Barcelonas 1:4-Schmach gegen Paris Saint-Germain in der Champions League hat die andauernden Abwehrprobleme der Katalanen erneut schamlos offengelegt. Dabei wird klar, dass die guten alten Zeiten von Puyol, Piqué & Co. vorbei sind. Die fragile Defensive, sie ist auch die Summe ihrer Teile. Ein Kommentar.
Ja, der FC Barcelona hat ein großes Problem in der Defensive. Der FC Barcelona, die Heimat der Piqués, Puyols, Alves’ und Koemans ist defensiv schon längst nicht mehr auf dem Weltklasse-Niveau von damals. Letzterer sitzt mittlerweile auf der Bank der Katalanen. Und von dort muss Ronald Koeman mit ansehen, wie seine Abwehrleute immer wieder patzen, sich in Zweikämpfen schlecht anstellen und sich dadurch ein ums andere Mal selbst ein Bein stellen.
Dabei ist auch er ein Teil des Problems geworden – wenn auch unfreiwillig. Koeman übernahm im Sommer vergangenen Jahres den Posten von Quique Setién. Jener Setién, der mit dem FC Barcelona kurz vor seiner Entlassung mit 2:8 im Viertelfinale der Champions League gegen den FC Bayern München unterging. Es war kein leichtes Erbe, das der Niederländer antreten musste, doch die Defensivprobleme bestehen auch nicht erst seit der Amtszeit Setiéns.
Eine einst legendäre Abwehr
Die legendäre Innenverteidigung Carles Puyol und Gerard Piqué, aus der Zeit als Pep Guardiola noch Trainer war, ist längst Geschichte. Sie waren zwei Felsen in der Brandung, bei denen es für die gegnerische Offensive kein Vorbeikommen gab – und sanfte Streicheleinheiten innerhalb des Teams gab es schon zweimal nicht. Es herrschte ein rauer Ton auf dem Feld, zwei Leader steuerten ihre Mannschaft von hinten, und wenn ihnen etwas nicht passte, dann wiesen sie ihre Teamkollegen zurecht – deutlich, direkt, aber auch respektvoll.
Es folgte ein Titel nach dem anderen, und sie hörten nicht auf zu gewinnen. Puyol beendete 2014 seine Karriere, so blieben noch Piqué und Dani Alves, seines Zeichens der damals beste Rechtsverteidiger der Welt, zu denen sich ein erfrischender Jordi Alba gesellte. Die erfolgreichen Jahre gingen vorerst weiter, doch die Zeichen der Zeit machten auch vor Barças Defensivreihe nicht halt.
Dani Alves verließ ein Jahr nach dem Champions-League-Triumph 2015 ebenfalls das langsam sinkende Schiff. Dieses trieb die letzten Jahre so vor sich hin, gekennzeichnet durch eine katastrophale Personal- und insbesondere Transferpolitik. Der Klub wirtschaftete sich unter der Führung von Präsident Josep Maria Bartomeu ins rekordverdächtige Minus und verpasste es, hochtalentierte Defensivspezialisten für sich zu gewinnen, die heute im europäischen Top-Fußball vertreten sind. Dayot Upamecano ist wohl das aktuellste und prominenteste Beispiel, doch spätestens seit einigen Wochen sollte klar sein, wieso sich Barcelona die Dienste des hochtalentierten Franzosen nicht sichern konnte – die Schulden erdrücken den Verein seit Jahren.
Fehlende Qualität
Der Schein trügt ein wenig, wenn man einen Blick auf die Tabelle der La Liga wirft, denn dort stehen „nur“ 21 Gegentore zu Buche. In Relation zu den gespielten Spielen (22) sind das gerade einmal 0,95 Gegentore pro Spiel – ein nicht allzu bemerkenswerter Wert. So stellt Barça sogar die fünftbeste Verteidigung der Liga. Um Barças Defensiv-Probleme zu sehen, muss man sich anschauen, wie die Gegentore entstehen, gegen wen sie fielen und warum.
Es gab diverse Gegentreffer mit verschiedensten Entstehungsgeschichten, denen immer individuelle Fehler vorangingen. Mal verliert Ronald Araujo völlig unbedrängt den Ball als letzter Mann vor dem eigenen Tor, mal geht Samuel Umtiti unnötigerweise im eigenen Sechzehner ins Dribbling, mal spielt Ilaix Moriba einen Querpass in die Füße des Gegners oder Clément Lenglet agiert mal wieder zu hüftsteif im Zweikampf. Die Liste der Fehler ist lang, und sie wird immer länger.
Doch woran liegt das? Ganz klar – wie schon genannt – es fehlt die Qualität. Der FC Barcelona findet sich schon seit geraumer Zeit im Umbruch. Transfers wie die von Umtiti oder Lenglet fruchten nicht, beziehungsweise im Fall von Umtiti nicht mehr. Sie gehen weder mit guten Leistungen voran noch können sie ihre Hintermannschaft führen. Junge Spieler wie Oscar Mingueza oder Araujo brauchen noch ihre Zeit, und bei allem Respekt vor seinen vergangenen Leistungen: Piqué kann mit seinen 34 Jahren Jahren sicherlich nicht die Zukunft sein.
Barça vermisst einen Typ der Marke Puyol
Bis der Umbruch abgeschlossen ist (dazu gehört auch Sergiño Dests Reifeprozess), dürfte noch einige Zeit vergehen. Ein weiterer Grund sind die vielen Verletzungen sowie der eng getaktete Spielplan in dieser Saison, wodurch Ronald Koeman ständig dazu gezwungen war, zu rotieren – und das ist Gift für eine Defensive.
Damit eine Verteidigung funktioniert, muss sie eingespielt sein und sich praktisch blind verstehen. Doch bei Barça spielt ständig ein anderes Innenverteidigerpaar, oder das System wird von Vierer- auf Dreierkette umgestellt oder, oder, oder. Koeman ist zu solchen Entscheidungen gezwungen, er muss mit den Mitteln arbeiten, die ihm zu Verfügung stehen.
Beim FC Barcelona herrscht daher aktuell das (unfreiwillige) Leitmotiv: “Wir müssen einfach nur mehr Tore schießen als der Gegner” – aber was ist, wenn der Gegner defensiv einfach zu stark ist oder die eigene Offensive zu schwach? Die Spiele gegen den FC Sevilla und Paris Saint-Germain sind die jüngsten Beispiele, die belegen, dass es dann ziemlich schlecht aussieht, vor allem gegen schnell umschaltende Offensivreihen, die Barças Schwächen mit einem klaren Plan aufdecken.
Alternde Barça-Stars als Problem
In der Pressekonferenz vor dem Spiel gegen Paris sprach Koeman noch davon, wie wichtig es sei, die Null zu halten, und warf tags darauf Piqué und Dest nach auskurierten Verletzungen ins kalte Wasser, stellte seine Abwehr erneut komplett um. Erneut wackelte Barcelona hinten gehörig, was aber nicht nur an der Viererkette lag. Denn auch das Dreiermittelfeld um Defensivanker Sergio Busquets konnte der Abwehr erneut keinerlei Stabilität geben. Nicht umsonst wies Piqué schon in Hälfte eins lauthals mit teils deftigen Worten seine Vordermänner zurecht. Ganz im Stile seines früheren Mentors Carles Puyol, der für lautstarke Kommandos bekannt war und den Barças fragile Defensive als Spielertyp und Leader aktuell mehr denn je gehörig vermisst.
Mit den alternden Stars Piqué, Alba und Busquets und den fragilen Sidekicks Lenglet und Umtiti wird es Barça mehr als schwer haben, wieder dauerhaft eine intakte Defensive zu stellen. Die Probleme des Kollektivs, sie sind auch die Probleme der Einzelspieler. Fragile Spieler geben zusammengesetzt ein fragiles Gebilde ab – das hat man gegen PSG abermals gesehen. Nicht zum ersten Mal in der jüngsten Vereinshistorie des Klubs.