AC Milan – FC Barcelona 23.11.2011

StartChampions LeagueAC Milan - FC Barcelona 23.11.2011
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Es gibt Tage, deren Länge nicht 24 Stunden beträgt, sondern deren 30 umfasst. Die Zeit tanzt mit uns, macht einen Schritt nach vorne, um sogleich wieder einen zweiaktigen Rückschritt einzuleiten. Es sind jene Tage,

an denen ein wertvolles Ereignis in die Nacht hineingelegt wird und uns in der schnelllebigen und hecktischen, zuweilen sogar panischen Alltagswelt ein Stück weit das Bewusstsein vermitteln, dass Geduld womöglich auch noch heute eine Tugend ist, während die uns bevorstehenden Momente in unseren Köpfen kreisen und uns von der Vollbringung unseres Tagewerks abhalten. Wir sind dann getränkt voller Freude, voller Vorfreude und sehnen erwartungsfroh den Ausklang des Tages herbei. AC Milan gegen den FC Barcelona, ein Duell, das die Herzen höher schlagen lässt, noch bevor der Rasenwart den letzten Grashalm für das Kräftemessen zurecht gestutzt hat. Die Vorfreude ist Ausdruck einer enormen Erwartungshaltung, der eine große Enttäuschung folgen kann, wenn die  Mannschaften ihrem Leistungsanspruch nicht gerecht werden. Das erste Aufeinandertreffen war ein Sinnbild dieser Enttäuschung, als die Mannschaften trotz zahlreicher Tore mit einer trostlosen Leistung aufwarteten und den Tag, der so schön begonnen hat, mit einer erstaunlichen Ideenlosigkeit trübten. Gestern war der Ausgangspunkt ein anderer. Das Hinspiel, das von einer sehr defensiven Grundausrichtung durch den AC Milan in Mitleidenschaft gezogen worden ist, hat die Hoffnung auf ein dem Klang dieser Begegnung entsprechendes großes Spiel von vornherein zunichte gemacht. Auch der Umstand, dass beide Mannschaften bereits für die nächste Runde qualifiziert waren, war nicht förderlich im Hinblick auf ein freudiges Erwarten, sondern veranlasste zu einem etwas uninspirierten schlichten Abwarten. Was sodann um 20:45 Uhr folgte, war ein großes Fußballspektakel. Beide Mannschaften offenbarten ihre Klasse – und ihre Schwächen –, was in einem kurzatmigen und hochspannenden Spiel resultierte, bis zur letzten Sekunde. Wenn es etwas gibt, das schöner ist, als die Vorfreude, dann ist das die unverhoffte Freude.

Beste Offensivleistung der Saison

Beide Mannschaften suchten von Anfang an ihr Glück in der Offensive und machten keine Anstalten, dass Spiel zu einer strategischen Schlacht verkommen zu lassen. Die notwendigen Lücken für ein gepflegtes Offensivspiel, das insbesondere in der 1. Halbzeit zuweilen einen konterlastigen Schlagabtausch entstehen ließ, ergaben sich dabei von selbst. Für den FC Barcelona stand bei Beendigung des Spiels ein Chancenübergewicht zu Buche. Die Spieler des FC Barcelona hätten sich jedoch über zwei Gegentore mehr nicht beschweren dürfen; auch die Mailänder haben Hochkaräter ungenutzt gelassen und so den möglichen Gruppensieg verschenkt. Das Defensivverhalten der Katalanen erinnerte in manchen Phasen einem lieblos wahrgenommen Begleitschutz, was ob der Besetzung der Verteidigerpositionen kaum für Verwunderung gesorgt haben dürfte. Busquets und Mascherano bekleideten die Innenverteidigung, Abidal und Puyol die Außen. Eine akzeptable Defensivleistung muss angesichts dieser abenteuerlichen Konstellation denknotwendig ausscheiden. Puyol hat nur zweitweise gefährliche Hineingaben in den Strafraum verhindert(was einmal in einem Tor mündete), Mascherano hat Gefallen daran gefunden, den Ball dem Gegner vor die Füße zu köpfen, Abidal stocherte gemütlich im Strafraum herum, und Busquets, ja, in seiner Gedankenwelt ist er auf seiner angestammten Position der letzte Anker des Teams – er kann den Begriff der Innenverteidigung nicht einmal aussprechen. Trotz dieser Aussetzer muss man aber festhalten, dass sich die Verteidiger darüber hinaus wenig haben zu Schulden kommen lassen und redlich bemüht waren, die Angriffe des Gegners zu unterbinden. Man muss sich auch vergegenwärtigen, dass ihren unmittelbaren Gegenspielern das Prädikat Weltklasse nicht erst seit gestern anhaftet und der FC Barcelona den Fokus auch nicht unbedingt auf die Verteidigung gelegt hat. Es ging den Spielern vielmehr darum, mehr Tore zu schießen als der Gegner, viel mehr Tore als der Gegner. Und das wäre ihnen auch gelungen, wenn sie die Fülle der herausgespielten Gelegenheiten zu etwas Zählbarem verwandelt hätten. Aber das ist Meckern auf höchstem Niveau, auf allerhöchstem Niveau. Der FC Barcelona hat in der Offensive ein Feuerwerk abgebrannt und den Gegner zeitweilig vorgeführt wie einen Amateur. Die Spielzüge waren schnell, zu schnell für den AC Milan. Selten hat der AC Milan das Vorhaben der Katalanen antizipiert und es unterbunden. Dafür waren die Ideen schlichtweg zu brillant. Man kann den Abwehrspielern des AC Milan keinen Vorwurf machen, ebenso wie man den Verteidigern des FC Barcelona nur bedingt ihr Fehlverhalten vorwerfen kann. Die Angreifer sind diejenigen, die agieren. Den Verteidigern bleibt nur die Reaktion, d.h. sie sind zeitlich immer in Verzug. Und wenn dann noch Weltklasse-Angreifer am Werk sind, dann weitet sich der gedankliche Vorsprung noch mehr aus. Es kann keine zwei Meinungen geben, wenn es darum geht, das Angriffsspiel des FC Barcelona im gestrigen Spiel zu beurteilen: Das war die beste Offensivleistung in dieser Saison. Und trotzdem hat man gesehen und man spürt auch, dass noch Luft nach oben vorhanden ist.

Vorteil im Classico

Eine Szene des Spiels, die kontrovers diskutiert wird, soll den Lesern nicht vorenthalten werden. Es gibt viele, die sich auf den Standpunkt stellen, dass Xavi den von Messi verwandelten Elfmeter erschlichen hat, als er sich nach einer leichten Berührung zu leicht fallen ließ. Diesbezüglich lässt sich anmerken, dass nicht das kurze Trikotzupfen bzw. der Trikotzupfversuch geahndet worden ist. Die Kamera, welche die Szene nicht aus der Seitenperspektive zeigte, sondern dem Tor des AC Milan zugewendet war, hat eindeutig bewiesen, dass der Gegenspieler Xavi am linken Fuß gestreift hat, während es sich in der Luft befand, was ihn letztlich aus der Balance und zum Fall brachte. Mehr gibt es hierzu nicht zu sagen. Abschließend sei erwähnt, dass der FC Barcelona sich glücklich schätzen darf, auf einen solch starken Gegner getroffen zu sein. Das war die perfekte Generalprobe für das Spiel gegen Real Madrid. Real Madrid ist zwar stärker als AC Milan, davon kann man ausgehen, aber speziell das Offensivpotenzial der Italiener ist nicht zu verachten und kommt sehr nahe an jenes von Madrid heran. Die Katalanen wissen, was sie erwartet, und sind den Madrilenen nun um einen Schritt voraus. Den Spielrythmus solcher Spiele kann man nicht simulieren, man kann ihn nur praktizieren. Und je öfter man ihn praktiziert, desto besser kann man sich auf das Spiel einstellen und sich ergebende Chancen nutzen. Visca el Barça!

 

Raphael L.

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