statt, also in 50, wenn nicht sogar 30 bis 40 Prozent des Spielfeldes. Ein guter erster Kontakt mit dem Ball sowie die darauf folgenden Ballführungen mit den technisch hervorragend geschulten Beinen machen es einem leichter, sich in diesem dicht geballten Raum des Spielfeldes zu behaupten. Sie gehören quasi zu den grundlegenden Fähigkeiten, die ein Fußballer in ‘La Masia’ im Laufe seiner Ausbildung erlangen muss. Deswegen ist es wichtig, an dieser Stelle zu erwähnen, dass viele oder besser gesagt fast alle Übungen der Katalanen, die der Verbesserung der individuellen technischen Fähigkeiten dienen, in einer limitierten Zone stattfinden. Dieser Punkt führt uns sogleich auch zu unserer nächsten Kernthematik in der Serie, nämlich dem gruppentaktischen Spiel der Katalanen auf engstem Raum. Mehr dazu in Teil 3 unserer Serie.
Teil 1: Der FC Barcelona und La Masia: Barça und die Sache mit der Dominanz
Teil 3: Der FC Barcelona und La Masia: Wie Messi und Co. zu Weltstars wurden (2)