Der FC Barcelona zeigte sich gegen den SSC Neapel formverbessert und konnte einen souveränen Sieg einfahren. Dennoch agierten die Katalanen phasenweise extrem passiv und unkonzentriert. Insbesondere das fluide Positionsspiel sowie die Pressingresistenz fielen dabei positiv ins Gewicht.
Barças fluides Positionsspiel
Auf dem Papier agierte der FC Barcelona gegen den SSC Neapel in einem 4-3-1-2-System mit einer Art Raute im Mittelfeld. Erwartet wurde dabei, dass sich Lionel Messi überwiegend im Zehnerraum zwischen den Linien hinter Luis Suárez und Antoine Griézmann aufhält. Betrachtet man nur die realtaktische Positionierung der katalanischen Startelf wird deutlich, dass das Positionsspiel gegen die Italiener sehr flexibel angelegt war.
Ausgenommen Marc-André ter Stegen und der Viererkette waren viele Positionswechsel erkennbar. Beispielsweise agierte Sergi Roberto die meiste Zeit als rechter zentraler Mittelfeldspieler – ließ sich aber immer wieder im rechten Halbraum tief nach hinten fallen. Dies sah manchmal sogar so aus, als bildete Roberto gemeinsam mit Piqué und Lenglet eine Dreierkette.
Dies brachte den Katalanen zweierlei Vorteile: Einerseits konnte so Nelson Semedo auf dem rechten Flügel höher und risikoreicher agieren – anderseits lockte dies auch die zentralen Mittelfeldspieler der Neapolitaner nach vorne.
Dadurch entstanden insbesondere auf der rechten Seite zwischen der Viererkette und dem zentralen Mittelfeld der Gäste relativ große Räume, welche dann vom FC Barcelona insbesondere in Person von Lionel Messi immer wieder bespielt wurden.
A quick analysis of Barça’s shape in the second phase and how Napoli’s narrow 4141/451 shape was taken advantage of.
Key movements from RCM, LCM, DM and RF pic.twitter.com/zvVrnQwLgX
— sm (@TacticoModerno) August 9, 2020
Auch die anderen beiden Mittelfeldakteure der Blaugrana, Ivan Rakitic und Frenkie de Jong, tauschten oftmals die Positionierung bzw. variierten zwischen einer hohen und einer tiefen Positionierung. Die flexible Positionierung gepaart mit der Laufstärke des Mittelfeldes führte dazu, dass dieses nahezu omnipräsent wirkte. Man kann also insgesamt von einer sehr gelungenen Vorstellung der Schaltzentrale sprechen.
Im Angriff besetzte Suárez zwar meist das Sturmzentrum, um ihn herum fanden jedoch zahlreiche Positionsrochaden statt. So agiert Messi oftmals im rechten Zehnerraum, kurz darauf in vorderster Front und etwas später wiederum auf dem rechten Flügel – kurzum: La Pulga suchte sich clever die Räume aus, die der SSC Neapel frei ließ und forderte genau darin den Ball. Das beste Beispiel war sein Tor zum 2:0. Messi wich dabei auf den rechten Flügel aus und hatte dort genug Raum und Zeit, um zum Dribbling anzusetzen.
Hinsichtlich der Fluidität erwähnt werden muss auch Griezmann: Wie immer ackerte der Franzose vorbildlich nach hinten und war gegen den Ball auch häufig im Mittelfeld wieder zu finden. Mit dem Ball legte der Weltmeister ein gutes Positionsspiel an den Tag. Abhängig von der Spielsituation und den Bewegungen Messis war der Franzose entweder auf der Zehnerposition oder im linken Halbraum zu finden. Zwar wurde er selber nicht gefährlich, dennoch öffnete er durch seine Laufwege viele gefährliche Räume.
Die katalanische Pressingresistenz
Maßgeblich verantwortlich für den letztlich souveränen Sieg war neben dem fluiden Positionsspiel auch die Pressinzresistenz Barças. Angefangen hat diese wie so oft mit Marc-André ter Stegen im katalanischen Gehäuse. Der deutsche Keeper wurde immer wieder ins Aufbauspiel mit einbezogen und behielt in jeder Situation die Ruhe. Noch mehr als in anderen Spielen agierte ter Stegen heimlich als Spielmacher und initiierte zahlreiche Angriffe durch seine clevere Spieleröffnung. Auch wenn er keine wirkliche Parade zeigte, war er einer der besten Spieler auf dem Platz. Und für einen Torhüter ist das eine große Leistung.
Aber auch ter Stegens Kollegen zeigten sich sehr sicher mit dem Ball am Fuß – ingesamt bestritt Barça viele Dribblings, einige davon auch weit in der eigenen Hälfte. Diese hatten jedoch eine enorm hohe Erfolgsquote weshalb es der Blaugrana dadurch gelang, sich immer wieder aus den Pressingwellen der Neapolitaner zu befreien.
Besonders hervorzuheben sind seitens des FC Barcelona dabei Semedo und de Jong: Während der Portugiese insbesondere in Halbzeit eins immer wieder zu extrem raumgreifenden Dribblings ansetze, zeigte sich der Niederländer mit der Kugel am Fuß extrem lässig, ohne dabei jedoch nachlässig zu werden.
De Jong ließ seine Gegenspieler ein ums andere mal ins Leere laufen und verschaffte Barça somit einige Ruhepausen, ermöglichte aber dadurch auch, dass die Mannschaft das Spielfeld kontrolliert nach vorne verlagern konnte.
Barça phasenweise extrem schläfrig
Bei allem Lob muss man bei der Bewertung der Leistung der FC Barcelona auch auf die schläfrigen und unachtsamen Phasen eingehen. Diese waren insbesondere zu Beginn der beiden Halbzeiten. Direkt nach Anpfiff des Spiels machte der SSC Neapel ordentlich Druck und hatte bereits einen Aluminium-Treffer zu verzeichnen, ehe allen Barça-Spielern klar war, dass das Spiel begonnen hat.
Ähnlich zu Beginn der zweiten Halbzeit: Auch hier hatten die Italiener wieder deutlich mehr Ballbesitz und machten Druck, konnten jedoch daraus kein Kapital schlagen. Was gegen Neapel noch reichte, muss nun schnellstens umgestellt werden. Denn mit dem FC Bayern München wartet am kommenden Freitag im Viertelfinale der Königsklasse einer der absoluten Top-Favoriten. Darüber hinaus haben die Münchner mit Robert Lewandowski einen Spieler in ihren Reihen, der aktuell zumindest gefühlt aus einer halben Chance zwei Tore macht.
Da können es sich die Katalanen mit Sicherheit nicht erlauben, schläfrig in die Partie zu starten. Neben dem schläfrigen Beginn agierte die Gastgeber aber auch vom Grundsatz her eher verwaltend und passiv – wäre Milik bei seinem Abseitstreffer ein paar Zentimeter weiter hinten gestanden, hätten die Katalanen zum Ende der Partie nochmals ordentlich zittern müssen und ein ähnliches Szenario wie in den letzten beiden Champions-League-Saisons hätte gedroht.
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