Ernesto Valverde ist Vergangenheit, Quique Setién die Zukunft. Doch was macht Barças neuen Trainer aus? Warum sehen ihn viele als den perfekten Trainer für den FC Barcelona an? Setién ist Anhänger der Cruyffschen Fußballphilosophie. Er ist aber auch ein Dogmatiker und ein romantischer Sturkopf.
Nun also doch! Was viele Fans lange herbeigesehnt haben, ist am Montagabend tatsächlich Wirklichkeit geworden. Der FC Barcelona hat sich von Trainer Ernesto Valverde getrennt. Das Unentschieden im Derby gegen Espanyol Barcelona und die Supercup-Niederlage gegen Atlético Madrid besiegelten letztlich das Schicksal des 55-Jährigen. Sein Nachfolger war dann auch schnell gefunden: Quique Setién.
Setién und der FC Barcelona – das ist für Fans wie auch für viele Experten ein ‘match made in heaven’. Der 61-Jährige lässt nämlich genau die Art von ballbesitzorientiertem Fußball spielen, die Johann Cruyff einst nach Barcelona brachte und die später unter der Regie von Pep Guardiola zum Markenzeichen der Katalanen wurde.
Nach diesem Stil, der im Zuge von Guardiolas Abschied nach und nach aus dem Camp Nou verschwand, sehnen sich die Fans bis heute. Die langen Passstafetten, die vielen Positionswechsel. Für viele ist es das, was Barça ausmacht – oder zumindest ausmachen sollte. Setiéns Spielphilosophie ist also gewissermaßen eine Rückbesinnung auf alte Zeiten. Doch kann diese heute überhaupt noch funktionieren?
Setién ist nicht Guardiola
Zunächst einmal müssen wir uns von vorne herein klar machen, dass Setién nicht Guardiola ist. Ja, die beiden verfolgen eine ähnliche Spielphilosophie und stehen sinnbildlich für eben jene Art des Fußballspielens, die Cruyff einst Barça injizierte. Doch es wäre Setién gegenüber unfair zu erwarten, dass nun alles genau so wird wie damals unter Guardiola, dass er der Heilsbringer ist, der die Zeit zurückdreht. Nicht nur ist die heutige Situation eine völlig andere, auch der Kader ist bei weitem nicht mehr derselbe.
Lionel Messi, Sergio Busquets und Gerard Piqué sind dem Ende ihrer Karriere deutlich näher als dem Anfang, auch ein Xavi, ein Andrés Iniesta oder ein Dani Alves stehen dem neuen Coach nicht zur Verfgüng (dies soll nicht heißen, dass Barça keinen guten Kader hat, viel mehr verdeutlicht es, wie überragend besetzt die Mannschaft zu Guardiolas Zeit war). Kann der gebürtige Nordspanier dennoch Erfolg haben? Natürlich! Nur wird er dann nicht Guardiola 2.0, sondern Setién 1.0 sein.
Ein romantischer Sturkopf
Erfolg oder nicht, Culés dürfen sich auf jeden Fall auf eine 180-Grad-Wendung gefasst machen. Wo bei Valverde das Resultat im Vordergrund stand, geht es Setién beinahe ausschließlich um die Schönheit des Spiels. “Was mich an einem Spiel fasziniert, ist, wenn Teams schön spielen, wenn die Spieler wirklich Fußball spielen und wenn es um mehr geht als nur das Ergebnis. Als Zuschauer kaufe ich keine Eintrittskarte, um mir ein Team anzuschauen, dass in der eigenen Hälfte verharrt und beim Stand von 0:0 auf einen Konter wartet”, sagte Setién einst.
Der ehemalige Betis-Coach ist ein Romantiker, jemand, der seine Ideologie über alles stellt. Das ist an sich erst einmal keine negative Eigenschaft, es könnte jedoch gefährlich werden, wenn er in manchen Situationen zu starr an seiner Einstellung festhält, anstatt sich der Situation anzupassen.
Mit dieser starren Haltung hält Setién auch keineswegs hinter dem Berg. “Bevor ich bei Betis unterschrieben habe, habe ich [die Verantwortlichen] gefragt: ‘Warum wollt ihr mich? Ihr habt gesehen, wie meine Teams spielen, wie ich spiele. Seid ihr sicher, dass ihr das wollt? Seid ihr davon überzeugt, dass euer Präsident, euer Sportdirektor und die Verantwortlichen das wollen? Denn klar ist, dass ich mich nicht ändern werde. Falls ihr das nicht wollt, sucht euch besser einen anderen Trainer.’ Das ist meine Philosophie, so lasse ich spielen. Meine Teams bauen das Spiel von hinten heraus auf und involvieren dabei den Torhüter.”
Lieber zu offensiv als nicht offensiv genug
Damit wären wir auch schon bei dem Punkt, der Barça-Fans gerade wohl am meisten interessieren dürfte: Wie sieht Setiéns Strategie genau aus, und wie könnte sie beim FC Barcelona zum Einsatz kommen? Der ehemalige spanische Natinalspieler lässt seine Mannschaft auf dem Papier gerne in einem 3-4-3, 4-3-3, 3-5-2 oder 3-4-2-1 auflaufen. Dabei scheut er kein Risiko, getreu dem Motto: Lieber zu offensiv als nicht offensiv genug. Doch dazu mehr in einem gesonderten Artikel, der demnächst publiziert wird.
Quique Setién: “Das Wichtigste ist die Philosophie – die Klarheit zu haben, wie wir spielen. Die Philosophie ändert sich nicht – das System kann es tun.“
Wie Setién es bereits selbst sagte, fordert er von seinem Team, das Spiel von hinten heraus aufzubauen. Selbst bei einem hohen Pressing des Gegners dürfen lange Bälle nur im äußersten Notfall geschlagen werden. Der Sechser lässt sich in diesem Fall gerne etwas fallen, um sich den Innenverteidigern als Passoption anzubieten und so ein Dreieck im Zentrum zu bilden. Die Außenverteidiger machen sich dann auf den Weg nach vorne und agieren im weiteren Verlauf des Angriffs teilweise als Flügelstürmer. Bei einer Aufstellung mit Viererkette entsteht so in der Angriffsphase eine Dreierkette, bestehend aus den beiden Innenverteidigern und dem Sechser.
Doch egal ob Dreier- oder Viererkette, die Abwehrreihe rückt bei eigenem Ballbesitz immer extrem weit auf und bietet sich so für Zuspiele an, und man sollte sich nicht wundern, wenn einer der Innenverteidiger plötzlich auf Höhe des Achters auftaucht.
Dies sorgt jedoch auch für eines der großen Probleme in diesem System. Die Konteranfälligkeit bei Ballverlust ist riesig. Hinzu kommt, dass Setién gerne ein äußerst aggressives Pressing spielen lässt. Nicht selten auch mal so, dass überall auf dem Platz 1-gegen-1-Situationen entstehen. Schafft es der Gegner, dieses Pressing zu überspielen, kann die gesamte Defensive wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen.
Geduld und das Lauern auf Konter
Ist seine Mannschaft aber erst einmal in Ballbesitz, und hat der Gegner sich am eigenen Strafraum kompakt sortiert, kann das Tempo auch etwas heruntergefahren werden. Was Setiéns Mannen nämlich auszeichnen muss, ist Geduld. Das Hin- und Herschieben des Balles, das Warten auf eine Lücke – das alles gehört zum Sentién’schen Stil dazu und dürfte den Barça-Anhängern nicht fremd sein.
Doch ebenso wie dieses Lauern rund um den gegnerischen Strafraum ein Teil der Philosophie des neuen Coachs der Blaugrana ist, so ist es ebenfalls das schnelle Kontern nach Ballgewinnen. Dies wird dadurch begünstigt, dass oftmals nur sieben oder acht Spieler aktiv verteidigen und die restlichen auf eben diese Konter lauern – ein taktisches Mittel, das vor allem Messi und Luis Suárez gefallen dürfte.
Besonders gerne hat Setién auch einen Spielmacher im Mittelfeld. Jemanden, der den Ball am Fuß nach vorne tragen, schnelle Kombinationen mit seinen Nebenmännern spielen kann und sich dann auch gerne in und um den gegnerischen Strafraum herum aufhält. Dies wäre die perfekte Rolle für Frenkie de Jong, der seit seinem Wechsel zum FC Barcelona noch nicht zu hundert Prozent in der Mittelmeermetropole angekommen ist.
Welche Möglichkeiten gibt der Kader her?
Dem Niederländer bestimmte Aufgaben und eine klar definierte Rolle zuzuweisen wird eine von Setiéns vielen Aufgaben an seiner neuen Wirkungsstätte sein. Gleiches gilt auch für einen anderen Neuzugang, Antoine Griezmann. Aus Mangel an Optionen als Flügelspieler eingesetzt, könnte der Franzose Suárez, der aufgrund einer Knieoperation mehrere Monate ausfallen wird, erst einmal im Zentrum ersetzen. Doch die Frage wird sein, was Setién machen wird, wenn der Uruguayer wieder fit ist – oder falls sich Barcelona dafür entscheidet, im Winter auf der Mittelstürmerposition nachzurüsten.
Auch wird interessant zu sehen sein, wie das Flügelspiel bei den Katalanen genau aussehen soll. Die einzigen beiden etatmäßigen Außenstürmer im Kader der Blaugrana sind derzeit Ansu Fati und Ousmane Dembélé. Von Ersterem darf aufgrund seines Alters und seiner fehlenden Erfahrung noch nicht erwartet werden, fester Bestandteil des Teams zu sein, während Letzterer aufgrund seiner Verletzungsanfälligkeit ebenfalls für keine Planungssicherheit sorgt.
Setien: “Ich habe eine absolute Neigung dazu, mich um die Jugend zu kümmern, denn immer wenn ein neuer Junge auftaucht, bringt er Energie mit, die es Spielern in der ersten Mannschaft nicht erlaubt, sich zu entspannen. Das ist eine Botschaft, die ich schon immer ausgesendet habe.”
Vielleicht wird es also doch auf eine Dreierkette hinauslaufen, während die Flügel im Mittelfeld dann von zwei Αußenverteidigern bekleidet werden, die als Wing-Backs agieren. Dann wäre es jedoch notwendig, genügend Innenverteidiger zur Verfügung zu haben. Derzeit stünden Gerard Piqué, Clément Lenglet und Samuel Umtiti bereit, wobei Letzterer in dieser Spielzeit auch schon zehn Partien verletzungsbedingt verpasst hat und bei seinen Einsätzen zuletzt rostig wirkte. Der Vierte im Bunde hier wäre eigentlich Jean-Clair Todibo, der jedoch zum FC Schalke 04 wechseln wird – dabei wäre der junge Franzose prädestiniert für den Part des rechten Innenverteidigers in einer etwaigen Dreierkette Setiéns.
Nicht mehr mitreden konnte Setién ebenfalls beim Abgang vor Carles Aleñá, der sich leihweise Real Betis angeschlossen hat. Ob Setién dieser Leihe einen Riegel vorgeschoben hätte, lässt sich nun natürlich nicht mehr herausfinden. Völlig abwegig wäre es jedoch nicht, immerhin setzt er gerne auch auf die eigene Jugend, ganz im Barça-Stil eben. Zugutekommen könnte dies Eigengewächs Riqui Puig, für den Fans bereits seit längerem Spielzeit in der ersten Mannschaft fordern. Und wer weiß, durch den temporären Abgang Aleñás, die noch nicht vollständig ausgeheilte Leistenverletzung Arthurs sowie der Rot-Sperre von de Jong könnte Puig am kommenden Sonntag beim Spiel gegen den FC Granada tatsächlich etwas La-Liga-Luft schnuppern. In dieser Woche trainiert der hochveranlagte Youngster durchgängig bei den Profis mit, ein gutes Zeichen und eine erfreuliche erste Amtshandlung Setiéns.
Geduld ist das Zauberwort
Das alles klingt auf dem Papier schon sehr Barça-like, doch ebenso wie Setiéns Mannen in der Angriffsphase müssen auch die Fans erst einmal Geduld haben. Denn dieser Spielstil lässt sich nicht von heute auf morgen in eine Mannschaft implementieren – nicht einmal beim FC Barcelona. Man muss Setién Zeit geben.
Auch darf man Setiéns Philosophie nicht sofort infrage stellen, wenn er im Mai nicht die Champions League gewinnen sollte, möglicherweise nicht einmal den Meistertitel in der Liga. Er ist hier um etwas aufzubauen, und das benötigt Zeit – die sollten ihm alle Culés, die sich nach schönerem Fußball gesehnt haben, zugestehen.
Somit bleibt nur noch zu sagen: Benvingut a Barcelona, Señor Setién!