Ab Sommer wird Mittelfeldspieler Frenkie de Jong von Ajax Amsterdam den FC Barcelona verstärken. Vielen Fans zauberte es ein Lächeln aufs Gesicht, als der Transfer des Niederländers final bekannt gegeben wurde, steht er doch sinnbildlich für eine möglicherweise herausragende Zukunft des Mittelfeldes der Katalanen. Doch was macht de Jong eigentlich so gut und wie kann man ihn in das Mittelfeld des FC Barcelona integrieren?
Was kann de Jong?
Beginnen wir also damit darzustellen, welche Eigenschaften der Niederländer in das Spiel einer Fußballmannschaft einbringen kann. Natürlich gibt es hier die typischen Eigenschaften, die ein Mittelfeldspieler haben sollte, wenn er beim FC Barcelona spielt um die hohen Ansprüche der Fans im Sinne eines ästhetisch anspruchsvollen Kombinationsfußballs zu erfüllen. Er müsste eine hohe Passsicherheit haben, sollte technisch fehlerfrei spielen können, sollte pressingresistent sein, eine große Übersicht sein Eigen nennen und im Bestfall kann er auch im Dribbling mehrere Meter Raumgewinn erzielen.
Es sind natürlich Eigenschaften, welche in gewisser Weise aus der Tradition von Johan Cruyff und später Pep Guardiola etabliert wurden und die die Spitze ihrer Ausprägung wohl in dem Mittelfeld erreichte, welches von Xavi, Iniesta, Busquets und Messi gebildet wurde. Frenkie de Jong zählt all diese Eigenschaften zu den seinen und steht somit zwangsläufig in der Tradition dieser Spieler. Doch was heißt das ganz konkret im Falle des aktuellen Ajax-Spielers?
Schulterblicke zum Erhalt der Übersicht
Frenkie de Jong kann sich auf eine großartige Übersicht verlassen, welche durch ein konstantes Betrachten der näheren Umgebung zustande kommt. Der Blick wechselt dabei stets zwischen dem Ball bzw. dem Spieler, welcher das Spielgerät in der jeweiligen Situation führt, den Seiten und dem Geschehen im eigenen Rücken. Besonders die Schulterblicke sind ein konstantes Mittel von de Jongs Spiel und es gibt Phasen, in denen er mehr mit dem analysieren der Situationen hinter sich beschäftigt ist, als mit dem, was sich direkt vor ihm abspielt.
In jeder Sekunde kann sich das Spielgeschehen auf dem Rasen radikal verändern. Ajax´ Mittelfeldmann ist sich dieser Gefahr, aber auch dieser Chance, bewusst und es ist genau das, was diesen ersten Punkt seines Spiels so großartig macht. Nebenbei handelt es sich um eine Eigenschaft, die besonders von Xavi berühmt gemacht wurde, welcher sich ähnlich wie der Niederländer meist in Situationen befand, in denen er das Spiel nicht ausschließlich vor sich hatte.
Das Umgehen gegnerischen Pressings
Kommen wir zur Pressingresistenz des Niederländers. Natürlich ist de Jong in den meisten Situationen kaum vom Ball zu trennen, doch wie genau macht er das eigentlich? Ein wesentlicher Bestandteil dessen ist selbstverständlich die bereits beschriebene Übersicht. Doch gerade in Situationen, die sich tiefer in der Hälfte des Gegners abspielen, ist es oftmals nicht möglich, dem direkten Duell mit einem Gegner auszuweichen. Dann benötigt es genau die technische Klasse, über die de Jong verfügt, um den Ball in den eigenen Reihen halten zu können.
Zugute kommt ihm hier seine enorme Schnelligkeit während des Ausführens kurzer Bewegungen, sowie seine fantastische Physis. So kann er teilweise an Gegenspielern einfach vorbei laufen und seinen eigenen Körper zwischen Ball und Gegenspieler stellen. Seine Physis ist dabei nicht besonders spektakulär im Sinne von muskulös. Es ist eher die beeindruckende Balance, die de Jong in Zweikämpfen auszeichnet und welche dafür sorgt, dass sich de Jong auch in schwierigen Duellen jederzeit auf den Beinen halten kann und die Übersicht behält.
Weiterhin nutzt de Jong besonders schnelle Richtungswechsel mit dem zweiten Ballkontakt sehr häufig dazu, seine Gegenspieler in die falsche Richtung zu locken und versteht es sehr gut, die dadurch gewonnenen Millisekunden dazu zu nutzen, an diesem vorbei zu kommen. Eine Technik, die ebenfalls von Xavi, besonders aber von Iniesta häufig genutzt wurde. Heutzutage verbindet man zum Beispiel Real Madrids Toni Kroos mit dieser Art, dem gegnerischen Pressing zu entgehen.
Möglichkeiten des Passspiels
Neben der Übersicht und den technischen Eigenschaften ist es vor allem das Passspiel, welches Frenkie de Jong auszeichnet. Dabei muss man sagen, dass es in dieser Kategorie wohl keine Passform gibt, die der Niederländer nicht im Stande ist zu spielen. Beginnen wir mit dem Kurzpassspiel, welches auch in Barcelona wohl von ihm verlangt werden wird. Hier folgt de Jong einer Vorgabe, welche man vor allem von Pep Guardiolas Barcelona Anfang der 2010er kennt, aber bereits durch Arsene Wengers Arsenal Mitte der 2000er kultiviert wurde. Um es etwas vereinfacht auszudrücken: pass and move – passen und bewegen. Hier orientiert sich de Jong hauptsächlich an Andrés Iniesta und Lionel Messi. Man kann ihn häufig dabei beobachten, wie er diese Option, gerade im letzten Spielfelddrittel, zieht.
Das Prinzip ist dabei relativ einfach. Man hat einen Gegenspieler vor sich und einen Mitspieler halb links oder halb rechts neben sich. Man passt zu dem Mitspieler und bewegt sich in die jeweils andere Richtung zum Tor hin. Während der Gegenspieler sich zum Ball hin orientiert, hat man sich selbst bereits wieder in einen Raum weiter vorne begeben, wo man vom eigenen Mitspieler wieder angespielt werden kann. Ein Konzept, welches besonders von den Spielern Arsene Wengers in dessen überaus erfolgreicher Zeit beim FC Arsenal verwendet wurde.
Weiterhin beherrscht Frenkie de Jong aber auch lange Pässe, mit denen sich beispielsweise Seitenverlagerungen oder Pässe in die Spitze erreichen lassen. Sowohl flach als auch hoch sind diese Pässe von ihm mit äußerster Präzision spielbar. Besonders unterschnittene Bälle auf die Flügel sind hier ein gern genutztes Mittel des Blondschopfes. Bei längeren Flachpässen, vor allem in der Spieleröffnung, geht dem Pass selbst meist ein horizontaler Lauf voraus, damit sich die Gegner in die jeweilige Laufrichtung orientieren. Die Geschwindigkeitsvorteile in diesen Laufduellen geben de Jong dann den entscheidenden Platz, um seine Pässe schnell und präzise vertikal an den Mann zu bringen.
Balleroberung und Konterinitiierung
Apropo Geschwindigkeitsvorteile – diese sind für de Jong auch im Erledigen defensiver Aufgaben von enorm hohem Wert. Diese Aufgaben umfassen eine recht weite Spanne, die recht unüblich für einen Mittelfeldspieler ist, welcher vor allem seine enorme technische Klasse zum Zentrum seiner Kompetenzen gemacht hat. Doch gerade defensiv hat de Jong enorme Stärken, die er trotz einer recht unspektakulären körperlichen Erscheinung in das Spiel seiner Mannschaft einbringen kann.
Zuerst wäre da die angesprochene Schnelligkeit. Selbst, wenn sich de Jong noch im Zentrum des Mittelfeldes befindet, kann er durch seine Geschwindigkeit, beispielsweise im Falle eines gegnerischen Konters, einen enorm großen Raum abdecken und sich selbst im Sprintduell mit gegnerischen Flügelstürmern messen. Es geschieht recht häufig, dass der Ajax-Spieler in diese Laufduelle muss und nicht selten gelingt ihm dabei die entscheidende Balleroberung. Zusätzlich ist Frenkie de Jong extrem gedankenschnell im Antizipieren von gegnerischen Pässen und im direkten Zweikampf, wenn es darum geht, dem Gegner den Ball gewissermaßen “wegzuspitzeln”. Der Balleroberung folgt in den allermeisten Fällen ein schneller Pass, oder (was noch häufiger vorkommt) ein vertikales Dribbling in Richtung des gegnerischen Sechzehners.
De Jongs Rolle bei Ajax Amsterdam
Nachdem wir uns im ersten Teil des Textes mit den individuellen Qualitäten des Spielers Frenkie de Jong auseinandergesetzt haben, soll es im Folgenden darum gehen, wie dieser bei seinem aktuellen Klub eingesetzt wird, bzw. wurde. Beschäftigen wir uns zunächst mit der Vergangenheit
Der “falsche” Center Back
In der Saison 2017/2018 wurde de Jong zunächst als Innenverteidiger der Mannschaft von Erik ten Hag eingesetzt. Diese Rolle interpretierte der Niederländer in der Tradition von Franz Beckenbauer und orientierte sich dabei an modernen Vertretern dieser offensiven Auslegung wie Gerard Piqué, Sergio Ramos oder Mats Hummels. Diese waren bzw. sind bekannt für ihre regelmäßigen Vorstöße in das Mittelfeld bzw. im Falle von Piqué sogar bis hinein in den gegnerischen Strafraum. Ähnlich wie diese Spieler war auch Frenkie de Jong stets im Mittelfeld zu finden, jedoch weit häufiger als es bei seinen Vorbildern der Fall war und interpretierte die Rolle dementsprechend viel radikaler.
So war de Jong in seiner Rolle als Innenverteidiger sogar die meiste Zeit im Mittelfeld unterwegs und bot eine konstante Anspielstation vor der Abwehr. Dadurch verwandelte sich das von Ajax bevorzugte nominelle 4-2-3-1 in eine Art 3-3-3-1, was Ajax enorm viele Möglichkeiten in der Spieleröffnung gab. Man könnte hier durchaus Vergleiche zu Lionel Messi ziehen, der, in Zusammenarbeit mit Pep Guardiola, mit dem Erfinden der “falschen Neun” den Offensivfußball wie wir ihn kannten revolutionierte. Auch mit Frenkie de Jong gelang eine ähnliche Revolution, wenn auch in einem deutlich unspektakulärerem Rahmen, da der herausrückende Innenverteidiger bereits etabliert war.
Die Genialität dieses Zuges lag eher in der Konstanz und Radikalität, wie de Jong diese Rolle ausfüllte. Schlussendlich waren die offensiven Qualitäten des Jungen aber doch zu groß und man konnte das Risiko nicht eingehen, de Jong ohne weitere Absicherung noch weiter vorne zu platzieren. Man entschied sich also für die Verpflichtung eines weiteren Innenverteidigers (Daley Blind) und beschloss, den hochveranlagten Spieler konstant in das zentrale Mittelfeld zu ziehen.
De Jong im Mittelfeld
Erik ten Hag musste sich fortan also überlegen, wie er Frenkie de Jong in sein System bei Ajax Amsterdam im Mittelfeld integrierte. Der Trainer favorisierte nach wie vor ein 4-2-3-1 oder ein 4-3-3 System mit de Jong als zentralem Spieler in der Mitte des Spielfeldes. Die Angriffe des niederländischen Traditionsklubs bzw. die Spieleröffnung läuft vor allem über die linke Seite des Teams. Hier kommt de Jong gleich eine Schlüsselrolle zu, da er nominell auf der linken Seite der zwei bzw. drei zentralen Mittelfeldspieler eingesetzt wird.
Linksverteidiger Nicolás Tagliafico schaltet sich dabei meist ins Mittelfeld über die linke Seite ein und rückt aus der Viererkette heraus. De Jongs Aufgabe ist es nun, den frei gewordenen Platz auf der linken Abwehrseite zu besetzen. Wenn er dann an den Ball kommt, hat er mehrere Optionen. Zum einen kann er den herausrückenden Matthijs de Ligt bedienen, welcher seinerseits den frei gewordenen Platz im zentralen Mittelfeld übernehmen kann oder er bedient einen der anderen zentralen Mittelfeldspieler, sowie den rausgerückten Linksverteidiger. Auch eine Seitenverlagerung durch einen hohen Ball ist hier eine Option.
Wenn de Jong im zentralen Mittelfeld bleibt, hat er ebenfalls viele Optionen. Er versteht es sehr gut, den Ball durch seine Dribblingfähigkeiten gewissermaßen durch das Mittelfeld zu “tragen”. Ajax´ andere Mittelfeldspieler gehen diese Laufwege dann in der Regel mit, sodass de Jong einige weitere Anspielstationen vor dem gegnerischen Sechzehner hat und dort die Bälle auch horizontal weiter verteilen kann.
Wenn er den Ball abgegeben hat, orientiert sich de Jong meist wieder ein bisschen weiter nach hinten, um seinen Mitspielern dort eine Passoption zu bieten, wenn diese nicht weiter kommen. Eine weitere Option findet sich hier darin, dass sich de Jong mittels Box-to-Box-Doppelpässen eine gute Schussposition freispielt, um selbst zum Abschluss kommen zu können. Dies stellt aber eher die Ausnahme dar.
Wenn Ajax´ Angriffe über die rechte Seite laufen, orientiert sich de Jong ebenfalls nach rechts und bietet dort im Mittelfeld eine weitere Option. In diesem Fall übernimmt er jedoch nicht den Platz des Rechtsverteidigers, sondern bleibt im Mittelfeld. Über die rechte Seite steht der Niederländer deutlich höher und ist vor allem dafür verantwortlich, die Sturmspitze oder den rechten Flügelstürmer mit Schnittstellenpässen zu bedienen.
Sollte Ajax Amsterdam den Ball einmal verlieren, spielen sie ein Konterpressing. Mehrere Spieler pressen dann gleichzeitig den ballführenden Gegenspieler für mehrere Sekunden und hoffen so, den Ball schnell zurück zu erobern. Auch Frenkie beteiligt sich dann konstant an der Arbeit gegen den Ball. Sollte der Gegner diese Pressinglinien überspielen, sprintet de Jong aus dem Mittelfeld zurück Richtung eigenem Strafraum und geht in die Zweikampfduelle mit den gegnerischen Offensivspielern.
Fazit
Die meisten wussten es bereits, doch es soll hier noch einmal geschrieben stehen. Frenkie de Jong ist ein fantastischer Fußballspieler und es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass er als eine der zentralen Figuren den europäischen Fußball in den nächsten Jahren prägen wird.
Ein Spieler, der im Mittelfeld auf nahezu jeder Position eingesetzt werden kann und mit dem nötigen Rüstzeug ausgestattet ist, dort in nahezu jeder Situation eine Lösung zu finden. Diese Konzentration von derart vielen unterschiedlichen Fähigkeiten ist in dieser Form im Weltfußball wohl momentan einzigartig und macht de Jong zu einem der komplettesten Mittelfeldspieler der Gegenwart. Besonders beeindruckend ist dabei das hohe Bewusstsein des Mittelfeldspielers über die Historie des Weltfußballs.
Man spührt förmlich, wie de Jong sich an den Großen der Geschichte orientierte, um sein Spiel auf ein derart hohes Niveau zu bringen und diese Vielseitigkeit zu erreichen. Wenn man sich sein Spiel anschaut, findet man unheimlich viele Einflüsse von Legenden wie Beckenbauer, Cruyff, Viera, sowie den Protagonisten des FC Barcelona unter Pep Guardiola, mit denen er hoffentlich eines Tages in einem Atemzug genannt werden kann.
Gleichzeitig analysiert er gegenwärtige fußballerische Entwicklungen und lässt Einflüsse der aktuell besten Mittelfeldspieler wie Kroos, Modrić, Silva oder Pjanić in sein Spiel einfließen. Dieses Bewusstsein und diese Detailversessenheit in der Kopie des Spielstils solcher Ikonen ist der größte Respekt, mit dem man den aktuellen Helden, sowie den Helden vergangener Tage begegnen kann. Ein fußballerisches Gesamtkunstwerk, welches uns zurück in die Vergangenheit führt und gleichzeitig den gegenwärtigen Fußball in die Zukunft führen kann. Wir werden viel Freude haben mit Frenkie de Jong.