Die Pleite gegen Paris war nur die logische Konsequenz aus den Ergebnissen dieser Saison: Der FC Barcelona kann wichtige Spiele nicht mehr gewinnen und ist nur noch Mittelmaß. Unser Autor findet: Der Fokus muss auf den Neuaufbau gelegt werden. Das erfordert Geduld und mutige Entscheidungen von Koeman, der damit aber womöglich seine Zukunft retten kann. Ein Kommentar.
Es entwickelte sich in den letzten Wochen ein Zartes Pflänzchen Optimismus beim FC Barcelona: Die Mannschaft wirkte stabiler, fand Automatismen, auch weil Ronald Koeman sein Spiel-Setting gefunden zu haben schien und mit dem 4-3-3 zum gewohnten System wechselte. Barça wähnte sich – und das betonte Ronald Koeman auch bei jeder Gelegenheit – auf dem richtigen Weg. Bis mit Sevilla der erste und nun mit Paris der nächste schmerzhafte Dämpfer kam und schonungslos zu Tage förderte, dass der FC Barcelona zwar gegen die meisten La-Liga-Teams, nicht aber gegen Spitzenteams gewinnen kann. Stand heute hat der FC Barcelona keine realistische Titelchance.
Mehr noch: Wer Barcelona international noch zu einem Spitzenteam zählt, verkennt die Realität. Der FC Barcelona ist im Mittelmaß angekommen und die Heimpleite am vergangenen Mittwoch war nur ein weiterer negativer Höhepunkt in den letzten, traumatisierenden Jahren. Während man als Fan vor Jahren Barcelona noch mit siegreichen Finalorten – Paris, Rom, London, Berlin – in Verbindung brachte, denkt man nun mit Schrecken an Rom, Liverpool oder Paris. Nach der 0:3-Niederlage in Turin haben wir an dieser Stelle bereits einmal einen Kommentar verfasst ( → Koemans letzte Chance: Umbruch und ein Ende der Kompromisse) – die Stimmungslage damals nicht anders als jetzt.
Umbruch eingeleitet, aber in wichtigen Spielen chancenlos
Nun möchte man Ronald Koeman zu Gute halten, dass er den Umbruch, wenn auch nicht radikal, aber doch eingeleitet hat und in der aktuellen Situation auch mehr Opfer als Täter ist. Koeman hat bewiesen, dass er etablierte, aber formschwache Spieler für Akteure aus der zweiten Reihe auf die Bank setzt. Die Entwicklung eines Araujo oder Pedri, wenngleich Letzterer gerade am Mittwoch gezeigt hat, dass es noch nicht permanent für die europäische Elite reicht, ist der Silberstreif am Horizont.
Und genau dort muss der Fokus in den verbleibenden Monaten der Spielzeit liegen, nicht auf dem Nachrennen nicht realistischer Titel. Nur zur Verdeutlichung, wie weit der FC Barcelona von der Spitze weg ist: Der FC Barcelona hat bis auf das Hinspiel gegen Juventus Turin alle wichtigen Spiele in dieser Saison verloren, vom Clásico, über Atletico bis hin zum spanischen Supercup und dem Achtelfinal-Hinspiel gegen Paris Saint Germain. Mehr Mittelmaß geht nicht.
Xavi steht in den Startlöchern, aber Koeman hat noch eine Chance
Jeder weiß, dass Bartomeu und nicht Koeman der Schuldige für diese Situation ist, dennoch hat auch der Holländer nur eine Chance, dass er auch in Zukunft Trainer beim FC Barcelona sein wird: Er muss den Umbruch weiter vorantreiben, noch radikaler werden und den Fans und dem neuen Präsidenten – es deutet einiges auf Laporta hin – glaubhaft machen, dass er ein neues Team aufbauen kann.
Egal ob Laporta oder Font die Wahl gewinnt, der nächste Trainer wird aller Voraussicht nach Xavi sein. Beim Ex-Präsidenten ist die Chance aber größer, dass Koeman – auch titellos – noch eine Saison im Amt bleiben darf. Wenn wenigstens die Entwicklung der Mannschaft in den nächsten drei Monaten bis zum Saisonende stimmt.
Neuaufbau erfordert Geduld und beginnt jetzt
Ralf Rangnick, seines Zeichens erfolgreicher „Klubentwickler“, der nicht nur die TSG Hoffenheim in die Bundesliga führte, sondern auch der „Mastermind“ hinter der erfolgreichen Red-Bull-Philosophie ist, sprach zuletzt bei Sky davon, dass ein Neuaufbau des FC Barcelona eine Zeitspanne von drei bis vier Jahren erfordere.
Nur das darf im Mittelpunkt der restlichen Saison stehen. Spieler wie Umtiti, Pjanic, Lenglet, Braithwaite oder Coutinho dürfen keine Rolle mehr spielen, auch Busquets, Piqué oder Alba werden nicht mehr jene Prominenz der letzten Jahre einnehmen können, stattdessen müssen Ilaix Moriba, Riqui Puig aber möglicherweise auch Spieler wie Alejandro Balde oder Konrad de la Fuente noch mehr Spielzeit eingeräumt werden. Dann kann aus einem verlorenen, titellosen Jahr ein fruchtbarer Boden für eine erfolgreiche Zukunft werden. Möglicherweise sogar mit Koeman.