Wer hätte das für möglich gehalten: Der große FC Barcelona ist aus der Champions League eliminiert worden und hat damit auch das zweite wichtige Saisonziel verpasst. Doch es hätte nicht so weit kommen müssen. Eine Nachlässigkeit vor der Pause hat der Partie auf den Kopf gestellt.
Von Raphael Lugowski
Der große FC Barcelona
Es war Mittwoch letzter Woche, als das Debakel für die Katalanen ihren Anfang nahm. Zunächst unterlag man dem FC Chelsea mit 0:1 und setzte sich für das Rückspiel stark unter Druck. Dann kam am Samstag Real Madrid ins Camp Nou und brachte der Elf von Pep Guardiola eine empfindliche Niederlage ein. Der Höhepunkt einer langandauernden schmerzlichen Erfahrung war allerdings der gestrige Abend, der an Tragik und an gegenläufigen Emotionen kaum zu überbieten war. Es sah gut aus für die Auswahl aus Katalonien, richtig gut. Doch am Ende feierten die Engländer den Einzug in das Finale der Champions League und bei den Fans der Blaugrana hielt ein Gefühl Einzug, das ihnen seit der Begegnung gegen Inter Mailand nur allzu gut bekannt sein dürfte. Die Parallelen zu dem Spiel gegen die ehemalige Mannschaft von Jose Mourinho waren unverkennbar. Heute wie damals liefen die Katalanen einem Tor hinterher und wie vor zwei Jahren sahen sie sich einem Gegner gegenüber, der es ausschließlich auf die Zerstörung des allseits geliebten Zauberfußballs abgesehen hat und keine ästhetischen Momente zur Begegnung beitragen konnte. Das ist selbstverständlich ein legitimes Mittel im Fußball, um seine Ziele im Fußball zu erreichen. Fernando Torres hat im Anschluss an die Begegnung gesagt, dass es unerheblich sei, wie sein Team ins Finale eingezogen ist. Daran werde sich morgen ohnehin niemand mehr erinnern. Man ist geneigt, diesem tollen Spieler eine Gegenfrage zu stellen: Wird in zehn oder zwanzig Jahren von dem „großen FC Chelsea“ die Rede sein oder wird man in Erinnerungen schwelgen und von dem „großen FC Barcelona“ träumen? Wird man sich an das Ergebnis eines Champions League Halbfinals erinnern oder wird man lebenslang von jenen Spielzügen berichten, mit denen der FC Barcelona die Engländer auseinander pflügte? Jedem steht es frei, sich hierzu eine Meinung zu bilden.
Guardiolas Erwägungen
Es wäre allerdings verfehlt, ausschließlich Chelseas destruktive Spielweise für den Ausgang der Partie verantwortlich zu machen. Man wird sich ohne weiteres auf den Standpunkt stellen können, dass ein FC Barcelona in der Form der Champions League Finals des vergangenen Jahres keinerlei Mühe gegen diesen tiefstehenden Gegner gehabt hätte. Dass der FC Chelsea nicht unbändig in Richtung Valdes agieren würde, war von vornherein klar. Guardiola musste also die richtigen taktischen Maßnahmen ergreifen, um einen doppelten Abwehrriegel bestehend aus neun Spielern auszuhebeln. Er setzte auf ein 3-4-3 und bot im Sturm Cuenca auf, um die erforderliche Breite im Spiel herzustellen. Sein Pendant auf der linken Seite war Iniesta, der diesmal besonders augenfällig seiner Position auf dem linken Flügel treu blieb und nur selten ins Zentrum rückte. Im Sturmzentrum hat sich Alexis eingefunden und dort für ordentlichen Betrieb gesorgt. Messi agierte aus einer defensiveren Stellung heraus und ließ sich schon mal sehr weit zurückfallen, um sich am Spielaufbau zu beteiligen. Messis Rolle auf dem Platz lag damit einerseits im Spielaufbau und andererseits in überfallartigen Vorstößen in den Strafraum. Sanchez sollte Messi im Zentrum Räume schaffen, Spieler binden und gegebenenfalls als Anspielstation für ein schnelles Passspiel fungieren. Das Mittelfeld wurde bekleidet von Busquets, Xavi, Fabregas und situationsabhängig Messi. Beachtenswert war, dass Xavi häufig auf halbrechts vorzufinden war. Damit war das Herzstück des FC Barcelona von seinem „verlängertem Arm“ Iniesta isoliert. Die Aufgabe von Xavi bestand darin, Cuenca in das Spiel einzubinden und damit die erwähnte Breite zu gewährleisten. Busquets fungierte als Mittler zwischen den einzelnen Mannschaftsteilen.
Kein Druck auf den Flügeln
Im Prinzip hat Guardiola damit die richtigen Maßnahmen ergriffen, um diesem englischen Defensivriegel spielerisch beizukommen. Der Außenverteidiger sollte auch wirklich außen gebunden werden und nicht etwa im Zentrum verweilen und die Wege für den „tödlichen Pass“ dicht machen. Wenn möglich sollte er sogar noch den Innenverteidiger mitnehmen und auch seine Aufmerksamkeit auf den Flügel lenken. Das war das Ziel, das jedoch kaum verwirklicht worden ist. Eine gute Breite im Spiel setzt nicht lediglich Spieler voraus, die sich vorne an der Außenbahn positionieren. Voraussetzung einer guten Breite ist ebenfalls, dass die Flügelspieler tatsächlich Druck ausüben auf die Verteidiger und sich bei ihnen der Eindruck verfestigt, dass die Außenbahnen einer ganz besonderen Behandlung bedürfen und ihr Fokus sich dahingehend orientiert. Leider ist es Cuenca nicht gelungen, auf seiner Seite genügend zwingende Aktionen zu starten. Sein direkter Gegenspieler hatte keinerlei Mühe, sich auf das Talent einzustellen und der FC Chelsea sah keine Veranlassung, der linken Seite zu viel Aufmerksamkeit zu widmen. Meist spielte Cuenca den Ball ohnehin zurück und begnügte sich auch darüber hinaus mit einem risikoaversem, mutlosem Spiel. Iniesta hatte auf der anderen Seite ebenfalls einen schweren Stand, wusste sich aber besser zu verkaufen. Beachtlich war, wie gut Sanchez im Sturmzentrum zurechtkam. Nicht von ungefähr ergaben sich für Messi in der ersten Halbzeit zwei Großchancen nach schönen Kombinationen durch die Mitte. Sanchez sorgte für Unruhe und Unordnung im gegnerischen Defensivverbund und wurde von Chelseas Abwehr zu Recht als Gefahrenquelle ausgemacht.
Chelsea igelt sich ein – der FC Barcelona ohne Idee
Als in der Nachspielzeit der ersten Halbzeit der Anschlusstreffer fiel, hat sich das Wesen der Begegnung verändert. Nachdem das zweite Tor gefallen war, war Chelsea angeschlagen und wankte erheblich. Der FC Barcelona hatte das Spiel unter Kontrolle und die Engländer zeigten ungewohnte Auflösungserscheinungen. Der Anschlusstreffer hat ihnen jedoch neuen Mut gegeben und in der Halbzeitpause hatten sie die Zeit, um sich zu sammeln und zu ordnen. Was dann in der zweiten Halbzeit folgte, war die bereits beschriebene vollumfängliche Blockade durch Chelsea. Die Katalanen hatten kaum eine Idee, um diese Defensivbarriere zu durchbrechen, und alles, was noch in Halbzeit eins leicht und locker erschien, wurde nun von der altbekannten Trägheit verdrängt. Man sagt ihnen nach, es fehle der „Plan B“. Dem ist entgegenzuhalten, dass der FC Barcelona keinen solchen Plan braucht, keinen Stilbruch braucht, um erfolgreich zu sein. Sie waren gestern in der zweiten Halbzeit einfach nicht imstande, ihre Stärken abzurufen und zu betonen. Das Spiel war risikoarm und ideenlos. Xavi verpasste seine Einsätze, wenn ein Mitspieler in Stellung lief, die Flügelspieler waren nur zur Dekoration da, und Messi ist nicht das neuste Weltwunder. Es waren kaum vertikale Bewegungen zu beobachten und auch Steilpässe, beispielsweise zwischen die Außen- und Innenverteidigung des Gegners, waren kaum zu beobachten. Das Spiel wirkte angestaubt und sehr berechenbar. Rückblickend muss man konstatieren, dass die Mannschaft vor allem in der ersten Halbzeit bemüht war und gekämpft hat. Von dem Schock des Gegentores konnte sich der FC Barcelona allerdings nicht mehr richtig erholen. Es war so, als würden ihnen mentale Fesseln angelegt werden. An dieser Stelle soll nicht, wie gewohnt, auf die einzelnen Szenen des Spiels eingegangen werden. Jeder hat gesehen, dass Chancen zum Weiterkommen vorhanden waren, vor allem in der ersten Halbzeit. In der zweiten Halbzeit versagten Messi beim Elfmeter die Nerven – eine spielentscheidende Szene. Der FC Barcelona hat sich selbst geschlagen. Visca el Barca!