Die Entwicklung von Barça seit 2013 anhand der Niederlage gegen den FC Bayern München

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Es war die schmerzlichste Erfahrung der letzten Jahre. Am 23.04.2013 ging das mit großer Spannung erwartete Halbfinale der Champions League zwischen dem FC Bayern München und dem FC Barcelona über die Bühne. Für die Blaugrana war das ein Tag zum Vergessen, mit vier Gegentoren im Gepäck nahmen die Träume von einer weiteren Finalteilnahme ein jähes Ende. Ausgerechnet gegen die Bayern. Vorgeführt und gedemütigt. Der Stachel saß lange Zeit tief, mit gebührendem emotionalen Abstand möchten wir nochmal einen Blick auf das Spiel riskieren und uns fragen: Wie hat sich das Spiel von Barça seit dieser Schmach weiterentwickelt?

Das Haupt gesenkt, die Moral gebrochen – keine Mannschaft kann eine schwere Niederlage in einem Halbfinale der Champions League einfach so abschütteln. Die Augen der gesamten Fußballwelt waren auf die Begegnung des FC Bayern München gegen den FC Barcelona gerichtet, alle Welt sah den dunkelsten sportlichen Moment der jüngeren Vereinschronologie. Der Abgesang auf die Mannschaft wurde schon vorher angestimmt, lauter werdend mit jedem Gegentreffer, mit dem das Konto der vermeintlich besten Mannschaft aller Zeiten belastet wurde. „Eine Ära geht zu Ende“, lautete der wohlwollende Tenor der Medienlandschaft. Vielleicht war der Schluss etwas voreilig. Zwei Jahre sind seitdem vergangen, den Spielern stecken zwei weitere schwere Spielzeiten in den Knochen und Köpfen. Doch sie scheint zurück, die Magie auf dem Platz. Das latente Gefühl, dass alles möglich ist. Keiner wagt es laut auszusprechen, doch das Herz ist da deutlicher, jedes Mal einen großen Sprung machend, wenn ihr Team wieder einmal etwas Besonderes aufs Parkett zaubert.

In diesem Monat scheint alles zum Greifen nah. Doch sollte man sich nicht nur an der Gegenwart erfreuen, man sollte wissen, woher man kommt. Die bittere Niederlage gegen die Bayern war die Talsohle einer sportlichen Abwärtsspirale, und so möchten wir euch auf die kommende Partie einstimmen, in dem wir aufzeigen, welche Entwicklung die Mannschaft in sportlicher Hinsicht genommen hat. Hierzu werden wir das damalige Spiel gegen die Bayern Revue passieren lassen, es bildlich veranschaulichen und uns anschließend der Frage stellen, wie sich die Mannschaft seit dem damaligen Zeitpunkt verändert hat.

Die Probleme von Barça gegen die Bayern

Beide Mannschaften traten von den Namen her fast in Bestbesetzung gegeneinander an. Jupp Heynckes schickte folgende Spieler aufs Feld: Neuer – Alaba, Dante, Boateng, Lahm – Schweinsteiger, Martínez – Ribéry, Müller, Robben – Gómez. 
Demgegenüber vertraute der erst kürzlich auf die Trainerbank zurückgekehrte Tito Vilanova auf folgende Spieler: Valdés – Alba, Bartra, Piqué, Alves – Iniesta, Busquets, Xavi – Pedro, Messi, Sánchez.

Barça mit erheblichen Problemen beim Spielaufbau

Im Vorfeld der Partie wusste niemand so recht, wie sich das Spiel zwischen Bayern und Barça genau entwickeln würde. Bereits die Anfangsphase war diesbezüglich aufschlussreich, weil sie den gesamten Spielverlauf vorwegnahm. Jupp Heynckes hatte sich für die Blaugrana ein äußerst effektives, aber durchaus aufwendiges Mittelfeldpressing einfallen lassen, in das alle Spieler – die Stürmer inbegriffen – eingebunden waren. Der FC Barcelona kam besonders in der ersten Halbzeit kaum über die Mittellinie hinaus, Piqué-Bartra-Alves-Xavi und zurück, der Ball zirkulierte gut in den eigenen Reihen, leider fernab des Kastens von Manuel Neuer. Das verdeutlicht auch die Passstatistik: Gerard Piqué (79), Dani Alves (64), Marc Bartra (62) und Jordi Alba (58) haben verhältnismäßig viele Pässe gespielt. Zum Vergleich kam Sergio Busquets auf lediglich 61 gespielte Bälle.

Bereits hieraus kann man ein Stück weit den Ansatz der Bayern herauslesen. Nach der Statistik zu urteilen haben sie den Sechserraum von Barça dichtgemacht und ‘Busi’ aus dem Spiel genommen. Und tatsächlich hat der FC Bayern München im Spiel vieles dafür getan, die Kombinations-Maschinerie des FC Barcelona lahmzulegen. Die Spieler agierten in einer Art 4-4-2- oder auch 4-5-1-System etwa auf Höhe der Mittellinie, meist sogar etwas höher. Die horizontalen Abstände zwischen den Spielern waren sehr klein. Sie griffen um die Mittellinie herum auf situative und äußerst flexible Manndeckungen zurück, sodass die Mittelfeldspieler den Verteidigern von Barça häufig nicht als Anspielstationen zur Verfügung standen. Iniesta und Xavi mussten sich sehr weit zurückfallen lassen, um eine Anbindung an den Spielaufbau zu erhalten; erst dann ließen die Bayern die beiden Barça-Stars gewähren und an den Ball kommen. Messi ereilte das gleiche Schicksal, auch ihn nahmen die Spieler von Heynckes flexibel in Manndeckung.

Barça fand zunächst und auch im weiteren Verlauf kaum Lösungen für diese Probleme. Erschwerend kam hinzu, dass Müller und Gómez stetig in Bewegung waren und Busquets in Deckungsschatten nahmen. Der Stratege des FC Barcelona fand nur selten Situationen vor, die es ihm erlaubten, seine Qualitäten auf dem Platz sprechen zu lassen. Bezeichnend daher die Zahl seiner Pässe, die sogar hinter den Verteidigern zurückblieb. Teilweise baute Busquets sehr tief auf und ließ sich zwischen die Innenverteidiger abkippen, um die höhere Positionierung der Außenverteidiger abzusichern. Ohne diese Maßnahmen wären seine Statistiken noch fataler.

Die situativen Manndeckungen waren nur ein Teil des Konzepts von Heynckes, den anderen Teil bildete das beeindruckende Mittelfeldpressing der Bayern. Sie legten in diesem Spiel ein sehr hohes Laufpensum und eine sehr hohe Intensität an den Tag, was ihnen beim Pressing sehr zugutekam. Bayern presste zunächst auf den ballführenden Verteidiger, Piqué oder Bartra. Fast immer daran beteiligt Mario Goméz, unterstützt von einem weiteren Spieler, häufig von dem lauffreudigen Thomas Müller oder Bastian Schweinsteiger; in diesem Fall ließ sich Müller in die Mittelfeld-Reihe abkippen und sicherte für Schweinsteiger ab. Da das Mittelfeld in Manndeckung genommen wurde oder in einer tieferen Position zumindest sofort angelaufen wurde, wanderte der Ball sehr häufig zurück zu den Innenverteidigern oder auf die Außenbahnen zu Alves oder Alba. Auf den Außenbahnen gelang es den Bayern, den Raum zu verknappen und Überzahlsituationen herzustellen. Lokale Überzahlsituationen kamen im Spiel auch in anderen offensiven und defensiven Bereichen häufiger vor, weil Müller und Goméz ohne Ausnahme ins Konzept der Bayern eingepflegt waren. Sie verschoben immer ballorientiert, ebenfalls auf die Außenbahnen, versperrten rückwärtige Anspielstationen und nötigten Barça auf diese Weise zu einem riskanteren Spiel.

Auch sonst waren sie eine große Unterstützung für ihre Mannschaft. Das Bayern-Mittelfeld war sehr darauf bedacht, eng zu stehen und auf diese Weise Gegenspieler in zentralen Regionen hinter ihnen in Deckungsschatten zu nehmen. Wenn Barça doch einen Weg am Mittelfeldverbund der Bayern vorbeifand und beispielsweise Messi im Zwischenlinienraum in Szene setzen konnte, so pressten Müller und Goméz rückwärts und trugen ihren Anteil dazu bei, dass der Ball den eigenen Reihen zugeordnet werden konnte.

Barça mit wenig Präsenz im letzten Spielfelddrittel

Gerade gegen Ende der ersten Halbzeit ließ der FC Bayern München die Katalanen etwas mehr gewähren und sich etwas mehr fallen. Das Mittelfeldpressing wurde zum modernen Catenaccio, bei dem sich fast alle Spieler der Münchener hinter dem Ball positionierten und nun ein knackiges Defensivpressing aufzogen. Barça fiel in diesen Phasen des Spiels recht wenig ein, die Ideen beschränkten sich darauf, den Ball zu halten – Raumgewinn gab es nur selten zu verbuchen. Der einzige Plan, so schien es, hörte auf den Namen Messi. Und tatsächlich kam Messi in der zweiten Hälfte einige Male in einer für ihn aussichtsreichen Situation an den Ball, war ob des starken Defensivpressings und seiner fehlenden Fitness aber maßlos überfordert.

Auf seine Mannschaftskameraden durfte er an diesem Abend nicht bauen. Im letzten Spielfelddrittel brachten diese nämlich kaum etwas zustande. Nicht nur, dass die Bayern aufgrund ihrer hohen Präsenz an Spielern den ballführenden Akteur der Blaugrana von den Mannschaftsgefährten isolierten, isolierten sich die Barça-Spieler zu allem Überfluss auch noch selbst. Sie standen häufig zu weit voneinander entfernt, unterstützende Bewegungen waren eine Seltenheit. Mehr als eine Anspielstation stand demjenigen Spieler, der gerade am Ball war, nicht zur Verfügung. In vertikaler Richtung gab es zumeist keine Partner für ein Zusammenspiel, da Leo Messi sich angesichts der Probleme seiner Mannschaft, den Ball überhaupt zu halten, fallen ließ. So versuchten zumeist zwei Spieler offensiv ihr Glück gegen eine Horde von bissigen Münchenern, selbstredend ein völlig aussichtsloses Unterfangen. Auf links gab es in der ersten Hälfte einen Ansatz von Variation, als Pedro kurzzeitig auf links zu Alexis Sánchez hinüberwechselte und es tatsächlich einen zaghaften Versuch einer lokalen Überladung gab. Beim Versuch blieb es dann leider auch, da Barça nicht nur in Unterzahl war, sondern auch kreativ und kollektiv-taktisch alles vermissen ließ, was es gebraucht hätte, um sich unter diesem Druck eine Torchance herauszuspielen.

Besonders unwohl mit der Situation und wohl auch überfordert waren die Mittelfeld-Genies Xavi und Iniesta. Sie schauten sich meist aus einiger Entfernung an, wie die offensive Abteilung bei den seltenen Gelegenheiten gegen eine Wand anlief. Das Problem hierbei war nicht das Zuschauen, problematisch war ihre Zurückhaltung aufgrund der mangelnden vertikalen Kompaktheit, die ein sofortiges Übergehen in ein Gegenpressing nicht erlaubte. Nach Ballverlust des FC Barcelona in der Vorwärtsbewegung gab es demzufolge nicht eine Situation, in der die Mannschaft in ein Gegenpressing übergegangen ist. Die Voraussetzungen hierfür waren überhaupt nicht hergestellt, die Bayern fanden die Zeit, um den Ball hinten herauszuspielen.

Das Pressing von Barça und die Destabilisation

Ein anderes Problem der Mannschaft von Tito Vilanova war hausgemacht. Das Offensivpressing des FC Barcelona war weder kompakt noch abgestimmt. Zwei Spieler pressten auf die Innenverteidiger der Bayern und den Torwart, waren jedoch immer in Unterzahl. Bayerns Innenverteidiger positionierten sich beim Spielaufbau von hinten heraus sehr breit und bildeten mit Manuel Neuer eine Torwartkette. Bereits aus diesem Grund waren die pressenden Barça-Akteure und aufgrund ihres zumeist vertikalen Anlaufwegs in Unterzahl. Die abkippenden Mittelfeld-Spieler des FC Bayern, die sich zurückfallen ließen, sorgten sogar für einen evidenten Vorteil ihrer Mannschaft beim Spielaufbau. Xavi und Iniesta zögerten, mit ihnen mitzugehen, und sicherten lieber weiter hinten ab. Und als sie sich situativ dann doch dazu entschlossen, nach vorne auszuscheren, waren sie stets im Verzug.

Trotzdem ist es Barça auf diese Weise zweimal gelungen, den Spielaufbau der Bayern auf die Außenbahnen hinauszudrängen. Dort stellten die Bayern die Spieler von Barça vor erneute Schwierigkeiten, sie waren auch von dort aus selten in der Lage, den nötigen Druck zu erzeugen. Ursache hierfür waren intelligente Bewegungen der Bayern in freie Räume, für die der FC Barcelona keine Lösungen fand. Im zweiten Drittel kippte Thomas Müller gerne in den defensiven Halbraum ab und konnte gefahrlos von seinen Mitspielern eingesetzt werden. Sergio Busquets war in diesen Situationen zu spät dran, weil er – von der Stadionkamera nicht eingefangen – wohl an anderer Stelle vor komplexere Tradeoffs gestellt wurde. Im Ansatz hatte das Offensivpressing von Barça in diesen zwei Situationen also Erfolg, auch wenn es sehr improvisiert erschien, konnte in der weiteren Folge den Bewegungen der Bayern aber nicht folgen – das Pressing lief ins Leere, die Mannschaft wurde destabilisiert.

Die taktischen Defizite des FC Barcelona beim Offensivpressing waren wohl das Ergebnis von strategisch schwierigen Entscheidungen, die Barça zu treffen hatte. Der FC Bayern München betrieb nämlich nur selten den geordneten Spielaufbau aus der Defensive heraus. Wenn sie das taten, geschah dies wohl meist aus der Intention heraus, Barça zu destabilisieren und sodann einen weiten Ball nach vorne zu schlagen. Darauf war Barça vorbereitet und die Spieler hüteten sich davor, sich zu sehr von den Bayern locken zu lassen und ungünstige Bedingungen für den Kampf um erste und zweite Bälle zu schaffen.

Die Verteidigung war nur bedingt ein Problem

Nach dem Spiel gegen die Bayern stand vor allem ein Mannschaftsteil des FC Barcelona am Pranger: Die Verteidigung. Die Zuordnungen in der Defensive waren in der Tat nicht immer optimal, bekanntlich beginnt die Defensive einer Mannschaft aber nicht erst mit der Abwehr, sondern bereits viel weiter vorne. Und in diesem Zusammenhang muss man anmerken, dass es gerade dem Mittelfeld der Blaugrana einige Male an horizontaler Kompaktheit mangelte. 

Das war aber nicht spielentscheidend, da die Bayern das Spiel über die Flügel forcierten. Dort stand Barça, so seltsam das nach einer 4:0-Niederlage klingen mag, vor allem in der ersten Halbzeit durchaus sicher. Die Außenverteidiger und hilfsweise die Innenverteidiger sicherten in diesen Bereichen gut ab und ließen die Bayern dort selten zur Entfaltung kommen. Robben und Ribéry waren nicht die Hauptprobleme der Katalanen, sie waren kleine Teile inmitten eines sehr gut funktionierenden Systems, die Barça sogar relativ gut im Griff hatte. Bekanntlich fielen die ersten beiden Tore nach Luftduellen, erst in der zweiten Hälfte war bei Barça auch in diesem Bereich ein Einbruch zu vernehmen, weil die vertikale Kompaktheit sich mit zunehmender Spieldauer auflöste. Wenn man die ersten 45 Minuten isoliert und unvoreingenommen betrachtet, haben Alves und Co. gut dagegengehalten.

Nicht verhehlen sollte man auch die Erfolge von Barça im Umgang mit dem Offensivpressing der Bayern. Die Bayern setzten nicht häufig zum Offensivpressing an, wenn sie dies allerdings taten, wurde es eng. Genauso wie die Bayern Wege fanden, um sich dem hohen Pressing von Barça zu entziehen, konnten auch die Spieler von Tito Vilanova mit dem hohen Druck des Gegners sehr gut umgehen, das gewiss viel besser abgestimmt war als jenes der Katalanen. Exemplarisch hierzu eine Situation, in der alle Anspielstationen für den ballführenden Piqué abgedeckt sind, außer Pedro Rodríguez, der sich von seinem Gegenspieler löst, in den Halbraum abkippen lässt und anschließend den Ball zu Alves auf den Flügel hinaus spielt. Im Ergebnis also hat Barça das Offensivpressing der Gäste ähnlich pariert wie die Bayern. Dieses Spielchen wiederholte sich noch zwei oder drei Mal.

Physisch eine Klasse unter den Bayern

Die angesprochenen taktischen Defizite wurden, wie bereits erwähnt, in hohem Maße durch das außerordentliche Engagement der Spieler des FC Bayern München erzwungen. Barça hatte kurz vor Beendigung der Partie 64 Prozent Ballbesitz, aber keineswegs die Kontrolle über das Spielgeschehen – oder besser gesagt: Über die Räume. Die Bayern waren defensiv immer und überall in Überzahl, und auch offensiv versuchten die Bayern, Räume zu überladen. Dazu gingen die Münchener zum Teil sehr weite Wege und legten tatsächlich alles in die Waagschale, was sie zu bieten hatten. Eine Statistik aus der 80. Spielminute betraf die zurückgelegten Kilometer: 98,41 km hatten die Bayern zu diesem Zeitpunkt zurückgelegt, Barça kam auf lediglich 93,79 km. Das ist eine große Diskrepanz und belegt die physische Überlegenheit der Bayern auch unter Ausblendung des Umstandes, dass die Gastgeber nicht nur mehr liefen, sondern auch die richtigen Wege zurücklegten. Zur Förderung des Spielaufbaus, im Hinblick auf das Erspielen von Torchancen im letzten Spielfelddrittel und die Omnipräsenz der Bayern in jeder Phase der Partie, hätte die Blaugrana einen Wert erreichen müssen, der demjenigen der Bayern zumindest nahe kommt.

Bildliche Veranschaulichung der Schwierigkeiten

Nachdem wir nun die Grundprobleme von Barça herausgearbeitet haben, möchten wir das Ganze ein wenig veranschaulichen. Dazu greifen wir auf ausgewählte Szenen des Spiels zurück, von denen wir meinen, dass sie wiederkehrende Muster im Spiel abbilden. Los geht’s mit dem ersten Bild.

 

Xavi und Iniesta im Deckungsschatten, Busquets und Lionel Messi in Manndeckung: Auf diesem Bild erkennt man sehr schön den grundsätzlichen Ansatz von FC Bayern München. Das Zentrum ist dicht, Gerard Piqué bleibt nichts anderes übrig, als den Ball zu verlagern. Dieses Vorgehen wiederholte sich etliche Male im Spiel und war die Ursache für die vielen Ballkontakte und Pässe der Verteidigung. Wenn man genau hinschaut, erkennt man außerdem, dass Mario Goméz bereits auf dem Sprung zu Piqué ist und ihn unter Druck setzen will. Bildlich schwer veranschaulichen lässt sich aber die große Flexibilität, mit der die Bayern ihr Spiel durchzogen. Diese war angesichts der sehr ressourcenzehrenden Spielweise auch erforderlich. Auch so legten die Bayern deutlich mehr Kilometer als die Spieler von Barça zurück.

 BB2013 Bayern Manndeckung

Hier stehen die Bayern etwas tiefer, greifen aber nach wie vor auf die situativen Manndeckungen zurück. Schweinsteiger geht den Weg mit Pedro mit, Martínez orientiert sich an Messi. Iniesta bewegt sich in Richtung des Balles, wird dabei aber von Arjen Robben verfolgt, der weit ins Zentrum einrückt. Interessant: Auf der anderen Seite rückte Frank Ribéry ebenfalls zentral ein, wann immer es die Situation erforderte. Damit nahmen die Bayern potenzielle Anspielstationen aus dem Spiel und verengten den Raum. Selbst in dieser Situation, in der es die Bayern etwas lockerer angehen lassen, hat Barça Schwierigkeiten, Raumgewinn zu generieren.

BB2013 Barca Unterzahl

Fünf Spieler des FC Bayern München gegen drei Barça-Akteure: Hier ist ein Ballverlust vorprogrammiert, da muss man kein Hellseher sein. Den Münchenern gelang es in defensiven Situationen fast immer, Überzahl herzustellen. Wie hätte Barça in solch einer Situation erfolgreich sein können? Mithilfe von unterstützenden Bewegungen, Kreativität und Mut – all das ließ die Blaugrana an diesem Abend vermissen. An ein Gegenpressing war nicht zu denken. Stattdessen ist dieses Bild ein Beispiel dafür, wie es auf diesem Niveau gehen muss: Laufwunder Thomas Müller sichert für die weit nach außen gerückten Bastian Schweinsteiger und Javi Martínez das Zentrum ab. Raumverknappung mit System eben.

 BB2013 Barca Pressing 4

Das Ergebnis eines improvisierten Pressings: Xavi orientierte sich an Javi Martínez, Andrés Iniesta lief zuvor Boateng an. Boateng hatte außerdem mit Schweinsteiger eine zentrale Anspielstation, da Lionel Messi sich nicht am Pressing beteiligte. Er wählte den Aufbau über die Außenbahn, wo sich Thomas Müller abkippen ließ und den Ball verarbeiten konnte. Sergio Busquets kam hier zu spät, die Abstimmung zwischen den Spielern war alles andere als optimal. Wenn Barça zum Pressing ansetzte, glich ohnehin kein Bild dem anderen. Einige Male pressten ein oder zwei Stürmer, zuweilen ein Stürmer und ein Mittelfeldspieler von Barça auf die Innenverteidiger und den Torwart der Bayern, dahinter klaffte eine große Lücke. Der einzige Zweck dieses Pressings war, präzise lange Bälle zu stören. Barça wollte sich nicht locken lassen, auch wenn die Spieler von Bayern abkippten. Ein geordneter Spielaufbau der Bayern aus der Abwehr war relativ leicht. Trotzdem wählten sie relativ oft den langen Ball.

BB2013 Barca Pressing Destabilisation

Springen wir in die zweite Hälfte. Barça liegt bereits 2:0 zurück und wird etwas offensiver, auch was das Pressing anbetrifft. Auch hier ist die Abstimmung suboptimal, Schweinsteiger kann mit einem einfachen Pass auf Javi Martínez vier Spieler des FC Barcelona hinter den Ball bringen. Xavi, Messi und Sánchez sind beim Pressing faktisch nur sehr lose eingebunden. Das ist aber noch das geringste Übel: Die vertikale Kompaktheit ist in dieser Szene völlig verloren gegangen – die Mannschaft ist in zwei Sektionen aufgeteilt. Ein ähnlich unausbalanciertes Pressing führte kurze Zeit später zum dritten Gegentor.

 BB2013 Vertikale Kompaktheit Barca

Die Bayern blieben ihrem Stil auch in der zweiten Hälfte treu. Barça tat sich weiterhin schwer, Spieler des FC Bayern München hinter den Ball zu bringen und gefährliche Situationen zu initiieren. Die Bayern weiter lauffreudig, bissig und omnipräsent. In dieser Szene versucht Sergio Busquets mit dem Rücken zur Wand einen unmöglichen Ball, den die Bayern antizipieren und abfangen. Der Mut der Verzweiflung.

BB2013 Barca ohne Bewegung

Im Angriff auch im zweiten Durchgang das gleiche Bild: In Bewegung ist bei Barça zumeist nur der Spieler, der gerade am Ball ist. Er hat genau eine Anspielstation im letzten Drittel. Alle anderen schauen zu und hoffen auf einen Geniestreich. Um diese Bayern zu knacken, hätte Barça weitaus mehr investieren müssen als der Gegner. Man könnte den Eindruck gewinnen, Barça verteidige einen Vorsprung.

Die Entwicklung der Mannschaft seit 2013

Es steht überhaupt nicht zur Diskussion, dass die Bayern-Elf von 2013 jeder Mannschaft auf der Welt erhebliche Probleme bereiten würde. Sie wäre sowohl für das Kollektiv von Luis Enrique eine große Herausforderung wie auch für die vermeintlich (und bezweifelt) beste Mannschaft aller Zeiten von 2011. Wir haben aber nicht mehr 2011, und das Jahr 2013 ist auch längst dahingeschieden. Heute gilt unsere Freude der Barça-Mannschaft von 2015, die eine beeindruckende Saison spielt und sich innerhalb nur weniger Monate in die absolute Spitze des europäischen Vereinsfußballs zurückgekämpft hat.

Die Weichen dafür wurden bereits vor der Saison gelegt. In enger Zusammenarbeit mit der Vereinsführung bekam Luis Enrique genau das, was es zur Umsetzung seiner Pläne benötigte, angefangen bei den Spielern bis hin zur Vorbereitung auf die neue Saison. Es kamen Rakitić, Luis Suárez und Jérémy Mathieu. Das Trainingslager ermöglichte erstmals seit langem eine seriöse Vorbereitung auf die neue Saison und war angesichts der Neuzugänge und des Trainerwechsels auch dringend nötig.

Inwieweit das im Vorfeld der Saison abgehaltene Trainingslager heute noch eine Rolle spielt, kann dahinstehen. Fest steht zumindest, dass Luis Enrique im Verlauf der Saison alles richtig gemacht hat. Auch bei heftigem Gegenwind hat er an seinem Rotationsprinzip festgehalten, immer mit Blick auf die lange Saison und stets darum bemüht, die beste Mannschaft aufs Feld zu schicken. Im Training wird jeder Schritt seiner Akteure genau überwacht, nichts soll dem Zufall überlassen werden. Und es kann kein Zufall sein, dass zum Ende der Saison hin dem Trainer alle Spieler gesund zur Verfügung stehen. Mehr noch, alle Spieler befinden sich physisch in einer bestechenden Verfassung und laufen nahezu jedem Gegner in diesem Bereich den Rang ab. Vielleicht der größte Unterschied zwischen dem Barça von damals und dem von heute. Vielleicht.

Der Einfluss der neuen Spieler auf die neu gewonnene Leistungsfähigkeit der Mannschaft ist nämlich nicht zu übersehen. Ivan Rakitić würde in der Mannschaft von 2011 sicher als Grobmotoriker verhöhnt werden, in der Mannschaft von 2015 ist er im Mittelfeld nicht mehr wegzudenken. Er bringt die lange geforderte physische Komponente in das Mittelfeld des FC Barcelona und versteht sich im Pressing genauso gut wie bei der Abdichtung wichtiger Räume oder der Besetzung wichtiger Zonen. 2013 hätte Barça einen wie ihn gebrauchen können, einen Mittelfeldspieler, der mehr Intensität reinbringt und im letzten Drittel die wichtigen Zonen besetzt – Zonen, in denen einem auf die Füße getreten wird. Das macht Rakitić indes nichts aus, das ist seine Welt.
Noch glücklicher wäre die Mannschaft von damals aber womöglich über Luis Suárez, das Arbeitstier des FC Barcelona. Die taktischen Vorzüge von Suárez aufzuzählen, würde leicht den Rahmen sprengen. Der Uruguayer ist eigentlich immer auf Trab, verschiebt diszipliniert auf die Außenbahnen, bietet sich in den Halbräumen an und lässt sich gerne sogar noch tiefer fallen, um der Mannschaft zu helfen. Eine Falsche Neun 2.0 – nicht wie sie im Buche steht, sondern so, wie sie dem FC Barcelona am meisten bringt. Seine Paradedisziplin: Bindung von Innenverteidigern, Außenverteidigern und Beeinflussung der Entscheidungen der gegnerischen Mittelfeldspieler.

Diese drei Faktoren – die bessere Physis, Rakitić und Suárez – haben alles verändert. Und Luis Enrique hat alles so zusammengeführt, wie es sich gehört. Auf einmal kann Barça Räume überladen und den nötigen defensiven wie offensiven Druck erzeugen. Die Mannschaft kann mutig und schnell Angriffe einleiten, abgesichert durch ein starkes, insbesondere aber ausgeklügeltes Gegenpressing. Was gegen die Bayern 2013 so sehr gefehlt hatte, die Bewegung, Kreativität und der Mut im letzten Spielfelddrittel, ist heute eine Selbstverständlichkeit.  Ebenso kann die Mannschaft offensiv pressen oder ein Mittelfeldpressing aufziehen, sie kann sich aber auch zurückziehen und die Linien so eng machen, dass dort kein Ball mehr hindurch passt. All das haben wir auf Barçawelt in der Saison bereits angesprochen. Wir sind auch auf die Konterstärke des FC Barcelona eingegangen, der Versuch des schnellen Umschaltens ist nunmehr die Regel und nicht die Ausnahme. Die Voraussetzungen hierfür sind gegeben, eine wichtige Rolle hierbei spielen natürlich Luis Suárez, Lionel Messi und Neymar, die es mit intelligenten Bewegungen verstehen, die Grundbedingungen für ein Konterspiel herzustellen. Kontersituationen können nur auf Grundlage richtiger offensiver Staffellungen entstehen. Die Bereitschaft zum schnellen Umschalten bei allen Spielern ist dabei aber auch sehr wichtig.

Fazit

Das Barça 2015 hat viele Facetten, die es bei der herben Niederlage gegen die Bayern 2013 noch nicht einmal im Ansatz gegeben hat. Die Klubverantwortlichen und allen voran Luis Enrique haben die richtigen Weichen gestellt, und es imponiert sehr, wie schnell sich auf dem Platz Fortschritte eingestellt haben. Nun steht die Mannschaft im Halbfinale der Champions League, wieder geht es gegen den FC Bayern München, wieder werden die Münchener der Blaugrana alles abverlangen. Als die Bayern 2013 über Barça hinwegfegten, haben nicht nur Ribéry und Robben beeindruckt. Entscheidend war vielmehr die Mannschaftsleistung und die Disziplin, mit der die Bayern ihren Plan verfolgt haben. Der FC Barcelona muss sich auf heftige Gegenwehr einstellen, besitzt jetzt aber die richtigen Mittel, um im Halbfinale gegenzuhalten.

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