„Wir konnten keine Pässe über fünf Stationen spielen.” Nach dem Spiel seiner Mannschaft gegen Atlético Madrid ging Tata Martino durchaus sorgfältig auf die Gründe ein, warum seine Mannschaft dem Kontrahenten nur wenig entgegenzusetzen hatte. Die Hauptstädter waren ihrem Gegner in vielen Belangen überlegen und kamen vor allem über ihre hohe Intensität zu guten Chancen. Der FC Barcelona kontrollierte den Ball, Atlético aber das Spiel. Mit Pressing, Gegenpressing, Kontern und dem berühmten ‘Bus’ zogen sie verdient ins Halbfinale ein.
Es hatte nicht sollen sein. Zum ersten Mal seit langer Zeit müssen die Spieler des FC Barcelona ein Halbfinale wieder vor dem Fernseher verbringen. Gegen ein starkes Atlético Madrid fanden sie nur wenige Mittel, um ihr typisches Spiel durchzusetzen. Die Gastgeber waren fast immer Herr der Lage und kontrollierten das Spiel vor allem durch ihren Einsatz und die hohe Intensität, die Barça zum Leidwesen der Fans nicht mitgehen konnte.
Pressing und Gegenpressing: Atlético lässt Barça keine Luft
Im Vergleich zum Hinspiel präsentierte sich Atlético auf zwei Positionen verändert. Garcia rückte für den verletzten Arda Turan in die Mannschaft, während Adrián den ebenfalls verletzten Diego Costa vertrat. Im Rückspiel setzte Diego Simeone auf altbewährte Mittel, die aber wesentlich besser umgesetzt wurden als noch beim ersten Aufeinandertreffen. In unserer Vorschau zur Viertelfinal-Partie haben wir Vermutungen angestellt, ob das aufseiten von Atlético nur sporadisch vorhandene und wenig effektive Pressing im Hinspiel am Mittwoch ein bedeutenderer Faktor werden würde. Und tatsächlich, vor heimischem Publikum pressten die Hausherren in der Anfangszeit ohne Ende und bereiteten dem FC Barcelona erhebliche Probleme im Spielaufbau. Sie praktizierten das Offensivpressing auch diesmal aus einer 4-4-2-Grundordnung heraus, allerdings mit einem großen Unterschied: Während im Hinspiel die vertikalen Abstände der zentralen Mittelfeldspieler Tiago und Gabi zu ihren unmittelbaren Gegenspielern teilweise zu groß waren, sah es am Mittwochabend ganz anders aus. Die ‘Rojiblancos’ präsentierten sich unglaublich kompakt im Pressing und machten die Räume extrem dicht. Auch diesmal wählten sie einen überwiegend symmetrischen Ansatz – die Stürmer übernahmen die Innenverteidiger, die Spieler dahinter coverten die anderen Barça-Akteure mannorientiert. Alternativ versperrte Stürmer Adrián die Passwege, während Gabi Druck auf den ballführenden Innenverteidiger ausübte.
Das Pressing funktionierte wunderbar, Barça war tatsächlich nicht in der Lage, mehr als fünf Pässe zu spielen. War die erste Pressingreihe umspielt, rückten die vorderen Akteure zurück und betrieben rückwärtiges Pressing – schnell war der Ball wieder in den eigenen Reihen. Das Gegenpressing war ebenfalls sehr effektiv. Es fand mit einer großen Intensität statt, die Spieler kesselten den ballführenden Gegner ein und isolierten ihn. Und schnell war der Ball wieder weg. So erarbeitete sich Atlético einige günstige Gelegenheiten.
Gegen den ‘Bus’ gab es kein Durchkommen
Was die Spielweise bei eigenem Ballbesitz angeht, operierten die Gastgeber häufig mit langen Bällen. Die Zuschauer sahen immer das gleiche Schema: Hoher Ball in die Spitze, Kopfballverlängerung auf den durchstartenden Stürmer – und die nächste Torchance war entstanden. Das waren einfachste Mittel, die aber gegen das kopfballschwache Barça gut funktionierten. Daneben gab es auch die bereits im Hinspiel sichtbaren Seitenüberladungen. Das Flügelspiel war aber nicht so effektiv wie die hohen Bälle. Auffällig war, wie eng Atlético das Spiel auch bei eigenem Ballbesitz machte. Zum Teil war aus der Totalen zu sehen, wie sich das Spiel bei Ballbesitz der ‘Rojiblancos’ nur auf einen kleinen Bereich konzentrierte. Der ballferne Flügelspieler von Atlético, Garcia oder Koke, rückte dabei stark ein. Das Ziel von Atlético war klar: Spiel verengen, Abstände minimieren, Druck ausüben, erste und zweite Bälle gewinnen, schnell nach vorne spielen. Das taktische Konzept wurde dabei mit einer Intensität umgesetzt, die ihresgleichen sucht.
Pressing und Gegenpressing war nur eine Facette ihres Spiels, der ‘Bus’ und Konter die andere. David Villa und Co. konnten das enorme Anfangstempo nicht die ganze Zeit aufrechterhalten. Nach 15 Minuten beruhigte sich das Spiel und Barça ließ den Ball laufen. Mehr als das war aber gegen diesen Gegner nicht drin. Alle arbeiteten mit nach hinten, die Stürmer Villa und Adrián provozierten den Spielaufbau über die Seiten, wo der Druck auf Barça erhöht wurde. Hinter den Stürmern verteidigte Atlético in der 4-4-Formation – die erste Viererkette war extrem dicht gestaffelt, die Abwehr stand etwas breiter. Löcher gab es nicht, es gab aufgrund der Nähe der Ketten zueinander nicht einmal einen Zwischenlinienraum. Wenn ein Barça-Spieler vorbei wollte, musste er es mit doppelt so vielen Gegnern aufnehmen. Die Taktik von Atlético ging voll auf, Barça kam in der ersten Halbzeit zu sehr wenigen Chancen.
Kein Spiel auf zweite Bälle und zu viel “Komfort” im Angriff
So gut Atlético auch war – das Spiel war keine Offenbarung seitens der Katalanen. Nach einer guten Leistung im Hinspiel war die Mannschaft im Rückspiel teilweise völlig neben der Spur. Das lag zum Teil auch an ihrem Selbstverständnis: Statt den Ball bei übermäßigem Druck hinten herauszuschlagen, suchten die Akteure eine spielerische Lösung und landeten im Fangnetz des Gegners. Diese Vorgehensweise war unverständlich, ist die pressing-resistenz doch nicht unendlich vorhanden. Barça hätte besser auf die zweiten Bälle setzen und sich mental darauf vorbereiten sollen. Stattdessen riskierte man vieles und wurde auch bestraft.
Die Spielweise in der Offensive war auch nicht gerade das Gelbe vom Ei. Tata Martino hatte eine Idee und beförderte Cesc Fàbregas auf die Falsche Neun, während Lionel Messi häufig auf dem rechten Flügel anzutreffen war. Ein Faktor in diesem Spiel war diese Veränderung aber nicht. Vielleicht war sie sogar kontraproduktiv, weil der für Barça-Verhältnisse zweikampfstarke und äußerst engagierte Fàbregas defensiv den Hauch seiner ‘englischen Härte’ nicht einbringen konnte. Sei es drum, das war nicht entscheidend. Gegen einen solchen tiefstehenden Gegner braucht es Spielwitz, Bewegung und Ideen im letzten Spielfelddrittel. Das alles war bei Barça kaum vorhanden. Neymar war so ziemlich der einzige Spieler, der auch in die Vertikale ging und die Zweikämpfte suchte – doch er war auf verlorenem Posten. Ansonsten ist in derartigen Spielen sehr häufig zu beobachten, dass sich viele Barça-Akteure in der Komfortzone befinden. Aus dem Mittelfeld kam kaum ein offensiver Impuls, geschweige denn ein Laufweg, der das übliche Muster durchbrach. So hart es klingen mag: Ohne Neymar fände der FC Barcelona gegen Atlético offensiv nicht statt.
Fazit
Barça braucht neue Spielertypen, um in solchen Partien mehr Zug zum Tor zu entwickeln. Das ist nicht gleichbedeutend damit, dass die anderen schlecht sind; ganz und gar nicht. Es sind die Art von Spiele, die der Mannschaft einfach nicht liegen, was wiederum an dem vorhandenen Spieler-Stereotyp liegt. Und dennoch hätte, alles zusammengenommen, Barça weiterkommen können. Im Hinspiel ist zu wenig herumgekommen, und im Rückspiel wurden zum Teil herausragende Tormöglichkeiten nicht verwertet. Das wiederum zeigt die Klasse der Mannschaft, mit ihr ist immer zu rechnen. Eine Evolution ist aber geboten, schließlich sind nicht nur tiefstehende Mannschaften ein Problem, sondern auch die Defizite in der Rückwärtsbewegung.
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