Ronald Koeman sprach in einem exklusiven Interview mit Alan Shearer bei The Athletic über seine bisherige Zeit beim FC Barcelona. Er redete über seinen schweren Start als Trainer der Katalanen, wie er mit Lionel Messi umgegangen ist, den Umbruch bei Barça und die schwere Entscheidung, Luis Suárez abzugeben.
In einem exklusiven Interview mit The Athletic sprach Ronald Koeman über die Zukunft Lionel Messis und des Vereins, die Erwartungshaltung an ihn und welchen Fußball er bei Barça spielen lassen will.
Ronald Koeman…
… über seinem Wechsel von der niederländischen Nationalmannschaft zum FC Barcelona: „Vor diesem Sommer wurde mir bereits zwei Mal von Barça der Trainerjob angeboten. Doch beim dritten Mal konnte ich nicht ablehnen. Die zweite Anfrage erhielt ich letztes Jahr im Januar. Damals lehnte ich ab. Ich wollte die Nationalmannschaft nicht so kurz vor einem großen Turnier verlassen und COVID-19 war noch kein Thema. Doch nachdem durch COVID-19 die Europameisterschaft abgesagt wurde, habe ich zu mit selbst gesagt, ‘Ich will nicht mehr warten – das ist wahrscheinlich meine letzte Chance, um Trainer bei Barça zu werden.'”
… über Messis Wechselwunsch im Sommer, wie er mit dem Kapitän umgegangen ist und seine Beziehung zu ihm: „Es war eine schwierige Zeit. Er ist immer noch der beste Spieler der Welt, aber er war über die Gesamtsituation des Vereins verärgert. Messi war sehr unglücklich darüber, dass er Teil eines Teams war, dass 2:8 gegen den FC Bayern München in einem Champions-League-Viertelfinale verloren hat. Als ich in Katalonien ankam, sagte ich den Verantwortlichen: ‘Das ist ein Problem zwischen euch und Leo Messi. Ihr müsst das Problem mit ihm lösen.’ Als sich der Verein gegen einen Transfer entschieden hatte, wusste ich, dass es keine einfache Zeit für Messi sein wird. Vor dem Saisonstart traf ich mich mit Leo in seinem Haus und zeigte ihm meine Pläne für ihn und die Mannschaft. Ich wusste, dass er Probleme mit dem Verein hatte, aber nicht mit mir. Also sagte ich zu Leo, ‘Ich wäre sehr glücklich darüber, wenn du bleibst. Wenn nicht, ist es deine Entscheidung und du musst das mit dem Verein besprechen. Wenn du bleibst, wirst du ein wichtiger Bestandteil des Teams und ich werde versuchen, das Beste aus dir herauszuholen.’ Stück für Stück akzeptierte Messi diese Situation. Man sieht, dass er wieder sehr gut spielt und er bindet sich wieder viel mehr in den Verein und die Mannschaft ein. Ich spreche mit Leo über taktische Dinge und wir haben eine sehr gute, professionelle, fußballerische Beziehung. Die habe ich mit allen Spielern, doch er ist der Kapitän, also rede ich natürlich nochmal mehr mit ihm.“
… darüber, ob Messi seinen Vertrag beim FC Barcelona verlängert: „Ich bin nicht überzeugt davon, aber hoffnungsvoll, weil er ein großartiger Spieler ist, der das Team allein zum Sieg führen kann. Ich genieße es, sein Trainer zu sein. Seine Qualität, die man täglich im Training sieht, ist einfach unglaublich. Er kam als Kind nach Barcelona und ich kann es mir einfach nicht vorstellen, dass er ein anderes Trikot trägt.“
… über Entscheidungen bei der Kaderplanung und den Abgang von Luis Suárez: „Es ist ein Teil des Trainerjobs. Als ich nach Barcelona kam, hatte ich meine Meinung zum Kader und die Informationen des Vereins. Basierend darauf, habe ich meine Entscheidungen getroffen. Wenn diese Entscheidungen gut gehen, dann ist alles in Ordnung, wenn sie nicht gut gehen, bleibe ich meiner Entscheidung trotzdem treu. Wir befinden uns im Umbruch und natürlich wäre es uns lieber gewesen, dass Luis Suárez zu Juventus Turin anstatt Atlético geht. Er ist aber immer noch in der spanischen Liga und wir müssen es akzeptieren. Es war eine schwere Entscheidung, ob er bleibt oder nicht. Wir sind dem Spieler aber immer mit Respekt begegnet und ich bereue meine Entscheidung nicht.“
… über den führungslosen Verein: „Wir brauchen einen Präsidenten, der die Zukunft des Vereines formt. Momentan ist das Schwierigste, dass es keinen Präsidenten gibt. Es gibt keine Nummer eins im Verein, die die Entscheidungen trifft. Ich muss als Trainer diese Entscheidungen übernehmen und es macht meinen Job nicht einfacher. Es gibt keine Bezugsperson, mit der du über die Zukunft des Vereins diskutieren kannst. Barça braucht dringend einen Präsidenten.“
…über die finanziellen Schwierigkeiten im Verein aufgrund der Corona-Pandemie: „Deshalb können wir keine neuen Spieler verpflichten. Barça ist der Verein, der durch COVID-19 die meisten Probleme bekommen hat. Es gibt keine Zuschauer, keinen Tourismus in Barcelona. Die Touristen kommen zu uns ins Stadion, geben ihr Geld für Trikots, das Museum oder eben Tickets aus. Ohne diese Einnahmen ist es wirklich schwer für den Verein. Mit dem Ende von COVID-19 wird der FC Barcelona wieder zu alter Stärke finden.“
… über die Erwartungshaltung des Vereins an ihn: „Mir wurde nicht gesagt, dass ich einen Titel gewinnen müsse. Jeder im Verein begreift, dass wir uns in einem Übergangsjahr befinden. Natürlich wollen wir um Titel mitspielen und Pokale gewinnen, aber wir können einfach nicht erwarten, dass wir die Champions League gewinnen. Vielleicht gewinnen wir gegen PSG, können sogar das Halbfinale erreichen. Viele Vereine sind aber aktuell besser als wir und von daher die größeren Favoriten, um die Champions League zu gewinnen. Barcelona wird aber zurückkommen und wieder ein Favorit auf den Champions-League-Titel sein.“
… über den Fußball, den er spielen lassen möchte und den Umbruch mit den jungen Spielern: „Ich bin ein Beschützer und Förderer des Cruyff-Vermächtnisses. Ich habe selber unter Johan gespielt, er hat den FC Barcelona und sein Spielsystem nachhaltig verändert. Er wechselte auf ein 4-3-3-System und forderte offensiven Fußball mit einem intensiven Pressing. Genauso möchte ich spielen lassen und auch, dass sich die jungen Spieler für dieses System entwickeln. Denn ein Umbruch bedeutet immer, dass junge Spieler mehr Möglichkeiten bekommen, um sich zu zeigen. Es ist trotzdem schwer, weil die Fans des FC Barcelona das Siegen gewohnt sind. Die Fans müssen akzeptieren, dass es ein Umbruchsjahr ist und es für jeden einzelnen im Verein schwer ist. Doch nur so können wir Barça zum altem Glanz führen. Wir haben gute, junge Spieler, aber man muss ihnen Zeit geben. Manchmal spielen wir mit fünf bis sechs Spielern in der Startelf, die um die 20 Jahre alt sind. Man weiß, dass sie Fehler machen müssen, um an ihnen zu wachsen. Ich gehe mit diesen Fehlern sehr gelassen um, aber es ist trotzdem schwierig, da das Umfeld uns immer gewinnen sehen möchte. Wir sind glücklich, weil wir sehr viele große Talente haben, wie zum Beispiel Ansu Fati, Pedri oder Ronald Araujo. Nichtsdestotrotz können wir nicht erwarten, dass sie sich genauso entwickeln wie die Talente von vor zehn Jahren.“