Der FC Liverpool wird der bisher härteste Prüfstein der Saison für den FC Barcelona. Die Katalanen erwarten im Halbfinale der Champions League eine ganze harte Nuss. Liverpools Stärke ist aber auch ihre Schwäche.
Alles begann mit einem Golfschläger. Der 21. Februar 2007 ist bis heute ein Tag, von dem Fans des FC Liverpool noch im Detail berichten können. Wo sie waren, als ihre Reds im Camp Nou gewannen. Als ein Team, dessen klangvollste Namen Steven Gerrard, Xabi Alonso und Jamie Carragher waren, beim großen FC Barcelona feierte. Als Craig Bellamy den Grundstein legte und John Arne Riise veredelte.
Wenige Tage vor der Partie hatten sich die Spieler des englischen Traditionsklubs in einer Karaoke-Bar an der Algarve getroffen. Ohne Betreuer, ohne Trainer, dafür aber mit reichlich Alkohol. Bellamy forderte Riise mehrfach zum Singen auf, der Liverpool-Verteidiger hatte darauf allerdings keine Lust und verneinte. Es entwickelte sich ein Streit, der darin gipfelte, dass Bellamy seinem Mitspieler mitten in der Nacht einen Golfschläger – ein 8er-Eisen, wie man sich zu später Stunde in den Pubs der Stadt erzählt – ins Kreuz schlug. Dann trafen ausgerechnet die beiden Streithähne bei Liverpools 2:1-Auswärtssieg im Hinspiel im Camp Nou, Bellamy bejubelte sein Tor zum 1:0, in dem er einen Abschlag beim Golf immitierte. Die gesamte Mannschaft konnte über die Anekdote lachen, am Ende kamen die Reds trotz einer 0:1-Niederlage im Rückspiel aufgrund der Auswärtstorregelung gegen Barça weiter.
Ikonische Szene: Craig Bellamy (li.) mit seinem Golfschläger-Jubel. Photo by Stu Forster/Getty Images
Wer sich dieser Tage das Team von Jürgen Klopp ansieht und Barça die Daumen drückt, der mag vielleicht auch hoffen, dass auch 2019 Roberto Firmino und Andy Robertson in einer Karaoke-Bar an der Algarve das eine oder andere Glas Hochprozentiges und einen handfesten Streit zwischen Männern teilen. Wahrscheinlich ist das aber nicht.
Jürgen Klopp formte ein Spitzenteam
Der FC Liverpool ist, wenn man so möchte, erwachsen geworden. Was zu Beginn der letzten Dekade mitunter ein wenig den Flair einer Thekenmannschaft hatte, ist jetzt ein ernstzunehmendes Schwergewicht im europäischen Fußball. Aus Spielern des Formats von Andy Caroll, Stewart Downing und Paul Konchesky sind inzwischen Mohamed Salah, Sadio Mané und Virgil van Dijk geworden. Transfers mit Sinn, Transfers mit Weitblick – und Transfers mit beachtlichen Summen, die auch dank einer gewissen Affinität des FC Barcelona für südamerikanische Offensivkräfte Liverpools überhaupt erst gezahlt werden konnten.
Das Team ist stetig reifer geworden unter der Anleitung von Jürgen Klopp. Im Titelrennen in der Premier League haben sich die Reds diese Saison nur eine einzige Niederlage, eine folgenschwere bei Tabellenführer Manchester City, erlaubt. Aus dem altehrwürdigen Stadion an der Anfield Road wurde wieder eine Festung, sogar Spitzenmannschaften tun sich stellenweise schwer, in Anfield überhaupt ein Tor zu erzielen, geschweige denn zu gewinnen. Trotzdem hat das Klopp-Kollektiv in der Liga einen Zähler Rückstand auf die perfekt geölte Fußball-Maschine Manchester City. Und in der frühen Phase der Champions League erlaubte sich Liverpool drei Auswärtsniederlagen, darunter auch ein peinliches 0:2 bei Roter Stern Belgrad.
Dass es der fünffache Europapokal-Sieger überhaupt erst ins Achtelfinale geschafft hatte, hat er einem Treffer von Mohamed Salah und einer überragenden Parade von Alisson im entscheidenden Gruppenspiel gegen Napoli zu verdanken. Das damalige Liverpool war allerdings mental, und auch das gehört zur Wahrheit dazu, meilenweit vom jetzigen Team entfernt. Schwere Aufgaben in der Liga meistern die Reds mit einer beeindruckenden Leichtfüßigkeit. Wenn es doch einmal eng wird, ist das Glück einer Spitzenmannschaft zur Stelle – wie auch gegen Tottenham, als Hugo Lloris sich einen Salah-Kopfball mit reichlich Pech ins eigene Tor jagte.
Liverpools Mittelfeld als Stärke und Schwäche
Der Arbeiterklubs von der Mersey agiert nach Klopp’schem Pressingplan. Mittelfeld und Angriff sollen beim Pressing ein enges Sechseck bilden, das sich je nach Spielsituation in Richtung Ball verschiebt. Mit cleveren Seitenwechseln und hohem Tempo danach ist dieses Sechseck schnell in falscher Position, in der Defensive sind die Außenverteidiger Robertson und Alexander-Arnold, so gut sie auch flanken und so unermüdlich sie auch das Feld auf und ab rennen mögen, immer wieder anfällig. Wie sich das ausnutzen lässt, hat Paris St.-Germain im Heimspiel in der Gruppenphase sehr gut gezeigt.
Eine Schwäche in Klopps System ist die fehlende Kreativität im Mittelfeld. Der Abgang Coutinhos hat Spuren hinterlassen, das Sturm-Trio ist noch häufiger als in der vergangenen Saison rund um die Mittellinie zugange, um sich dort die Bälle zu holen und Angriffe zu initiieren. Die verbesserte Form von Naby Keita und Jordan Henderson, der seit wenigen Wochen wieder in seiner präferierte Rolle als Achter spielt, hat zumindest teilweise für mehr Ideen gesorgt, gegen eine gut organisierte Defensive hat der letztjährige Champions-League-Finalist aber weiterhin Probleme. Den LFC plagt mitunter eine beängstigende Ideenlosigkeit, die sich vor allem Anfang des Jahres in der Liga zeigte. Mit fünf Unentschieden in sieben Pflichtspielen wird das vermutlich der Zeitpunkt gewesen sein, an dem der einstige englische Rekordmeister seinen 19. Titel liegen hat lassen.
Doch Vorsicht, Barça: Ballverluste im Mittelfeld sind brandgefährlich – das womöglich anfänglich harmlos wirkende Sechseck kann sich nach Ballgewinnen plötzlich zu einem Wirbelsturm entwickeln, sobald Salah, Mané und Co. Fahrt aufnehmen, fährt quasi ein D-Zug auf die gegnerische Abwehrreihe zu. Es wird also stark auf die Ballsicherheit ankommen, mit der Barça in der eigenen Hälfte agiert.
Van Dijk sorgt für Stabilität
Auffällig ist, dass das Klopp-Team nun deutlich balancierter agiert. Das, gemeinsam mit der Präsenz von Virgil van Dijk, der in dieser Woche zum Spieler des Jahres in der Premier League ausgezeichent wurde, sorgt natürlich für weniger Gegentore.
Eine für Barcelona durchaus interessante Blaupause, wie Liverpool zu schlagen ist, war Ende März die Leistung der Tottenham Hotspur. Das dürfte dem Team von Ernesto Valverde vor allen Dingen für das Rückspiel Hoffnung machen: Als die Reds beim Stand von 1:1 den Defensivverbund auflösten, waren die Spurs dem zweiten Tor deutlich näher. Ein Tor, das vermutlich gereicht hätte, um den LFC in Anfield zu schlagen. Doch Moussa Sissoko vergab die Riesenchance, hinten patzte Lloris und so ging Liverpool am Ende als Sieger vom Platz. Bei einem entsprechend positiven Ergebnis im Hinspiel könnte Barcelona, ähnlich wie Tottenham, vom sich bietenden Raum profitieren. Mit dem Unterschied, dass dann nicht Sissoko, sondern Lionel Messi der Nutznießer sein könnte.
Doch zuerst gilt es, im Hinspiel am Mittwoch die Weichen zu stellen. Im Februar 2007 war Liverpool noch als klarer Außenseiter in die katalanische Metropole gereist, ehe der Golfschläger-schwingende Bellamy aus dem Nichts zuschlug. Diesmal begegnen sich die beiden Mannschaften auf Augenhöhe.
Alexander Aulila