Der beste Fußballer, der jemals das Trikot des FC Barcelona getragen hat, befindet sich derzeit in einer extrem schweren Phase seiner Karriere. Doch was sind die Gründe für Lionel Messis Formkrise – und wie kann der Argentinier wieder zu alter Stärke finden?
Jahrelang konnte sich der FC Barcelona darauf verlassen, dass – egal wie tief der Karren im Dreck steckte – Lionel Messi zur Hochform auflief und ihn nahezu im Alleingang wieder aus dem Dreck zog. Besonders stark war dieses Phänomen in den Jahren seit dem Abgang von Neymar zu beobachten.
Während bis zum Abgang des Brasilianers die Last in der Offensive auf mehreren Schultern verteilt wurde, zumal zu dieser Zeit auch noch Luis Suárez zu Glanzleistungen auflief, hatte man in den letzten beiden Jahren das Gefühl, dass Barça nur dann Tore erzielen konnte, wenn La Pulga seine Zauberfüße im Spiel hatte.
Dieser Grundsatz hat sich auch in der Saison 2020/2021 nicht wirklich verändert – jedoch werden die magischen Momente von Messi weniger und auch sein (positiver) Impact aufs Spiel der Blaugrana scheint abzunehmen. Doch woran liegt das? Menschelt Messi etwa oder befindet er sich einfach nur in einer temporären Formkrise? Oder zollt der Zauberfloh seinem Alter Tribut?
Die Vorgeschichte als Motivationsproblem?
Die Vorgeschichte ist klar und muss nicht erneut aufgearbeitet werden: Messi wollte Barcelona im Sommer verlassen und sich einer neuen sportlichen Herausforderung widmen. Die verweigerte Freigabe (genauso wie der Abgang von Kumpel Luis Suárez) sorgte sicherlich für Enttäuschung und Frust bei dem kleinen Argentinier – und in der Tat wirkt Messi derzeit auf dem Platz zuweilen in manchen Momenten lustlos, planlos und oftmals eher wie ein Zuschauer als eine zentrale Figur.
So weit so gut, allerdings ist dieser Erklärungsansatz zu einfach – die Barça-Legende überzeugte noch nie durch eine besonders positive Körpersprache und legte in ihren besten Spielen zumindest am Anfang oftmals auch eine desinteressierte Körperhaltung an den Tag. Sicherlich ist Messi derzeit nicht auf dem Höhepunkt seiner Motivation – seine derzeit schwachen Leistungen allerdings allein daran festzumachen, wäre viel zu einfach.
Die falsche Position im falschen System?
Ronald Koeman, der das Steuer bei den Katalanen vor etwas mehr als 100 Tagen übernommen hat, testete Messi bereits auf einigen Positionen. Mal als einzige Spitze, mal als Zehner hinter einer falschen Neun, dann wieder als Zehner hinter einer echten Neun – zuletzt hat sich Messi auf dem rechten Flügel festgespielt, jedenfalls nominell auf dem Spielberichtsbogen. Seine Rolle interpretiert er dabei gewohnt frei, er bewegt sich auf dem ganzen Platz.
Egal auf welcher Position Messi dabei spielte, eines war immer zu beobachten: Der sechsfache Weltfußballer war in allen Spielen der Spieler, der am wenigsten für die Defensive arbeitete. Aber warum kommen Messis Stärken im Koeman-schen System nicht zur Geltung?
Die beste Zeit seiner Karriere hatte Messi als falsche Neun – nachdem sich die Gegner jedoch auf den taktischen Kniff eingestellt hatten, waren für Messi drei Dinge wichtig: Erstens: Eine echte Nummer Neun, die die Innenverteidiger bindet und torgefährlich ist, sodass sich nicht alle Gegner auf Messi konzentrieren können.
Zweitens: Flügelspieler, die intelligente Tiefenläufe machen und Messi Anspielstationen bieten. Und drittens: Ein freier Raum zwischen der letzten und vorletzten Reihe der Gegner, in den Messi vorstoßen und so mit Tempo auf die Viererkette zudribbeln konnte.
Welchen dieser vier Punkte hat Messi derzeit bei Barça? Richtig, keinen einzigen. Eine echte und torgefährliche Neun gibt es im Kader der Blaugrana nur in Martin Braithwaite, doch dieser kommt nicht immer zum Einsatz – von der Klasse her hat der Ex-Leganés-Akteur, ohne ihm zu Nahe treten zu wollen, auch noch Luft nach oben. Flügelspieler, die intelligente Läufe in die Tiefe machen, sind entweder verletzt (Ansu Fati, Ousmane Dembélé), total außer Form (Jordi Alba) oder noch nicht so weit, um eine tragende Rolle einzunehmen (Sergiño Dest).
Der letzte Punkt wiegt wohl am schwersten. Um die bislang als Fehleinkäufe abgestempelten Philippe Coutinho und Antoine Griezmann in das System integrieren zu können, überlädt Koeman den Zehnerraum und macht Messis Spielfeld damit extrem klein – sprich: Das System spielt eine bedeutende Rolle ebenso wie die Spielertypen an sich. Die drei Akteure stehen sich oftmals auf den Füßen rum, denn sie fühlen sich in den gleichen Räumen wohl und agieren auch ähnlich, nämlich am liebsten mit dem Ball am Fuß. So lassen sich sowohl Messi, Griezmann als auch Coutinho am liebsten fallen, um Bällen entgegenzukommen. Und wenn alle drei zeitgleich auf dem Platz stehen, führt das zu großen Problemen im System. Für den Gegner – siehe z.B. die Spiele gegen Cádiz, Alavés, Atlético oder Juventus – ist das äußerst leicht zu verteidigen.
Zu viel Druck in einer überalterten Mannschaft?
Zudem ist die katalanische Mannschaft gespickt mit Spielern, die zentrale Rollen in der Mannschaft einnehmen, ein monströses Gehalt beziehen und deutlich über ihrem Zenit sind. Ehemalige Führungsspieler wie beispielsweise Sergio Busquets bringen nicht mehr annähernd die Leistung früherer Tage und sind mehr Risiko- als Sicherheitsfaktor.
Messi ist, nicht nur was das Kreieren von Torchancen angeht auf sich alleine gestellt, sondern auch in puncto Mannschaftsführung. Ehemalige Leistungsträger übernehmen keine Verantwortung oder verlieren auch anhand eigener schlechter Leistungen an Standing in der Mannschaft.
Und eben diese Situation erhöht den Druck auf La Pulga, als Kapitän dieser Mannschaft voranzugehen. Doch auch seine Leistungen stimmen seit Wochen nicht, mental ist Messi auch nicht immer bei der Sache. Kein Pilot kann ein Flugzeug ohne die Unterstützung seiner Crew fliegen, hier scheint es aber, als bräuchte Messi selbst wie auch die gesamte Mannschaft einen richtigen Leader vom Schlage eines Carles Puyol an ihrer Seite. Doch diesen sucht man in diesem Kader vergeblich.
Am Ende spielen wahrscheinlich alle Faktoren eine Rolle, weshalb Messis Leistungen in dieser Saison zu wünschen übrig lassen. Messis Wechselwunsch in der Sommerpause verdeutlicht, dass ihm bereits bewusst war, dass er das Flugzeug nicht mehr alleine fliegen kann.
Die passende Umgebung und Voraussetzungen sowie auch die nötige Einstellung, um mit Barça maximal erfolgreich zu sein, all das hat Messi derzeit nicht. Die im Januar neu gewählte Vereinsführung der Katalanen wird jede Menge Hebel in Bewegung setzen müssen, um all dies zu schaffen, um ein erfolgreiches Projekt und einen wettbewerbsfähigen Kader bereitstellen zu können, in dem Messi wieder florieren kann. Nur so könnte Messi von einem Verbleib über den Sommer hinaus überzeugt werden. In der aktuellen Konstellation wird das nur schwer umzusetzen sein.