Welche Schuld trifft Ernesto Valverde?

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Nach einer derart vernichtenden Niederlage, wie sie Barça an der Anfield Road kassierte, gerät zwangsläufig auch der Trainer ins Zentrum der Kritik. Doch ist das Ausscheiden aus der Champions League wirklich an Ernesto Valverde festzumachen?

Seit Ernesto Valverde im Sommer 2017 seine Arbeit in der katalanischen Hauptstadt begann, verging gefühlt keine Woche, in der dem Coach nicht massiver Gegenwind entgegenwehte. Der Barça-Trainer würde keine attraktive Spielweise auf den Platz bringen, Fußball eher destruktiv denken und die Erfolge des Trainers seien vor allem das Werk eines einzelnen Spielers: Lionel Messi.

Tatsächlich wünschen sich viele Fans des FC Barcelona die Zeit unter Pep Guardiola zurück, in der der Verein seine bis dato erfolgreichste Ära erlebte und zugleich Fußball vom anderen Stern spielte. An diese Zeit anzuknüpfen ist eine Herkulesaufgabe, an der wohl ein jeder Trainer scheitern muss – so auch Ernesto Valverde.

Die Ergebnisse stimmen

Valverdes Anstellung als Coach hatte mehrere Ursachen, zwei der Hauptgedanken waren: Er solle mit seiner Erfahrung den traditionell aufgeregten Verein mithilfe seiner Kernattribute Gelassenheit und Sachlichkeit zur Ruhe zu bringen; und Barça so, basierend auf seinem Charakter, mit der ihm eigenen konservativen Stabilität zu einer Ergebnismaschine formen.

Und das, so muss man sagen, schaffte Valverde bisher. In seiner Debütsaison 2017/2018 holte er mit dem FC Barcelona auf Anhieb das Double aus Meisterschaft und Pokal. In dieser Saison war man sogar auf Triple-Kurs, nach der Schmach in Liverpool ist weiterhin erneut das Double möglich. Diese Tatsachen bezeugen einer beispiellose Dominanz, die der FC Barcelona seit nunmehr zwei Jahren auf nationaler Ebene ausstrahlt.

Doch die Spielweise unter Valverde? Nicht immer berauschend, weil zutiefst ergebnisorientiert. Natürlich strahlt der FC Barcelona auch unter dem aktuellen Trainer eine große Dominanz aus – der Kader, der den meisten anderen Teams individuell immer noch klar überlegen ist, lässt überhaupt keine andere Möglichkeit zu. Doch das Verhalten, gerade nach Führungen, unterscheidet sich von früheren Ansätzen fundamental. Übernahm man in der Vergangenheit selbst bei hohen Führungen noch die Initiative im Mittelfeld, so überässt man dem Gegner nun wesentlich öfter den Ball und lauert auf Kontersituationen, was viele Culers als Verrat an der eigenen Spielphilosophie empfinden.

Immer öfter konnte man daher beispielsweise in den sozialen Netzwerken Hashtags wie #Valverdeout lesen. Dennoch hätten selbst diese, teilweise übertrieben hysterischen Fans besänftigt werden können, wenn es damit gerade in dem Wettbewerb zum Erfolg gereicht hätte, dessen Gewinn sich viele Fans von Barça sehnlichst wünschen: der Champions League. Doch hier setzte es erneut eine peinliche Niederlage, die Valverdes Standing im Verein beschädigt.

Erneutes Scheitern in der Champions-League

Vielleicht ist gerade die Dominanz in Spanien, die viele Beobachter mittlerweile als gegeben erachten, auch ein Problem. Acht Mal gelang den Katalanen in den letzten elf Jahren der Gewinn der spanischen Meisterschaft. Vier Mal in Folge holte man die Copa. Die Barça-Fans sind an das Gewinnen dieser Titel gewöhnt. Aus Gewohnheit wird Routine, aus Routine wird Langeweile. Der einzige Titel, an dem sich für viele mittlerweile der Unterschied zwischen einer erfolgreichen und enttäuschenden Saison manifestiert, ist die Champions-League.

Und gerade hier sind die Ergebnisse unter Valverde ernüchternd. Vergangenes Jahr das Debakel gegen den AS Rom, jetzt das historsiche Ausscheiden gegen den FC Liverpool. Bemerkenswert ist in beiden Fällen die Art des Ausscheidens. Reichte im vergangenen Jahr ein 4:1-Vorsprung nicht, war es diesmal ein 3:0-Vorsprung, der im Rückspiel hergeschenkt wurde. Doch inwiefern ist dieses erneute, blamable Ausscheiden die Schuld des Trainers?

Keine schlechte Leistung

Zwischen beiden Niederlagen gibt es einen fundamentalen Unterschied. War es im Ausscheiden gegen den AS Rom im Rückspiel noch eine von allen Seiten schlechte Gesamtleistung, zeigte der FC Barcelona in beiden Spielen gegen den FC Liverpool jeweils Spiele, mit denen es ohne weiteres möglich gewesen wäre, das Finale von Madrid zu erreichen. Im Großen und Ganzen spielte Barcelona zwei gute Partien und die Gesamtleistung des Hinspiels, in dem man mit 3:0 gewann, unterschied sich nur in Nuancen von der Leistung im Rückspiel. Auch wenn ein Blick auf das blanke Ergebnis das ganze verschleiert.

Zu Erinnerung: Auch im Hinspiel hatte Liverpool bereits genug Chancen, zumindest ein Auswärtstor zu erzielen; und nicht wenige waren der Meinung, dass der Sieg der Katalanen insgesamt zu hoch ausfiel. Die Leistung reichte jedoch unter dem Strich, um eines der besten Teams der Welt (ergebnistechnisch) klar zu schlagen und Ernesto Valverde für seine taktischen Maßnahmen – beispielsweise tiefer zu stehen und durch Hereinnahme von Arturo Vidal auf ein kämpferisches Element gegen die Ball zu setzen – in den Himmel zu loben. Spielersich waren beide Teams auf Augenhöhe, ganz so, wie es von vielen Seiten vorhergesagt wurde. Die Expected Goals Metrik (xG) spricht eine klare Sprache: Das Aufeinandertreffen war über beide Spiele gesehen absolut ausgeglichen. 

Im Rückspiel bot sich den Zuschauern dann ein ähnlichs Bild. Nach einer starken Anfangsphase der Heimmannschaft hatte der FC Barcelona das Spiel bis zum Pausenpfiff eigentlich im Griff und dominierte den englischen Spitzenklub. Lediglich kleinere Unkonzentriertheiten zu Beginn der zweiten Halbzeit und der kollektive Tiefschlaf bei der Ecke von Trent Alexander-Arnold sorgten schlussendlich für Ernüchterung. Man muss hier natürlich die Frage stellen, wie so etwas einer Spitzenmannschaft in einem Champions-League-Halbfinale passieren kann und noch viel mehr muss man sich Fragen stellen, ob es irgendeinen Weg gibt, wie sich diese haarsträubenden Fehler durch den Trainer verhindern lassen. Kann ein Trainer wirklich die Konzentration seiner Spieler steuern?

Das ist extrem schwer zu sagen. In erster Linie muss sich jedoch der Trainer für die Leistung seiner Mannschaft verantworten, was Valverde nach dem Spiel auch tat. „Liverpool war besser und wir müssen es akzeptieren. Der Endstand lautet 4:0 und dann gibt es keine Ausreden,” gab Valverde nach dem Spiel zu Protokoll, während sich seine Spieler ebenfalls in Selbstkritik übten. So sagte Suárez stellvertretend: „Es ist das zweite Mal, dass uns das passiert ist. Wir können diese Fehler nicht zweimal in Folge machen. Wir müssen uns für das, was wir falsch machen, selbst Vorwürfe machen.”

 

Es ist also nach wie vor schwer auszumachen, woran das erneute Ausscheiden lag und wer dafür am Ende seinen Kopf hinhalten muss. War die Taktik mit Rakitic und Vidal, zwei konservativen, gegen den Ball ausgerichteten zentralen Mittelfeldspielern, die falsche Herangehensweise? Hätte Barça die Ballsicherheit Arthurs gebraucht, hätte der erneut blasse Coutinho gar nicht erst beginnen dürfen? Sind Jordi Albas erstaunliche wie ungewöhnliche Fehler wirklich die Schuld des Trainers? Oder Messis knappe Fehlschüsse, oder Suarez’ schwacher Abschluss, oder – man erinnere sich – Ousmane Dembélés vergebene Großchance in letzter Sekunde des Hinspiels? Die Sachlage ist komplex. 

Doch auch Ernesto Valverde kennt die Mechanismen der Branche und muss damit rechnen, dass es am Ende ihn treffen könnte und er seinen Hut nehmen muss. Bereits nach dem Ausscheiden gegen Rom gab es Gerüchte um ein vorzeitiges Ende seiner Tätigkeit bei Barça. In einigen spanischen Medien setzt man sich derzeit nicht nur mit der Frage auseinander, ob Valverde geht, sondern ob er dies freiwillig tut oder zu seinem Abschied gezwungen wird. Auch über deutlich größere Transferaktivitäten im kommenden Sommer wird demnach gemutmaßt. Bleibt abzuwarten, was am Ende mit der Mannschaft passiert und ob es am Ende tatsächlich heißt: Valverde Out!

 

Lucas Gröning / Alex Truica

 

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